Ehe für alle

Das Ideal der "Normalität" ist eine Zumutung

Zwei weibliche Hände berühren sich, sitzend, weißes Hochzeitskleid
Die gleichgeschlechtliche Ehe kommt © imago / Christine Roth
Von Patsy l’Amour laLove · 29.06.2017
Die Ehe für alle ist gerade groß in der Diskussion - sie verspricht Normalität für Schwule und Lesben. Doch sollten sich diese überhaupt Normalität wünschen? Die Polit-Tunte Patsy l’Amour laLove findet: Auf keinen Fall.
Angeblich ist alles in bester Ordnung. Lesben, Schwule, Bi- und Transsexuelle sind integriert und gleichgestellt. Probleme gibt es nur noch mit den Radikalen am rechten, christlichen und muslimischen Rand. So lautet das Mantra unserer liberalen Zeit, auch von Seiten der Homo-, Bi- und Transsexuellen.
Und viele von ihnen beschweren sich über die allzu schrillen CSD-Paraden: zu laut die Tunten, zu nackt die Ärsche, zu viel der Perversion. Überhaupt seien in der Szene zu viele auffällige Homo- und Transsexuelle unterwegs.
Der kaum verhohlene Wunsch lautet: Es solle lieber einen Marsch der Normalen geben, einen CSD, bei welchem demonstriert wird, dass wir Perversen doch genauso normal seien wie die vermeintlich Normalen. Es ist die Sehnsucht danach, nicht mehr anders sein zu müssen. Und deshalb werden jene abgelehnt, die jeweils als noch unnormaler erscheinen.

Durchdrungen von Unterwerfungsgesten

Diese Gesellschaft hat nach wie vor ein gewaltiges Problem mit ihrem nicht enden wollenden Hass auf das Andere. Und Homosexuelle sind den Normalen die Repräsentanten für das eigene Scheitern am Wahnsinn der Normalität. Dieser Wahnsinn verlangt den Einzelnen ab, was unmöglich ist: dem Ideal der Normalität zu entsprechen. Die Gesellschaft also ist krank, und nicht die Homosexuellen.
Trotzdem sind die politischen Antworten von Lesben, Schwulen, Trans- und Bisexuellen durchdrungen von Unterwerfungsgesten. Statt auf ihrer Differenz zu beharren, gilt es vielen als größtes Glück, den vorgegebenen, heterosexuellen Rollennormen zu entsprechen.
Doch dieser Wunsch nach Normalität bleibt einer Illusion verhaftet. Die Tunten und Schrillen sind ja nicht nur so, um zu provozieren, sondern auch, weil sie einfach so sind. Es gilt also, vehement für das selbstbewusste Anderssein einzustehen.

Verschwörungstheorien mit queerem Anstrich

Stattdessen wird die Palette der jeweils schlechteren Homosexuellen munter erweitert: Auch im queeren Aktivismus, der sich selbst als radikal bezeichnet. Er grenzt sich mitunter scharf von der Lesben-, Schwulen- und Transbewegung ab und hat sich zu einer dogmatischen Politik entwickelt, die Homo- und Transsexuelle als altbacken ablehnt.
Mit Begriffen wie "Homonormativität" wird nicht mehr der heterosexuelle Wahnsinn und damit der Hass auf Homo- und Transsexuelle bekämpft und zu verstehen versucht, sondern Schwule, Lesben, Bi- und Transsexuelle selbst werden zum neuen Feindbild stilisiert.
Das queere Organisations-Team des alternativen Berliner CSD etwa wetterte gegen die "schwulen Manager", die "von oben umarmt" mit "Staat und Großkonzernen kuscheln". Eine klassische Verschwörungstheorie, nur mit queerem Anstrich, was die Sache nicht besser macht.
In diesem Aktivismus wird vor allem mit der Kritik an sogenannten "Privilegien" gearbeitet. Dass es jemandem besser geht, wird als Grund dafür angesehen, dass es anderen schlechter geht: Dein Glück bedeutet mein Unglück. Und die Schlussfolgerung ist nicht, dass es allen besser gehen soll, sondern dass es allen gleich schlecht zu gehen habe.

Lust an der Differenz statt Hass

In diesem Anti-Privilegien-Ansatz wird so getan, als gebe es hier die Unterdrückten und dort die Unterdrücker. Das ist bequem, aber falsch. Das Ende des Hasses auf alles Abweichende würde auch das Leben der Heterosexuellen verbessern. Denn auch für sie ist der Anspruch, normal zu sein, eine wahnsinnige Zumutung.
Eine fortschrittliche Sexualpolitik ist notwendig, aber sie ist nicht mit schlechten Floskeln, unüberlegten Aktionen und der Ablehnung von Fortschritt zu haben, bloß um sich radikaler zu fühlen. Eine Aufklärung wäre notwendig, eine kollektive Reflexion. Dem Hass auf das Anderssein muss die Lust an der Differenz gegenüber gestellt werden.
Ohne Angst verschieden sein zu können – tuntig oder grau, schrill oder brav: In dem Beharren auf diesem Wunsch liegt die Sehnsucht, dass die Ungerechtigkeit in dieser Welt für alle Menschen aufzuhören habe.

Patsy l‘Amour laLove, Polit-Tunte und Geschlechterforscherin, schreibt ihre Dissertation zur westdeutschen Schwulenbewegung der 1970er-Jahre an der Humboldt-Universität zu Berlin, organisiert kulturelle und wissenschaftliche Veranstaltungen wie "Polymorphia – die TrümmerTuntenNacht" im SchwuZ und arbeitet im Kuratorium und Archiv des Schwulen Museums Berlin.

Patsy l’Amour laLove: Selbstbewusst die Unterschiede vertreten
© Dragan Simicevic / Visual Arts
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