Dorsch: Er war eigentlich ein Künstler

Hadwig Dorsch im Gespräch mit Dieter Kassel · 20.04.2010
Zum 100. Geburtstag des Computer-Pioniers finden bundesweit Ausstellungen und Veranstaltungen statt. Zuse habe nicht die Chance gehabt, seine Erfindung in Deutschland als Patent anzumelden, erklärt Hadwig Dorsch vom Deutschen Technikmuseum Berlin.
Dieter Kassel: Der erste funktionsfähige Computer der Welt, der entstand nicht, wie viele immer wieder bei Umfragen vermuten, in einer Garage irgendwo in Kalifornien, sondern in einer Wohnung in Berlin. 1941 konstruierte der Ingenieur Konrad Zuse dort die Z3. Zuse, der später die erste Computerfirma der Welt gründen sollte, er wäre in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden, und aus diesem Grund beginnt heute das Konrad-Zuse-Jahr. Und aus ebenfalls diesem Grund begrüße ich jetzt am Telefon Hadwig Dorsch, sie ist die Leiterin der Abteilung Rechen- und Automationstechnik im Deutschen Technikmuseum Berlin und als solche natürlich auch mit dem Zuse-Jahr und der Zuse-Ausstellung in ebendiesem Museum betraut. Schönen guten Morgen, Frau Dorsch!

Hadwig Dorsch: Guten Morgen!

Kassel: Warum eigentlich ist Konrad Zuse als Erfinder des Computers immer noch in der breiten Öffentlichkeit so unbekannt? Bei Umfragen wird ja gerne von Alan Turing bis Bill Gates irgendjemand anders genannt.

Dorsch: Das ist eine gute Frage. Zunächst muss ich Ihnen sagen, das hat etwas mit der Zeit zu tun, als er die Computer entwickelt hat. Sie haben das so schön anmoderiert: 1941 der erste Computer, die Z3 – das stimmt nicht, also den allerersten Computer hat er schon 1936 gebaut. Das war ein mechanischer Rechner, der genau so im Prinzip dieselben Funktionsteile hatte wie unsere heutigen Rechner, auch wie die Z3 dann später. Aber die Frage steht ja, warum hat er den Rechner gebaut und warum ist er nicht bekannt geworden? Zuse war ein Künstler, der wollte eigentlich Werbegrafik machen, Kunst machen, hat dann ein bisschen Maschinenbau auch gemacht, weil er, so was zusammenbasteln, das hat ihm auch Spaß gemacht, dann aber Architektur studiert, das leider auch nicht beendet, dann hat er Bauingenieurwesen studiert. Und als er seinen Eltern da erzählt hat, da war er so etwa 25, er wollte auch dieses Studium abbrechen, da waren die Eltern langsam sauer. Er wollte es nämlich deshalb abbrechen, weil er keine Lust hatte, diese statischen Berechnungen zu machen, die beim Bauingenieurwesen einfach erforderlich sind. Und mit dieser Sache kam er dann auf die Idee, einen neuartigen Rechner zu bauen, mit dem diese statischen Berechnungen automatisiert durchgeführt werden können. Und das war dann der allererste Computer der Welt, den er 1936 hier in der Methfesselstraße in Berlin-Kreuzberg gebaut hat und den er dann 1988 bis '89 hier für das Deutsche Technikmuseum Berlin nachgebaut hat.

Kassel: Den kann man da in der Tat sehen, ich habe den sogar schon gesehen, ich lasse das jetzt mit der Z1 und der Z3 aber nicht so richtig auf mir sitzen. Erklären Sie es uns doch mal: Man sagt aber immer zu Recht, das erste Modell eines Computers, in dem all das drin steckte, was eigentlich in meinem Laptop heute auch noch drinsteckt, war dann doch die Z3, weil die Z1 doch eigentlich so richtig noch gar nicht funktionierte?

Dorsch: Also mit dem, was drinsteckt, da stimmt es nicht. In der Z1 hat genau dasselbe dringesteckt, wie in der Z3. Das Problem war vielmehr, dass diese Stifte der Z1 sich immer wieder verklemmt haben. Es war ein mechanischer Rechner und das Bit wurde dadurch realisiert, dass sich ein Stift in zwei verschiedene Positionen schieben konnte. Und wenn sich solche Stifte in zwei verschiedene Positionen schieben auf Metallplatten, ergibt sich Metallstaub. Und dieser Metallstaub bewirkt, dass ein Stift sich verklemmt und die ganze Maschine nicht mehr funktioniert. Das war der Grund, warum die Z1 nicht funktionsfähig war – nicht, weil sie von der Idee her falsch war, die war von der Idee her genau so wie die Z3. Sie bestand bereits aus einem Ein-/Ausgabe-Werk, einem Analog-Digital-Wandler, einem Programmwerk, einem Rechenwerk, Bussen und einem Speicher, genau wie unsere heutigen Rechner.

Kassel: Sie wissen natürlich, was sich jeder Mensch fragen wird, der uns beiden jetzt zuhört, nämlich: Was ist eigentlich mit der Z2?

Dorsch: Ja die Z2 war sozusagen so ein Zwischenteil zwischen dem mechanischen Rechner, der Z1, und dem später entwickelten Z3. Das heißt, er hat da versucht die Ideen, die er hatte bei der Z1, mit Relays umzusetzen. Das war nicht ganz so einfach, da hat er auch Fehler gemacht, und aus diesem Grunde entstand dann die Z3. Da hat er dann versucht, diese Fehler nicht mehr zu machen, und das hat ja auch geklappt. Es wurde dann der erste wirklich funktionsfähige Computer der Welt.

Kassel: Sie haben ja schon beschrieben, dass Zuse als Bauingenieur, jetzt mal sehr einfach ausgedrückt, den Computer erfunden hat, weil er nicht immer selber rechnen wollte. Man muss ja sehr viel rechnen als Ingenieur. Aber es ging ja nach dem Krieg mit ihm anders weiter, er hat ja tatsächlich eine Computerfirma dann gegründet und noch viele, viele Zs entwickelt zusammen mit seinen Mitarbeitern später. Was hat dazu geführt, dass er dann doch auch zum ersten Computerfirmenbesitzer Deutschlands wurde?

Dorsch: Ja, ist eine interessante Frage. Also man muss natürlich Zuse auch in seiner Zeit sehen, also 1936, '41, das war ja '36 schon nach der Machtergreifung, '41 im Krieg. Als die Nationalsozialisten, besser gesagt das Reichsluftfahrtministerium seinen Rechner Z3 gesehen haben, haben sie gedacht, oh das ist wunderbar, das ist etwas. Wenn das weiterentwickelt wird, können wir mit so einem Rechner den Krieg gewinnen. Das war in einer gewissen Weise auch sein Vorteil, weil er konnte mit dem nächsten Rechner, nämlich der Z4, die er im Auftrag des Reichsluftfahrtministerium gebaut hat, 1945 Berlin verlassen, ist ins Allgäu gegangen und hat dort diesen Rechner fertig gebaut. Das heißt, das ist natürlich auch eine politische Frage – alle Dinge, die in dieser Zeit entstanden sind –, aber ich habe Konrad Zuse ja persönlich kennengelernt und würde sagen, also sein Interesse war viel mehr die Entwicklung seines Rechners und er war immer froh, dass keiner seiner Rechner dann kriegsmäßig eingesetzt wurde, sondern die Z4 dann erst 1946 von der ETH Zürich übernommen wurde und die dort wissenschaftliche Berechnungen mit diesem Rechner gemacht haben.

Kassel: Wir reden im Deutschlandradio Kultur heute, an dem Tag, an dem das Konrad-Zuse-Jahr offiziell eröffnet wird mit einem Symposium in Berlin, mit Hadwig Dorsch. Sie ist die Leiterin der zuständigen Abteilung im Deutschen Technikmuseum in Berlin. Frau Dorsch, das haben Sie jetzt so nebenher gesagt, ich habe ihn ja mal kennengelernt. Zuse ist ja auch 1995 erst gestorben, Sie haben ihn, glaube ich, in den späten 80ern mal kennengelernt, als seine aktive Computer- und Ingenieurszeit ja schon vorbei war. Was war Ihr Eindruck von diesem Menschen damals?

Dorsch: Ja also ich habe hier diese Stelle als Abteilungsleiterin dieses Bereiches im Museum '84 übernommen und habe dann natürlich sofort überlegt, was ist der Schwerpunkt, den ich hier zeigen kann in Berlin. Und es war klar, dass das Zuse ist. Es waren ja, nur ein paar Straßen von hier entfernt sind ja die ersten Computer gebaut worden und ich habe damals schon Kontakt zu ihm aufgenommen. Und als ich damals Kontakt zu ihm aufgenommen habe, habe ich ihn eigentlich als Künstler erlebt. Konrad Zuse war Künstler, er saß in seinem Atelier, zeichnete und fragte mich, ob das Gelb jetzt zu diesem Gelb passen würde und ob ich das auch gut fände und so weiter. Also ich war erst mal ganz verwundert, dass ich jetzt hier nicht irgendwie einen Computerfachmann vor mir hatte im ersten Moment, sondern eher den Künstler. Und wie soll ich es sagen, also wie ich ihn dann gefragt hatte, ist er mit seiner Computerfirma, die er dann 1956 in Hessen, in Nordhessen gegründet hat, der Zuse KG, ist er ja dann schon relativ früh, zehn Jahre später quasi in die Pleite gewandert, leider, er hat sehr, sehr schöne Rechner entwickelt in dieser Zeit. Als ich ihn gefragt habe, ob er denn sehr traurig darüber gewesen sei, dass er diese Firma nicht halten konnte, hat er solche Aussagen gemacht wie: Wissen Sie, ich lebe noch, Nixdorf lebt nicht mehr – zu dieser Zeit gab es Nixdorf noch –, er hat seine Firma weiter geleitet und es hat ihn sozusagen zu dem Schlaganfall geführt und ich beschäftige mich mit der Kunst und ich lebe noch.

Kassel: Mit anderen Worten, Zuse selber hat es vermutlich auch nicht gestört, dass er nicht der große reiche, berühmte Computererfinder war in den Augen der Öffentlichkeit?

Dorsch: Es hat ihn gestört, dass sein Patent nicht anerkannt wurde in Deutschland, das hat ihn sehr, sehr gestört. Denn er war nun mal wirklich der erste, der einen solchen Rechner realisiert hat.

Kassel: Hat er sich eigentlich, so Sie das bei dem Gespräch, beim Kennenlernen feststellen konnten, Gedanken gemacht über die Bedeutung des Computers für unsere Gesellschaft? Natürlich, das, was er ursprünglich erfunden hatte, und auch die Modelle, die folgten, das waren in der Tat noch reine Rechenmaschinen, Arbeitsgeräte, aber hat er sich später Gedanken darüber gemacht, wie sehr diese Erfindung doch unsere ganze Welt verändert hat?

Dorsch: Ja durchaus. Er hat sich darüber Gedanken gemacht, er war sogar teilweise sehr kritisch über das, was dann später passierte. Als ich ihn dann so 1985, '86, '87 mit ihm gesprochen habe, hat er mir dann sehr intensiv gesagt, wie wichtig der Datenschutz sei und was da noch alles passieren würde. Aber er hat unter anderem eine ganz, ganz tolle Idee gehabt: Er hat in den 60er-Jahren, die Idee hat er wohl schon beim Bau seiner ersten Computer gehabt, so hat er mir das erzählt, hat er ein Buch geschrieben, "Der rechnende Raum". Also er hat sich darüber Gedanken gemacht, ob das gesamte Universum rechnet – eine sehr spannende Idee, und zwar hat er da die Idee gehabt, dass das gesamte Universum ein Quantencomputer sei. Man hat ihn damit als esoterischen Spinner abgetan und ich habe vor vier Jahren ein Symposium gemacht, ist das Universum ein Computer, in dem ich Quantencomputer-Spezialisten aus den USA, aus aller Welt eingeladen habe, vom MIT und so weiter. Und die haben uns bestätigt hier, dass diese Ideen von Zuse von vor 50 Jahren jetzt absolut brandaktuell sind. Also er war seiner Zeit doch weit voraus und konnte deshalb das, was er gedacht hat, nicht wirklich in der Form realisieren, wie es sinnvoll gewesen wäre.