Dokumentarfilm "Auf Ediths Spuren"

"Sie war eine sehr moderne, eine sehr mutige Frau"

Die Fotografin und KGB-Agentin Edith Tudor-Hart als Animationsfigur im Dokumentarfilm "Auf Ediths Spuren" von Peter Stephan Jungk
In "Auf Ediths Spuren" wird Edith Tudor-Hart in Animationssequenzen "lebendig" - weil keine bewegten Bilder von ihr zu finden waren. © © Basis-Film Verleih
Peter Stephan Jungk im Gespräch mit Patrick Wellinski · 04.11.2017
Die Tante, eine KGB-Spionin: Seit vielen Jahren beschäftigt sich Peter Stephan Jungk mit dem Leben von Edith Tudor-Hart. Nun hat der österreichische Schriftsteller einen Dokumentarfilm über das Doppelleben der Fotografin gedreht - der jetzt in die Kinos kommt.
Patrick Wellinski: Der österreichische Schriftsteller Peter Stephan Jungk erfährt in den 1990er-Jahren davon, dass seine Tante, die Fotografin Edith Tudor-Hart, wohl ein Doppelleben als profilierte KGB-Spionin führte. Es beginnt eine Spurensuche, die zeigt, dass Tudor-Hart maßgeblich an der Gründung des sowjetischen Spionagerings The Cambridge Five beteiligt war und auch sonst über alle Maßen eine überzeugte Kommunistin und hoch angesehene Spionin war.
O-Ton: She was one of the real stars of the KGB’s English department.
O-Ton: Ich fand eigentlich total bemerkenswert, dass sie eine sehr moderne Art und Weise hatte, mit Männern umzugehen.
Wellinski: Zunächst hat Peter Stephan Jungk das Leben seiner Tante in dem Sachbuch "Die Dunkelkammern der Edith Tudor-Hart" zusammengetragen. Jetzt hat er daraus auch einen Dokumentarfilm gemacht, der nächste Woche in unsere Kinos kommt. Ich konnte mit Peter Stephan Jungk vor der Sendung über seinen Film und seine Tante Edith Tudor-Hart sprechen und wollte eingangs von ihm wissen, wieso auf das Sachbuch nun unbedingt ein Dokumentarfilm folgen musste.

"Ich glaube, dass Edith sich absichtlich nie filmen ließ"

Peter Stephan Jungk: Gut, das ist natürlich wahnsinnig schwer, in einem Buch diese verschiedenen Lebenselemente sichtbar zu machen. Dazu kommt natürlich, dass Edith Tudor-Hart eine, wie ich meine, hervorragende Fotografin war, noch viel zu wenig entdeckt, bekannt. Da hat sich also eigentlich angeboten, visuell auch den Menschen zu zeigen.
Denn im Buch gibt es ja nur ein paar Fotobeispiele in der Mitte des Buches, das wirkt nicht, während, wenn man auf einer großen Leinwand diese wunderbaren Arbeiten sieht, dann bekommt man ein völlig anderes Bild von ihr. Das Einzige, was für mich problematisch war, bevor ich mit dem Film begonnen habe, war die Tatsache, dass es von ihr keine bewegten Bilder gibt. Es gibt ja zum Beispiel diesen berühmten Film über Vivian Maier, da sieht man diese Fotografin in Aktion, in Bewegung. Nichts von all dem hatten wir. Ich glaube, dass Edith absichtlich sich nie filmen ließ.
Auf jeden Fall, ich habe gesucht und gesucht und nichts gefunden, also wie lösen wir das? Und dadurch sind wir dann auf die Idee gekommen, ein paar Minuten im Film durch Animation zu lösen. Und ich glaube, dass das gut funktioniert, denn man hat das Gefühl, dass man sie ein bisschen kennenlernt. Nicht nur von dem Autoporträt, das sie gemacht hat, dem Selbstporträt, das ja sehr intensiv ist, sondern eben auch in ein paar kurzen Momenten, wo man sie in Bewegung sieht, aber eben als Animationsfilm.
Wellinski: Das ist ja sehr interessant, das sind ja so fünf, sechs Momente in dem Film, wenn diese sehr schönen Animationen auftauchen. Warum gerade auch dieser Stil der Animation? Man hätte auch durchaus Szenen mit Schauspielern nachstellen können, es kommt auch so eine Art Verfremdung in dem Moment.
Jungk: Mir persönlich hat fast immer missfallen, wenn Schauspieler in Dokumentarfilmen Szenen nachspielen: Das gelingt fast nie. Manchmal in BBC-Filmen gibt es Momente, wo man denkt, ah ja, das ist gut, das funktioniert, aber in der Regel missfällt es mir komplett. Also dachte ich, dass so ein Film-noir-Stil, schwarz-weiß, aus der Zeit, als wäre es aus ungefähr diesen 30er-, 40er-Jahren, wäre eine Lösung. Und ich glaube, es funktioniert wirklich gut.
Wellinski: Der Geheimdiensthistoriker Nigel West sagt einmal in Ihrem Film, der Schlüssel zu allem findet sich in Ediths Fotografie. Wie soll man das verstehen?

"Sie spiegelt ihr politisches Anliegen in ihrer Fotografie"

Jungk: Ich glaube, dass Edith, die ja ab 17 ein unendlich politischer Mensch war, ihrer Zeit voraus, eine sehr moderne, eine sehr mutige Frau, in ihrem Beruf das politische Engagement gespiegelt hat. Das heißt, vor allem in den 30er-Jahren in Wien und in London, aber dann auch noch später, spiegelt sie das Elend der Unterdrückten und der Arbeiterbevölkerung. Ähnlich wie das Lewis Hine als Erster gemacht hat, viel früher als sie, aber sie ist eine der ersten Frauen, die das dann zum Thema macht.
Sie spiegelt ihr politisches Anliegen in ihrer Fotografie. Und was Nigel West sicher meint, ist, dass man in manchen Fotos sozusagen vorausahnt, wohin der Weg gehen würde. Und es ist kein Zufall, dass die Agentur TASS damals, als sie in Wien begonnen hat, auf sie aufmerksam wurde und sie zu ihrer Korrespondentin ernannt hat für Österreich. Also die haben genau gewusst, wen sie sich da als Korrespondentin nehmen, das ist sicher.
Wellinski: Das Buch und jetzt auch der Film – beides sind ja Spurensuchen von Ihnen, einem Familienmitglied –, die versuchen, die Geschichte dieser Frau aufzuarbeiten. Sie selber hatten ja Ihre Tante auch gekannt. Was war das denn für eine Frau, als sie Ihnen damals begegnet ist?

"Sie war ja die Mutter eines schwer autistischen Jungen"

Jungk: Ja, ich bin ihr erstaunlicherweise nicht sehr oft begegnet. Das führt jetzt zu weit, die verschiedenen Zweige der Familie waren nicht sehr eng. Aber meine Mutter, die die Cousine von Edith war, war mit diesem Zweig eben nicht gut. Dadurch habe ich sie vielleicht im Leben nur drei-, viermal gesehen und sie starb, als ich 18/19 war. Aber die wenigen Male, in denen ich sie erlebt habe, schien sie mir immer traurig. Also für ein Kind vor allem ist jemand, der nicht lachen kann, sofort jemand, wo man denkt: Was ist denn da los?
Nachträglich habe ich eine Idee, warum sie so bedrückt war. Sie müssen auch bedenken, sie war ja die Mutter eines schwer autistischen Jungen und hat sicher darunter gelitten wie unter kaum einer anderen Lebensrealität. Denn dieser Bub war ab elf eigentlich in Institutionen, in Anstalten und ist auch das ganze Leben nicht mehr aus diesen Anstalten rausgekommen. Damals als schizophren diagnostiziert, heute würde man sagen: schwer autistisch, und könnte es wahrscheinlich auch medikamentös ein bisschen lindern, aber damals war es katastrophal. Also das hat auch unendlich auf ihre Seele gedrückt. Und sicher auch die politische Angst.
Ich meine, sie hat bis zum Lebensende immer wieder von MI5 und MI6, vom englischen Geheimdienst gespürt, dass man hinter ihr her ist, und fühlte sich natürlich beobachtet und wurde ja auch immer wieder vorgeladen und die Wohnung wurde durchsucht. Man hat ihr nie etwas ganz konkret nachweisen können, aber sie war immer in dieser Angstzone in ihrem Leben.
Wellinski: Sie arbeiten in dem Dokumentarfilm sehr schön heraus, dass Ihre Tante, aber auch die Spione in ihrem Umfeld für ihre eigentliche Agententätigkeit kein Geld bekamen. Das heißt, sie waren aus Überzeugung Spione. Können Sie sich eigentlich erklären, was Tante Edith am Ende am Kommunismus überzeugt hat?
Jungk: Gut, das ist nach all diesen Jahren, in denen ich mich mit diesem Leben befasse – und das sind doch jetzt schon viele Jahre, denn zuerst war das Buch, dann der Film –, etwas, was ich nicht wirklich vollkommen nachvollziehen kann. Es ist sehr schwer zu verstehen.
Ich glaube, diese Begeisterung für den Kommunismus und für den stalinistischen Kommunismus noch dazu, das muss man ja leider auch dazu sagen, hatte im Grunde damit zu tun, dass sie der Meinung war, dass das die einzige Kraft ist auf der Welt, die den, sagen wir mal, aufkommenden zunächst und dann den immer größer anwachsenden Faschismus auf der Welt bekämpfen kann. Sie war dieser Meinung.
Dass sie aber nach dem Krieg und nach Ungarn 1953 und nach Prag 1968 trotzdem dabei blieb und vollkommen überzeugte Kommunistin blieb, ist natürlich schwer für uns, im Rückspiegel der Geschichte, zu verstehen. Aber als sie '73 starb, hatte sie nicht in irgendeiner Form abgeschworen, das ist sicher.
Wellinski: Überhaupt sind Sie sehr bemüht in Ihren Recherchen, und gerade wenn Sie in Moskau sind, gibt es eine interessante … na ja, Episode kann man gar nicht sagen, aber es wird die Frage diskutiert, als es dann um die Atomspionage Anfang der 1950er ging, auch die Frage, ob diese Spione, auch also Ihre Tante, ob das Helden waren. Kann man das so bezeichnen? Waren diese Spione Helden?

"Für mich waren es Verräter am Westen"

Jungk: Ja gut, das kann man nur aus sowjetischer, ex-sowjetischer Sicht so sehen. Für mich waren es nicht Helden, für mich waren es Verräter am Westen, Verräter an England, Verräter an all unseren westlichen Werten. Trotzdem finde ich es faszinierend, dass Menschen mit solcher Vehemenz an etwas glauben und – das, was Sie vorhin erwähnt haben – niemals dafür bezahlt wurden.
Denn es ist ja nicht nur Edith Tudor-Hart, die nie einen Groschen bekommen hat, das sind ja auch die berühmten Cambridge Five, die man merkwürdigerweise heute gar nicht mehr kennt. Kim Philby, Burgess und wie sie alle heißen, Maclean. Das sind ja Leute, die absolut nur aus Überzeugung gearbeitet haben und nie etwas dafür bekommen haben.
Das war für mich sowohl beim Buch als auch beim Film eigentlich die größte Überraschung, dass man so an etwas glaubt, dass man das auch wirklich von Herzen und ohne Gegenleistung tut.
Wellinski: Sie blicken aber auch auf das nähere familiäre Umfeld von Edith und stellen letztendlich auch die Frage, gerade in der Befragung ihres Bruders Wolfgang, ob wirklich niemand in ihrem Umfeld, also jenseits ihrer Spionagekollegen, von ihrem Doppelleben wusste. Wie sehen Sie das jetzt eigentlich? War es möglich, dass diese Frau ihr Doppelleben dann doch so gut verheimlichen konnte?
Jungk: Nach allem, was ich jetzt weiß, nach all diesen Jahren, hat sie offenbar tatsächlich es geschafft, das Geheime geheim zu halten. Ich meine, das gehört ja zum Geheimagenten dazu, dass er oder sie alles geheim hält.
Was ich nicht ganz glauben kann, ist, dass der Bruder, der ja mit 104 Jahren erst, vor einem Jahr, verstorben ist und eigentlich bis zu seinem 104. Geburtstag komplett klar war im Kopf, das muss man dazu sagen, dass dieser Bruder, der leugnet, etwas gewusst zu haben, tatsächlich nichts wusste. Das kann ich nicht ganz glauben. Aber da bewegen wir uns wieder in die Richtung von Spoiler Alert!
Wellinski: Jetzt haben Sie sich schon so lange mit diesem Leben dieser Frau auseinandergesetzt. Können Sie jetzt nach dieser jahrelangen Recherche sagen, Sie wissen jetzt endlich alles, was Sie am Anfang noch nicht wussten? Oder gibt es noch weiße Flecken?

"Davon überzeugt, dass es mehrere große weiße Flecken gibt"

Jungk: Also ich bin vollkommen davon überzeugt, dass es mehrere große weiße Flecken gibt, die wir entweder nie wissen, nie erkennen, nie erfahren werden, oder noch zu unseren Lebzeiten. Das ist eben die Frage, ob wir noch so alt werden wie Wolfgang Suschitzky, nämlich 104. Auf jeden Fall ist das in der unmittelbaren Gegenwart kaum möglich, da mehr herauszufinden, aber ich bin sicher, dass es noch sehr viel unbekanntes Terrain gibt.
Und ich muss zugeben, dass mich das sowohl bei der Arbeit am Buch als auch am Film gar nicht gestört hat. Ich finde es vollkommen in Ordnung, wenn Dinge nicht bis zu Ende erklärt und aufgeklärt sind, ich denke, es ist auch faszinierend, Räume zu belassen, die noch nicht betreten wurden.
Wellinski: "Auf Ediths Spuren" heißt der Dokumentarfilm von unserem Gast Peter Stephan Jungk. Diese familiäre Spurensuche kommt ab Donnerstag in unsere Kinos. Herr Jungk, vielen Dank für Ihre Zeit und für Ihren Film!
Jungk: Ich danke Ihnen sehr herzlich!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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