"Die Weltkonjunktur ist relativ stabil"

Martin Wansleben im Gespräch mit Hanns Ostermann · 11.08.2011
Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Martin Wansleben, sieht nach den massiven Verlusten an den internationalen Börsen keine dramatischen Auswirkungen auf die deutsche Realwirtschaft.
Hanns Ostermann: Es könnte einem angst und bange werden – dann, wenn die Entwicklung an den Aktienmärkten ein Indikator für die Realwirtschaft wäre. Die drastischen Kursverluste an den Börsen würden dann auf düstere Konjunkturaussichten hinweisen. Aber ist das wirklich so? Immerhin hat sich das Wirtschaftsklima im Euroraum eingetrübt, das teilte gestern das Münchner ifo-Institut mit. Erstmals seit Anfang 2009 sprechen die Volkswirte von einer schwierigen Lage. Gilt das auch für Deutschland, die Konjunkturlokomotive im Euroraum? Martin Wansleben ist Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages – guten Morgen, Herr Wansleben!

Martin Wansleben: Hallo, Herr Ostermann, guten Morgen!

Ostermann: Sie warnen vor Panik, gestern haben Sie das jedenfalls getan – warum machen Sie sich kaum oder nur wenig Sorgen?

Wansleben: Na ja, also ich meine, sorgenfrei kann wohl keiner sein, der sich das anguckt. Ich glaube, wir müssen zunächst einmal vom Ausgangspunkt her drei Phänomene auseinanderhalten: Das ist die Realwirtschaft oder die weltkonjunkturelle Situation, das ist das Zweite, die Geschehnisse an der Börse, und das Dritte sind die Krisen der Staatsfinanzen, leider muss man ja sagen in der westlichen demokratischen Welt. Das macht die Sache noch schwieriger.

Die Weltkonjunktur ist relativ stabil in die jetzige Situation hineingekommen, das gilt erst recht für die Märkte in den sogenannten BRIC-Staaten, also in Brasilien, in Russland, in Indien, in China läuft es sehr, sehr gut, wichtige Kunden, weltweit, und die deutschen Unternehmen sind wirklich weltweit spitzenmäßig aufgestellt. Insofern gehen wir relativ kraftvoll da rein.

Was wir allerdings schon seit Monaten wissen, ist, dass ein Wachstum, wie wir es in Deutschland haben von 3,5 Prozent, jetzt nicht zu dem gehört, was man in Zukunft als normal bezeichnen darf. Das heißt also, wir wussten, dass das Wachstum – ich betone, das Wachstum – und die Zuwachsraten möglicherweise dann im nächsten Jahr etwas niedriger ausfallen. Aber im Moment haben wir keinerlei Anzeichen dafür, dass das, was jetzt da an den Börsen geschieht – dann kommen wir zum zweiten Thema – wirklich unmittelbar Einfluss hat jetzt in diesem Ausmaß auf das Weltkonjunkturgeschehen.

Ostermann: Na ja, Herr Wansleben, aber es hängt doch alles mit allem zusammen.

Wansleben: Genau, deswegen habe ich ja vom Ausgangspunkt gesprochen, da haben Sie völlig recht.

Ostermann: Dafür bin ich auch sehr dankbar. Die US-Wirtschaft lahmt, Frankreich könnte sein hohes Rating verlieren. Das muss doch automatisch auch Auswirkungen auf den Export haben?

Wansleben: Jetzt kommen wir auf die Börse. Möglicherweise übertreiben die Börsen jetzt nach unten hin, möglicherweise haben sie vorher übertrieben nach oben hin. Der Eindruck drängt sich ja auf, denn wenn jetzt die Erwartungen, die Prognosen der Firmen nicht noch weiterhin noch optimistischer sind als die aktuelle Situation, wenn dann die Börse abknickt, dann muss man ja sagen, so ein bisschen war offensichtlich die Erholung nach Krise, die ja stürmisch gewesen ist seit 2009, so ein bisschen auf Sand gewachsen. Man hat den Eindruck, dass da irgendwas dran ist, dass es da einer Konsolidierung bedarf. Mein persönlicher Eindruck ist, dass im Moment die Börsen nach unten hin übertreiben, das heißt also, keiner will jetzt der Erste sein, der sagt, ganz so schlimm wird es nicht werden. Ich meine, es wird ganz so schlimm nicht werden, und ich bin sehr gespannt, im Laufe der Woche erwarten wir eher, dass sich jetzt dieser Abfall abbremst und dass es möglicherweise zu einer leichten Konsolidierung kommt.

Ostermann: An den Börsen spekulieren natürlich auch die Banken, das haben wir vor wenigen Minuten bei uns hier gehört, und an den Banken hängen natürlich auch viele Firmen, weil sie Kredite brauchen. Ist das nicht ein riskantes Spiel derzeit?

Wansleben: Ja, also im Moment gibt es ja diese Finanzkrise, diesen kumulativen Abwärtstrend, den wir 2008, 2009 gesehen haben, das hatte ja Finanzierungsengpässe, und das ist genau das, was Sie ansprechen. Die Banken sind im Moment, sagen wir mal aus der Krise gelernt, schon vorsichtiger, und man kann ja nur appellieren daran und sagen, keine Bank darf vergessen, dass sie auch dafür da ist, zumindest auch dafür da ist, Finanzierung der Realwirtschaft zu ermöglichen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein verantwortlicher Bankmanager diese Kernaufgabe jetzt gerade nach den Erfahrungen der Krise infrage stellt. Insofern glaube ich, dass wir – oder wissen wir auch aus den Gesprächen – dass wir, falls es jetzt zu einem Abwärtstrend kommt – ich sage bewusst keine Krise, weil das erwarten wir nicht –, dass die Banken, was ihre Finanzierungsleistungsfähigkeit angeht, in einer besseren Konstitution sind.

Ostermann: Aber unter dem Strich gehen Sie in diesem Zusammenhang davon aus, dass Ihre Herbstumfrage wesentlich schlechter ausfällt als die im Frühjahr?

Wansleben: Wir gehen davon aus, dass wir in der Herbstumfrage sagen werden, dass die Zuwachsrate des Bruttoinlandsproduktes Deutschlands für das Jahr 2012 niedriger ist als 3,5 Prozent. Davon gehen wir aus, also dass die Zuwachsraten sich normalisieren werden. Aber im Moment haben wir keine Anzeichen dafür, dass es jetzt wirklich runterstürzt.

Aber es gibt noch, Herr Ostermann, wenn ich das ansprechen darf, schon noch einen dritten Punkt, der einem auf der einen Seite Sorgen machen kann und auf der anderen Seite auch Mut machen kann: Das ist die Krise der Staatsfinanzen. Denn was wir so ein bisschen erleben, ist, dass wir als normale Bürgerinnen und Bürger das Gefühl haben, dass die Politik eher ohnmächtig ist, weil es so wahnsinnig schwer ist, die klaren Konturen zu erkennen – wenn es sie überhaupt gibt – dessen, was da auf europäischer Ebene geschieht, was in den USA geschieht oder was in den einzelnen Nationen, also in den einzelnen Ländern geschieht. Und das scheint mir ein wirkliches Problem.

Das heißt also, ich glaube, dass es wichtig ist, dass hier nicht nur jetzt Reformen angepackt werden, im Übrigen auch in Deutschland – tue keiner so, dass wir keine Probleme hätten –, aber dass zum Beispiel die Kommission viel stärker herausarbeitet, was jetzt geschehen ist schon, anstatt darüber zu spekulieren, was vielleicht noch geschehen müsste, damit es noch besser wird und damit alles wieder zu destabilisieren.

Ostermann: Sie hatten vor dem Eurogipfel am 21. Juli starke Signale der Politik gefordert, die scheint es also nicht gegeben zu haben?

Wansleben: Ich glaube, dass viele Entscheidungen besser sind, als sie kommuniziert werden und als sie auch sagen wir mal in der Diskussion im Nachhinein leider auch durch die Kommission gemacht werden, ich glaube aber auch, dass die Probleme so sind, dass sie gar nicht mit – jetzt sage ich das bewusst, mal so despektierlich – mit europäischen Finanztricks gelöst werden können. Kein Mensch in Europa kann mal eben Italien mitschultern, sondern das ist schon eine fundamentale Aufgabe der Italiener, jetzt Reformen anzupacken, um ihre Volkswirtschaft wettbewerbsfähiger zu machen und die Staatsfinanzen zu sanieren. Deswegen hilft es jetzt auch nicht, so einseitig zu sagen, wir brauchen keine Transferunion, oder zu sagen, wir brauchen Eurobonds, nein, wir brauchen klare Reformen in den Nationen, also in den Staaten, und wir brauchen ein stringenteres Regime – das hat ja Herr Rösler zu Recht sehr, sehr deutlich gefordert – ein stringenteres Regime in Europa. Wer Hilfe bekommt, hat auch klare Reformen einzuleiten.

Ostermann: Müssen wir Verbraucher uns Sorgen machen?

Wansleben: Ja gut, Sorgen müssten wir uns ja aus zwei Gründen machen: Wenn wir eine völlige Krise kriegen und viele ihre Jobs verlieren, das sehe ich im Moment nicht. Ich glaube, da sollte man auch aufpassen, jetzt völlig falsch zu zündeln. Übrigens, das ifo-Institut sagt ja auch, die deutsche Wirtschaft ist im Moment noch in einer Sommersituation, also nicht in einer Regensituation, wie wir sie haben, sondern in einer guten Situation, also auch die erwarten keine wirkliche Krise.

Der zweite Grund, warum man sich Sorgen machen könnte, wäre die Frage Inflation, aber dafür bedarf es auf der einen Seite ganz viel Geld, da könnte man sagen, durch Aktionen wie meinetwegen durch die EZB auch, dass Staatspapiere angekauft werden, könnte so was geschehen, oder gerade in den USA, aber dazu bedarf es auch, sagen wir mal, limitierter Angebotsmöglichkeiten. Und im Moment habe ich den Eindruck, dass der kapitalsparende technische Fortschritt zu so viel Flexibilität im Güterangebot sorgt, dass das nicht so dramatisch sein kann.

Ostermann: Martin Wansleben, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages. Herr Wansleben, danke für das Gespräch!

Wansleben: Bitte sehr, Herr Ostermann!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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