Die Verrechtlichung der Welt

27.05.2010
Die Menschenrechte sind universell, gelten für jeden und überall auf der Welt. Dieses Ideal wurde zwar bis heute nicht erreicht. Aber immerhin sind die Menschenrechte zum Leitbegriff internationaler Politik geworden. Wie es dazu kam, erklärt das Buch "Moralpolitik".
Das Buch thematisiert, wie die Idee der universalen Menschenrechte, die für jeden Einzelnen überall auf der Welt gelten sollen, zu einem zentralen Thema der internationalen Politik im 20. Jahrhundert wurde. Der Sammelband geht auf eine internationale Konferenz des Wissenschaftszentrums für Sozialforschung in Berlin 2008 zurück. Autorinnen und Autoren aus verschiedenen Staaten und Kontinenten bringen ihre Perspektiven ein.

Zunächst wird nach den Ursprüngen der Menschenrechtsidee gefragt. Ausgangspunkt der Beiträge des ersten Teils ist aber das Jahr 1945, das zwar nicht als die Stunde Null verstanden wird, aber doch als "Bruch mit der Vergangenheit". Die "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte" von 1948 war die Antwort auf die Völkermordverbrechen der Nationalsozialisten.

Welche Auswirkung sie auf die neue Weltordnung hatten, wie sie im Kalten Krieg an Bedeutung verlor und dennoch von Freiheitsbewegungen immer wieder aufgerufen wurde, beschreiben Historikerinnen und Historiker aus den USA, Australien, Dänemark oder Deutschland. Die Spannbreite ihrer Beiträge reicht dabei von Porträts wichtiger Protagonisten in der Menschenrechtspolitik bis zur Analyse der unterschiedlichen Zusammenhänge, in denen die Menschenrechte internationalisiert wurden. Und sie zeigen, wie schwierig es war, die Menschenrechte im Völkerrecht zu verankern.

Der zweite Teil des Buches widmet sich der "Verrechtlichung der Welt", wieder werden vor allem Brüche und Ungereimtheiten beschrieben. Frankreich und Großbritannien beteiligten sich einerseits als demokratische Rechtsstaaten in Europa am Aufbau des internationalen Menschenrechtsregimes, auf der anderen Seite setzten sie als Kolonialmächte in den Dekolonisierungskriegen in Kenia und Algerien elementare Grundrechte außer Kraft. Die Dekolonisierung geht einher mit der Entwicklung der Menschenrechte.

Das Thema durchzieht die Beiträge des Buches wie ein roter Faden. Zum überaus breiten Spektrum des Buches gehört auch das internationale Strafrecht, das mit den Nürnberger Prozessen begann und erst 50 Jahre später mit den Ad-hoc-Kriegsverbrechertribunalen für Jugoslawien und Ruanda fortgesetzt wurde. Andere Beiträge befassen sich mit der Menschenrechtspolitik im Sozialismus.

Die Autorinnen und Autoren haben sich das Ziel gesetzt, historisch zu verfolgen, wie die Menschenrechte in den globalen Krisen und Konflikten des vergangenen Jahrhunderts ihre universelle Evidenz gewonnen haben. Ein solches Ergebnis lässt sich jedoch nicht eindeutig erkennen, es verliert sich in der Vielzahl der Beiträge. Dennoch ist das Buch hoch interessant und jeder einzelne Aufsatz hilft, die komplizierten Zusammenhänge in der internationalen Menschenrechtsdebatte besser zu durchschauen.

Besprochen von Annette Wilmes

Stefan-Ludwig Hoffmann (Hrsg.): Moralpolitik – Geschichte der Menschenrechte im 20. Jahrhundert
Wallstein Verlag, Göttingen 2010
437 Seiten, 29,90 Euro