Die Verkörperung des neuen Amerika

Von Georg-Friedrich Kühn · 13.12.2008
Einen spektakulären Erfolg landete George Gershwin bereits 1924 mit seiner "Rhapsody in Blue”. Mit seinem Werk "Ein Amerikaner in Paris" stieg der erst dreißig Jahre alte Komponist jedoch endgültig auf in den Olymp der amerikanischen Komponisten. Seine Musik galt als die Verkörperung des neuen Amerika. Vor 80 Jahren, 1928, wurde das Werk in New York uraufgeführt.
Die "Singschule" in der Nachkriegs-Verfilmung von "Ein Amerikaner in Paris": Gene Kelly als ehemaliger GI, der französischen Kindern amerikanisches Lebensgefühl nahe bringt mit Stepptanz und Bubble Gum - und als einer, der George Gershwin auch gern sein wollte: ein Maler in der Stadt, die er besonders liebte, und wo er mit der anderen Hälfte seines Ichs, einem Komponisten und Pianisten, Tür an Tür lebt.

Der reale George Gershwin - eigentlich Georgi Gershovitz, die Eltern emigrierten aus Russland - kam 1928 nach Paris; da war er knapp 30. Durch seine Songs und Musicals, seine "Rhapsody in Blue" und das "Concerto in F", die Einbindung des Jazz in die populäre und die symphonische Musik, galt er als die musikalische Verkörperung des neuen Amerika - und er fühlte sich auch so.

Frühjahr und Sommer verbrachte Gershwin an der Seine mit Abstechern nach London und Wien, wo er die Witwe von Johann Strauß und auch Alban Berg besuchte. In Paris entstand die Idee zu dem "rhapsodischen Ballett" für Klavier und Orchester "An American in Paris", das er bei der Rückkehr nach New York als seine bislang "modernste Musik" bezeichnete. Sein Programm:

"Die Eindrücke eines amerikanischen Reisenden wiederzugeben, der durch Paris schlendert, auf den Straßenlärm hört und die französische Atmosphäre in sich aufnimmt."

Im Unterschied zur vier Jahre älteren "Rhapsody in Blue" orchestrierte Gershwin das Stück auch selbst. Und das Orchester war nicht eine erweiterte Jazz-Combo wie bei der "Rhapsody", sondern es waren New Yorks Philharmoniker, die unter der Leitung des Chefs der "Symphony Society", Walter Damrosch, das Werk am 13. Dezember 1928 in der Carnegie Hall uraufführten. Gershwin war im Olymp.

Er selbst spielte den Solopart des dreigliedrigen Werks mit den futuristisch-original-Pariser Taxi-Hupen im ersten, dem Blues im Mittel- und dem Charleston im Schlussteil. Rückblickend meinte ein Kritiker:

"Mit dieser Tondichtung, die den Geist eines ganzen Jahrzehnts widerspiegelt, schuf Gershwin ein musikalisches Paradoxon, nämlich eine Zeitmusik, die immer zeitgemäß sein wird."

Was Uraufführungsdirigent Damrosch mit der Einladung an Gershwin eigentlich bezweckte, ihn ins Lager der E-Musik herüber zu locken, glückte nicht. Gershwin wusste, was er konnte und was nicht.

Er liebte die kleine Form, aber war begierig dazuzulernen: bei Ravel etwa, der ihn indes fragte, warum er ein zweitklassiger Ravel werden wolle, wo er doch ein erstklassiger Gershwin sei; oder bei Strawinsky, der mit Blick auf Gershwins stattliches Konto eher bei ihm Unterricht nehmen wollte als umgekehrt.

Sechs Jahre nahm Gershwin sich zum Studium der Kunstform Oper, lebte mit den Schwarzen im Süden, um "Porgy and Bess" zu komponieren. Am glücklichsten war er, wenn er Klavier spielen konnte auf Partys oder in der Concert Hall.

"As a start we ask the orchestra to give us the overture.”"

1937 starb Gershwin, noch keine 39 Jahre, an einem Hirntumor. Kurt Weill und Leonard Bernstein trugen sein Erbe weiter. Im Nachruf der "New York Times" hieß es über ihn, der als Hilfspianist in einem Verlag begonnen hatte, mit seinem Bruder Ira die ersten Songs schrieb - und als Mann am Klavier durch sein eigenwilliges Spiel bald berühmt wurde:

""Als ernster Komponist ist er nie weiter gekommen, als bis zu einem bestimmten Punkt. Aber er hat mit seinen für ihn charakteristischen Stücken etwas geschaffen, was nur er schaffen konnte: so frisch, neu und lebendig - ein Ohrenschmaus."