Die stolzen San

Von Claus Stäcker · 16.04.2012
Sie leben überwiegend in Botswana, Namibia und Südafrika - die schätzungsweise rund 100.000 San. Entwicklungsgeschichtlich gehören sie zu den ältesten Volksgruppen der Welt. Ihrem originären Lebensstil -der Jagd - kommen nur noch die Wenigsten nach. Die neue Hoffnung heißt sanfter Tourismus.
Hier ist sie also: Buschmanns Idylle. Gelobtes Land. Die Zukunft, die sie erobern wollen. Die Vergangenheit, in die sie zurückkehren. Die Kalahari. Hier sitzen: sie im roten Wüstensand, schauen sehnsüchtig zum grauen Himmel hinauf, der seltenes Glück verheißt: Regen.
Sie singen ihn herbei, die Khomani San, wie die Weißen sie nennen und wie sie auf allen offiziellen Papieren heißen. Aber das sei Schnickschnack, sagt Toppie Kruiper von edlem Blut, Erstgeborener von David Kruiper, dem Clanführer: Drumherumgerede.

"Schau, für uns ist das wie mit einer Schlange. Sie kommt zwar zum Ziel, aber krümmt und schlängelt sich - so ist das mit dem San-Begriff. Wir mögen es lieber gerade drauf zu, wie beim Namen Buschmann. Wir sind stolz auf den Namen. Er beschreibt uns direkt - wir haben so viele Probleme, da müssen wir uns doch nicht winden wie eine Schlange."

Die Idylle liegt im Kgalagadi Transfrontier Park, einem grenzüberschreitenden Nationalpark zwischen Südafrika, Namibia und Botswana. Hier haben die Buschmänner 1999 einen geschichtsträchtigen Vorgang in Bewegung gebracht. Nach Jahrhunderten der Unterjochung, Ausbeutung, Diskriminierung, Isolierung hat das Erste Volk der Kalahari, wie sie sich auch nennen, 100.000 Hektar Land zugesprochen bekommen. 60.000 davon im Nationalpark. Ödes, karges Land, wie es Europäer empfinden würden, wertlos, kaum nutzbar. Heimaterde, Land der Ahnen, so sehen es die Khomani San.

"Ich war damals schon fast 30, aber musste für einen weißen Buren Schafe hüten. Jeden Tag habe ich daran gedacht, dass sie uns unser altes Land zurückgeben müssen. Als dann im März 1999 endlich eine Einigung erreicht wurde, bin ich sofort zurückgekehrt. Ich wusste, dass ich nie wieder für andere arbeiten wollte - sondern leben wie meine Vorfahren. Mich frei bewegen wie sie: Hier, mitten im Nationalpark, in der Kalahari, das ist meine Lebensentscheidung. Und meine Chance."

Ihre trostlosen Wohnorte Andriesvale und Askham liegen drei Autostunden entfernt. Die 1500 Khomani-San leben in kleinen Gruppen verstreut über eine Fläche, halb so groß wie das Saarland. Fast 2000 Jahre lang waren sie auf der Flucht - vor schwarzen Viehzüchtern, vor weißen Landräubern, die Buschmänner töten durften wie Tiere. Bis 1927 gaben die Behörden entsprechende Jagdscheine aus. Sie flohen vor Nationalparkwächtern, die seit 80 Jahren Kalahari-Löwen schützen, die Ureinwohner aber zusammentrieben wie Schädlinge. - Heute erlauben sie die San im Park, müssen sie erlauben. So kommen die Buschleute und testen ihr altes Leben. Für ein paar Tage, Wochen. In einer Art Museumsdorf, unweit einer Vier-Sterne-Lodge, die Teil ihres Zukunftsprojekts ist. Gut gelaunt sitzen sie im Sand und reden, schmieden Pläne. Führen Kalahari-Urlaubern ein Stück heile Buschmannwelt vor.

Die Khomani San sind sehr umsichtige Naturschützer, wie bei einer Pirsch mit Toppie Kruiper schnell deutlich wird. Nie nehmen sie mehr als nötig. Der 40-jährige Buschmann findet Stachelschwein-, Honigdachs- und Löwenspuren, erklärt auf die Stunde genau, wie alt sie sind und anhand ihres Pfotenabstands, wie groß das Tier war. Und aus jedem zweiten Dornengestrüpp scheint er herauszuholen, was es gar nicht gibt in der Kalahari: Wasser.

Ein guter Liter tropft aus einer einzigen Wurzel, indigenes Wissen aus erster Hand. Aber, räumt Toppie Kruiper ein, auch er lernt noch jeden Tag dazu. Zu lange hat er ein westliches Fremdleben geführt, sagt er. Zu viel Wissen schon verloren. Ihren lokalen Dialekt N!u beherrschen nur noch zwei Alte in ihrer Kommune Andriesvale. Er scheint nach 20.000 Jahren zu sterben. Sie reden Afrikaans, die Sprache der weißen Siedler. Es ist nicht einfach, ihre neue, alte Rolle zu bestimmen.

"Es ist ja nicht so, dass ich mein bisheriges Leben wegwerfen will. Oder den westlichen Teil davon. Er gehört genau so zu mir und ist nicht wegzudenken. Zum Beispiel das Wasser - wir hängen genauso davon ab wie die Tiere. Aber überall gibt es Brunnen und wenn es in der Kalahari nur einmal im Jahr regnet, brauchen auch wir Brunnen. Das heißt aber nicht, dass wir unsere Traditionen aufgeben, unsere wiedererkämpften Rechte. Die neu gewonnene Heimat. Wir werden immer dorthin ziehen, wo die Tiere sind, wo sie ihre Wasserstellen finden. Das werden wir nie aufgeben. Aber das westliche Leben auch nicht."

So pendelt auch Toppie Kruiper zwischen dem drei Autostunden entfernten Kaff Andriesvale und der !Xaus-Lodge. Nach drei Wochen verlässt er die Wüste, nur in der Trockenzeit bleibt er länger. An der Basis Andriesvale fahren jährlich Zehntausende Kalahari-Touristen auf ihrem Weg zum Nationalpark vorbei. Nur wenige bleiben an den dürftigen Souvenirständen stehen. Das soll sich ändern. Das einst verschlafene, trostlose, von zugedröhnten San geprägte Dorf beginnt sich zu regen. Ein Informationscenter gibt es neuerdings, mit PC und Internetverbindung. Eine Stiftung, die die geschäftlichen Anliegen der Ureinwohner unterstützt. Und einen jungen Buschmann im coolen City-Look, der überhaupt nicht ins Bild passen will: Dierk Pienaar, 29.

"Mein Onkel, einer der traditionellen Führer hat mich damals zur Landübergabe eingeladen. Ein großes Ereignis für uns, ein Fest, ich habe zum ersten Mal den damaligen Präsidenten Thabo Mbeki, gesehen, all die Leibwächter, Regierungsleute, die Fotografen - wir haben gestaunt und gut gegessen. Aber die Dimension des Ganzen haben wir überhaupt noch nicht begriffen. Die Regierung machte einen Fehler, sie übergab das Land an Kleinbauern, die gar keine waren. Sie waren dafür nicht qualifiziert, leben bis heute mit ihrem Vieh von der Hand in den Mund, das ist bis heute Problem. "

Dierk Pienaar ist nicht in der Kalahari groß geworden, er zog mit seinen Eltern von Minensiedlung zu Minensiedlung, bis sie sich scheiden ließen und er zum Onkel musste. Der Onkel erkannte sein Potenzial - Dierk machte Abitur, studierte Jura. Musste aber abbrechen, aus Geldmangel. Nun leitet er für Andriesvale und Umgebung die Jugendprojekte und er hat sich zum Naturparkführer qualifiziert. Bald will er seine eigene Buschmann-Reiseagentur eröffnen.

"Wir sind inzwischen überzeugt, dass Tourismus die beste Möglichkeit ist, unsere Gemeinde nach vorn zu bringen. Gerade wegen unserer Geschichte, unserem Wissen, unserer Kultur könnte Tourismus unser bestes Produkt werden."

Es sind zwei Tagesreisen von den Khomani-San bis zu den Buschleuten von Metsiamanong in Botswana, deren Nationalpark noch karger und größer ist, so groß wie Dänemark, einer der größten der Welt. Mit Hilfe der britischen Menschenrechtsorganisation Survival International haben sie nach achtjährigem Gerichtsstreit von der Regierung erst das Recht erkämpft, in ihre Heimat, den Nationalpark zurückzukehren und dann auch noch das Recht, ihren einzigen Brunnen, 50 Kilometer entfernt, wieder zu öffnen.

Sie freuen sich über ihren zweiten Erfolg vor Gericht, von dem sie noch gar nichts wissen, als ich sie besuche. Sofort diskutieren sie, ob man nun besser eine Diesel- oder einen Solarpumpe installiert. Spontan stimmen sie ein Wasserlied an - denn Wasser ist Leben. Niemand weiß das besser als die Buschleute, die seit mindestens 20.000 Jahren in der Wüste leben. Über einen Fünf-Liter-Wasserkanister aus dem Supermarkt freuen sie sich riesig, wenn auch leise. Sorgsam füllen sie Wasser in eine Schale ab. Sie wandert von Mund zu Mund, wird in den Händen gewogen wie ein Cognac-Schwenker. Sie nippen und genießen, keiner schluckt hastig. Ein eindringlicher Augenblick.

Nur in der Regenzeit bilden sich auf den großen Salzpfannen, auf denen sich Antilopen, Löwen und Geparden tummeln, größere Pfützen. Für die Trockenzeit aber brauchen sie den Brunnen, den der Diamantenkonzern De Beers 1992 bohren und die Regierung vor wenigen Jahren wieder schließen ließ. Sie wollte die Basarwa zum Fortschritt zwingen.
Doch drei Jahre später verliert die Regierung den Prozess gegen die Basarwa. Und die erste Gruppe zieht zurück in den Park. Ihr Ältester ist Nare Gaoberekwe, er muss fast 80 sein. Dass Hitler noch an der Macht war, als er geboren wurde, ist der einzige Anhaltspunkt, den er für sein Geburtsdatum liefern kann.

"Ich möchte nichts anderes als so leben wie meine Vorfahren. Als Botswana unabhängig wurde haben sie uns hier Wasser hergebracht, mit Tankwagen. Sie kamen mit mobilen Kliniken, sie hatten sogar eine Grundschule für unsere Kinder. Und dann plötzlich haben sie uns alles wieder weggenommen und den Brunnen zugeschüttet, weil sie uns nicht mehr im Nationalpark haben wollten. Aber wir haben auch Rechte, wir leben schon immer hier. Sie müssen uns die Freiheit geben, so zu leben, wie wir es wollen."

Schon die Zwangsumsiedlung hatte das Gericht in Lobatse als verfassungswidrig eingestuft. Aber die Buschleute danach vom Wasser abzuschneiden, erklären die Richter im zweiten Verfahren 2011, sei "ein Akt mit grauenvollen Konsequenzen" gewesen. Endlich lenkt die Regierung ein. Zwar öffnet sie den Brunnen noch immer nicht. Aber wenigstens behindert sie die Freilegung nicht mehr. Die Basarwa haben reiche Förderer, neuerdings sogar eine Diamantenfirma, die im Parkgebiet schürfen darf. Seit September 2011 läuft der Brunnen in Mothomelo.

Der Solarmotor hat sich durchgesetzt, Buschleute kommen mit Ziegen und Hunden zur Wasserstelle, aber auch mit Pick-ups und großen Fässern. Denn Metsiamanong, die größte der drei Siedlungen im Park, ist 50 Wüstenkilometer entfernt. Dort sitzen Nare Gaoberekwe und seine Gemeinde im Schatten eines großblättrigen Regenbaumes und diskutieren, wie es weitergehen soll. Die Frauen sitzen dabei, halten sich aber zurück. Jetzt haben sie den Brunnen. Aber können sie auch jagen wie früher? Das ist verboten. Leben wie draußen? Nicht erlaubt. Sogar ihre Ziegen wurden schon mal beschlagnahmt. Die botswanische Regierung, die so oft als Vorbild für Afrika gepriesen wird, macht es den Ureinwohnern schwer. Deren Sprecher Jumanda Gakelebone zum Beispiel wurde letztes Jahr auf dem Weg in die Kalahari festgenommen, weil er plötzlich zum ersten Mal eine Zutrittsgenehmigung brauchte.

"Das ist die Taktik der Regierung, alle anderen Buschleute, die außerhalb des Parks leben, vom Land ihrer Ahnen fernzuhalten, aber das wird nicht funktionieren!"

Die Buschmänner leben in der Wüste, aber nicht hinterm Mond. Sie hören Nachrichten, vergleichen ihre Lage mit der Opposition in Simbabwe. Sprecher Gakelebone kommt mit Geländewagen und Satellitentelefon. Noch ein paar andere Dienstleistungen hätten sie ganz gern im Park - die stellvertretende Informationsdirektorin im Außenministerium, Daphne Mlotshwa, die für die Regierung im 14 Stunden entfernten Gaborone reden muss, rollt sichtbar genervt mit den Augen. Sie weiß von etwa 200, 300 Rückkehrern im Parkgebiet, von den drei mehr oder minder dauerhaft bewohnten Siedlungen, die sie "feste Strukturen" nennt und als nationalparkunverträglich ablehnt. Schulen, Kliniken, Strom, Wasser - sogar Jagdlizenzen - gibt es nur draußen, außerhalb des Parks.

"Wir können keine Dienstleistungen in das Naturschutzgebiet bringen, das verbieten uns die eigenen Gesetze, deswegen ermuntern wir die Leute dorthin zu gehen, wo es diese Dienstleistungen gibt - im Kalahari Park ist das, vielleicht sollte ich das Wort gar nicht benutzen, nicht kostengünstig...."

Dieses Argument ist verräterisch, es zeigt, dass es der Regierung noch immer lieber wäre, die Buschleute würden sich fügen. Manchmal rutscht Offiziellen das Unwort von den "Primitiven" heraus. Die sich weiterentwickeln und anpassen sollten, so wie es alle Menschen seit Jahrtausenden tun. Adapt or Die. Passe dich an oder stirb. Aber dort draußen, in den Siedlungen Kaudwane und New Xade, das ist kein Leben, sagt der berühmteste aller Rückkehrer, der alternative Nobelpreisträger von 2005, Roy Sesana. Er wohnt wieder in seinem Geburtsort Molapo im Nationalpark, zwei Autostunden von seinem Vetter Nare Gaoberekwe entfernt. Der Nobelpreisträger kommt barfuß, im zerschlissenen T-Shirt und bettelt mich um Tabak und Essen an.

"Wovon kann ich draußen leben? Die Stadt braucht mich nicht. Ich gehe noch manchmal zurück. Aber leben will ich nicht dort. Ich habe meinen Wasserkanister genommen und bin in die Heimat meiner Vorfahren zurückgekehrt, das ist meine Kultur, meine Tradition."