Die Renaissance des Jüdischen

Von Klaus Hödl · 26.02.2013
Spätestens seit der Wende zum 21. Jahrhundert gibt es eine Renaissance des Jüdischen in Israel. Einerseits wird es als eine Bereicherung des Israelischen gesehen. Anderseits wird das Jüdische stark ideologisch und gleichermaßen ethnisch verstanden, warnt der Historiker Klaus Hödl.
Es ist ein Trend, der sich bereits seit Jahren abgezeichnet hat. Nun hat er sich symbolisch bei den Parlamentswahlen zur Knesset niedergeschlagen. Die Partei "Habayit Hayehudi, das Jüdische Haus" war erfolgreich, während "Yisrael Beiteinu, Unser Israelisches Haus" hinter ihren Erwartungen geblieben ist. Das Jüdische gewinnt zulasten des Israelischen an Bedeutung.

Bis zur jüngeren Vergangenheit war dies vollkommen anders. Die jüdische Bevölkerung bekannte sich freimütig zum zionistischen Ziel, einen "neuen Menschen" zu schaffen. Der neue Israeli sollte das Gegenteil des als schwächlich und kränklich aufgefassten Juden der Diaspora repräsentieren.

Er verkörperte Heldenmut, wurde als kräftig und schön, oft auch blond dargestellt und symbolisierte die Zukunft des Judentums. Nichts mehr durfte an das Leben in der Diaspora, an die Shoah erinnern. Nie mehr sollte ein Israeli Antisemitismus wehrlos erdulden.

Spätestens seit der Wende zum 21. Jahrhundert gibt es eine "Renaissance des Jüdischen". Einerseits wird es als eine Bereicherung des Israelischen gesehen. So interessieren sich die Israelis mittlerweile für die weitestgehend ausgelöschte osteuropäische jüdische Kultur.

Noch in den 80er- und vor allem 90er-Jahren hatten sie argwöhnisch und verwundert beobachtet, wie in den USA und Europa, vor allem aber in Deutschland, Klezmerbands entstanden und Yiddisch einen Boom erlebte. In der Zwischenzeit gibt es in Israel selbst eine erkleckliche Anzahl von MusikerInnen, die sich dem Genre des Klezmer widmen und dabei auf große Resonanz stoßen.

Der vielleicht deutlichste Beleg für die neue Offenheit gegenüber der bislang abgelehnten Diasporakultur zeigt sich im Nachbau eines osteuropäischen Schtetls unweit von Tel Aviv. Bisher galt es als Inbegriff für eine Lebensweise, die all die Eigenschaften des Jüdischen hervorgebracht hat, zu welchen das Israelische einen Kontrast bilden sollte. Mit dem living history museum wird die abwertende Sichtweise jedoch hinterfragt, wie gesagt einerseits.

Andererseits wird das Jüdische stark ideologisch und gleichermaßen ethnisch verstanden. Diese Engführung findet man vor allem unter radikalen Siedlern sowie religiösen Orthodoxen. Sie sehen ihre Gegner sowohl in liberalen, säkularen Juden, die als zu wenig jüdisch und stattdessen zu israelisch gelten, und vor allem auch in den Arabern des eigenen Landes.

Bisweilen erhält diese Haltung eine äußerst hässliche Fratze. Beispielsweise, wenn Rabbiner meinen, jüdisches Leben zähle mehr als das eines Nichtjuden und die Ermordung eines Juden bedeute eine größere Untat als die eines Nichtjuden.
Auch die offizielle Politik zeigt sich gegenüber dem neuen Trend nicht resistent. Ein jüngst beschlossenes Gesetz erwartet von jenen, welche die israelische Staatsbürgerschaft erwerben wollen, ein Bekenntnis zu Israel als einem jüdischen und demokratischen Staat. Ja, Avigdor Lieberman will die so definierte Loyalität sogar von allen BürgerInnen verlangen, auch von arabischen, von palästinensischen.

Das Jüdische in diesem Sinne markiert Zugehörigkeit, grenzt "das Andere" aus. Wer die Geschichte Israels kennt, darf jedoch zuversichtlich sein, dass es genügend Kraft besitzt, um eine exklusive Auslegung des Jüdischen in seine Schranken zu weisen - eine Kraft, die auch anderswo Gesellschaften aufbringen müssen, um radikalen und intoleranten Strömungen zu begegnen.

Klaus Hödl ist Historiker am Centrum für Jüdische Studien an der Karl-Franzens-Universität Graz, dessen Gründungsdirektor er von 2001 bis 2007 war, und Autor von sechs Monografien über osteuropäische Juden, Bilder des jüdischen Körpers und jüdische Geschichtsschreibung, zuletzt "Kultur und Gedächtnis", September 2012, Verlag Ferdinand Schöningh.
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