Die Protokolle von Trent Park

Rezensiert von Andreas Baum · 06.12.2005
Generäle der Wehrmacht, die während des Zweiten Weltkrieges in britische Gefangenschaft gerieten, wurden in Trent Park, einer schlossähnlichen Anlage in der Nähe von London, verhört und abgehört. Sönke Neitzel hat nun die von den Briten verfassten Protokolle in seinem Buch "Abgehört" dokumentiert. Sie geben einen ungefilterten Einblick in die Gedankenwelt der militärischen Elite Hitler-Deutschlands.
So gut wie alle deutschen Generäle und hohen Offiziere kamen, gerieten sie während des Zweiten Weltkrieges in britische Kriegsgefangenschaft, zunächst nach Trent Park, in ein Gefangenenlager der besonderen Art. Trent Park war eine schlossähnliche Anlage nördlich von London, inmitten ländlicher Idylle. Die Unterbringung war vergleichsweise luxuriös, die Generäle durften sogar ihre Burschen, Unteroffiziere, die ihnen als Adjutanten dienten, mitnehmen.

Das Ziel war, die Militärs zu verhören - und sie abzuhören. In der entspannten Atmosphäre begannen die Männer, trotz des Schweigegebotes, sich zu unterhalten und bald auch militärische Geheimnisse auszuplaudern. Die Briten waren geschickt: Sie führten Generäle aus verschiedenen Waffengattungen zusammen, die sich etwas zu sagen hatten und setzten darauf, dass neu Eingetroffene, noch im Bann teilweise traumatischer Erlebnisse der letzten Schlachten, das Bedürfnis haben würden zu reden. Das Übrige tat die Langeweile des absichtlich eintönig gehaltenen Lagerlebens.

Damals galt diese Praxis dem Gewinnen geheimer Erkenntnisse für die Kriegsführung gegen die Deutschen. Die Protokolle von Trent Park blieben nach dem Krieg unter Verschluss, man hielt sie aber auch nicht für besonders interessant. Die Schlachten waren geschlagen.

Heute dienen sie als wertvolle historische Quellen. Sie erlauben einen Einblick in die Denkmuster der Elite innerhalb der Wehrmacht. Die Gespräche kreisten vor allem um vier Themen: Die Aussichten, den Krieg noch zu gewinnen, die Frage, ob und wie mit den Briten zu kollaborieren sei, die eigene Verantwortung an den Kriegsverbrechen und - als Reaktion auf den 20. Juli - die Möglichkeit des Widerstandes gegen Hitler. Die Protokolle geben einen ungefilterten Einblick in die Gedankenwelt der militärischen Elite. Einige unter den Generälen sympathisierten mit Stauffenberg und waren - je nach eigener Erfahrung - dafür, den Krieg eher heute als morgen zu beenden. Zu wenige aber waren in der Lage, über den eigenen Schatten zu springen, selbst als der Krieg verloren war. Kollaboration oder der Tyrannenmord war für die in preußischer Tradition erzogenen Generäle und Obristen Verrat.

Die Edition besteht zu vier Fünfteln aus den sorgfältig ausgewählten Abhörprotokollen. Nur etwa ein Fünftel nimmt der Kommentar des Autors ein. Gerade deshalb sind die Einblicke so wertvoll: Selbst die Sprache der Generäle ist erhalten geblieben, das erlaubt dem Leser in besonderer Weise, sich in ihre Innenwelt einzufühlen. Ihre Ehre war diesen Männern das Wichtigste - wichtiger als das eigene Leben und das ihrer Kameraden, wichtiger auch als der gesunde Menschenverstand. Folgt man diesen langen Gesprächen, beginnt man zu verstehen, warum der Widerstand der deutschen Offiziere so spät kam und so zaghaft war: Ihr wilhelminisch geprägter Ehrbegriff lief auf Kadavergehorsam hinaus. Jahrelang haben sie widersinnige und selbstzerstörerische Befehle aus dem Führerhauptquartier befolgt - oft gegen besseres Wissen. Auch der Befehl zum Völkermord wurde befolgt. Zwar revoltierte bei manchen das Gewissen angesichts des Mordes an Zivilisten, darunter Frauen und Kindern. Stark genug, um Widerstand zu leisten, war ihr Gewissen nicht.

Sönke Neitzel hat eine wichtige Arbeit geleistet. Das Buch führt auf einzigartige Weise die krude Werte- und Gedankenwelt der deutschen Elite in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vor - und belegt noch einmal, dass Deutschland dankbar dafür sein kann, dass diese Generäle den Krieg verloren haben.

Sönke Neitzel: Abgehört. Deutsche Generäle in britischer Kriegsgefangenschaft 1942-1945
Propyläen-Verlag, Berlin 2005
460 Seiten, 26,00 Euro
Rezensiert von Andreas Baum