Die Mimikry der Trockennasenaffen

Von Arno Orzessek |
Der Mensch ist bekanntlich ein Säugetier aus der Ordnung der Primaten und wird zu den Trockennasenaffen gezählt. Weshalb es sich aufdrängt, die abnorme Titelsucht gerade im Biotop Deutschland – einst der natürliche Lebensraum von Dichtern und Denkern – evolutionsbiologisch zu erklären. Und das ist gar nicht so schwer.
Indem sich die Trockennasenaffen Karl-Theodor zu Guttenberg, Veronica Saß, geborene Stoiber, und wohl auch Silvana Koch-Mehrin ihre Doktortitel ermogelt haben, haben sie sich äußerlich zu dem gemacht, was sie der Substanz nach gerade nicht sind: Nämlich zu akademisch-intellektuell hervorragenden Wesen, begabt mit geistiger Schärfe und Originalität, standfest bei der Arbeit am Text, seriös in der Methodenwahl, und so weiter.

In der Biologie werden solche nützlich-riskanten Täuschungsmanöver Mimikry genannt. Das Prinzip dabei heißt unmissverständlich "Signal-Fälschung". Es waltet bei Schwebfliegen, die so tun, als wären sie mordsgefährliche Wespen, genauso wie – man weiß es nun – bei Trockennasenaffen à la Karl-Theodor, der vor aller Welt so tat, als wäre er ein immens gebildeter Doktor summa cum laude.

Wozu gehörte, in der getürkten Arbeit schwülstigsten Gebrauch von Fremdwörtern zu machen – fast alles andere machte er nicht selbst – und in der Öffentlichkeit mit Platon-Originallektüre als Urlaubsvergnügen aufzuschneiden. Das erscheint heute besonders affig, noch kürzlich aber galt KT als höheres Wesen.

Der stärkste Nutzen von Mimikry ist der Schutz vor Fressfeinden. Die verdauliche Schmetterlingsgattung Dismorphia aus der Familie der Weißlinge flattert zum Beispiel im Kleid der eher ungenießbaren Ithomiini herum – und den Vögeln vergeht der Appetit.

Wer aber sind die Fressfeinde von politischen aktiven Trockennasenaffen?

Es sind traditionell die Wähler. Sie erledigen graue, der Durchschnittlichkeit verdächtige Politiker an der Wahlurne bisweilen wie lästige Hausfliegen. Um solchem Schicksal zu entgehen, griffen die rasanten Karriereaffen nicht zuletzt zur Titel-Tarnung – und bis vor kurzem ging ihnen auch alle Welt auf den Leim.

Doch die Evolution ist ein dynamischer Prozess. Wer sich der veränderten Gefahrenlage nicht anpasst, hat ein Problem. Die Selektionslisten der Naturgeschichte sind lang.

Unsere Affen übersahen die neuen Fressfeinde, die sich im Internet auszubreiten begannen und Techniken entwickelten, Texte sauberer in Fremdes und Eigenes zu zerlegen als der Jäger die Beute in Fell und in Fleisch.

Sobald sich die Nerds, deren Hauptspaß es ist, Titel-Tarnungen zu enttarnen, zusammengerottet hatten, war es aus mit der Mimikry alter Schule. WikiPlag entstand, eine wahre Heimsuchung für alle, die sich ihren Titel mittels Raubzügen in fremdem Geisteseigentum verschafft haben.

Dass die Uni Bayreuth als lange Zeit stolze akademische Heimat von zu Guttenberg jetzt offiziell bestätigt, was seit Monaten jeder bei WikiPlag nachlesen kann, erscheint redundant; dass die Wissenschaft ihre Selbstreinigungskräfte feiert, geradezu komisch.

Dass das GuttenPlag-Wiki jedoch für den Grimme-Online-Award vorgeschlagen wurde, ist konsequent und wenig überraschend. Die kulturelle Evolution belohnt die Sieger halt schneller als die biologische.

Karl-Theodor zu Guttenberg indessen darf sich brüsten, in der Geschichte der Mimikry der Trockennasenaffen mehr zu sein als eine bloße Fußnote. Vielleicht wird man einst sagen: Er war der letzte Prominente seiner Art, der es mit dem ganz billigen Plagiat versucht hat. Danach war keiner mehr so blöde.


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