Die Linke am Scheideweg

Von Sebastian Prinz |
Wenn es einen Politiker gibt, auf den die Linkspartei heute nicht verzichten kann, dann ist es zweifellos Lafontaine: Ihm persönlich ist der Erfolg in Westdeutschland zu verdanken, den die alte PDS nie geschafft hat.
Und ohne ihn würde die noch brüchige Allianz der ehemaligen "Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit" und der früheren PDS möglicherweise zerfallen. Ohne Lafontaine hätte es die Fusion der beiden Parteien zur Linkspartei überhaupt nicht gegeben. Und aller Wahrscheinlichkeit nach wäre ohne ihn die PDS heute gar nicht mehr im Bundestag vertreten. Das alles wissen auch Lafontaines innerparteiliche Gegner.

Immerhin sichern die dank Lafontaine errungenen Wahlergebnisse hunderte Arbeitsplätze für Bundestags- und Landtagsabgeordnete sowie Fraktions- und Abgeordnetenmitarbeiter. Aber was kommt nach Lafontaine? Auch wenn er wieder antritt, ist die Zeit, die ihm bleibt, um den Kurs seiner Partei bestimmen, begrenzt, denn er ist bereits 66 Jahre alt.

Der innerparteiliche Streit in der Linken dreht sich um Fragen wie: Welches Sozialismusmodell will die Partei und wie kann sie es erreichen? Soll die Linke Regierungsbeteiligungen anstreben, und wenn ja: Unter welchen Bedingungen? Akzeptiert die Partei Auslandseinsätze der Bundeswehr, wie es die SPD als Voraussetzung für eine mögliche Koalition auf Bundesebene fordert?

Diese Streitpunkte gab es auch schon in der alten PDS. Damals sprach man von einem Kampf der Reformer gegen die Orthodoxen. Für die Orthodoxen stand beispielsweise Sahra Wagenknecht von der Kommunistischen Plattform und für die Reformer Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch. Auch damals schon galt Bartsch – positiv formuliert – als Ober-Realo.

Manche Beobachter der Partei charakterisierten ihn weniger freundlich. So nannte ihn etwa der Journalist Johann Michael Möller einen "aalglatten, karrieregeilen Strippenzieher, dem Programm und Ideologie ziemlich wurscht sind, und der sich stattdessen lieber der eigentlichen Herrschaftsmittel versichert".

Durch die Fusion von PDS und WASG haben sich auch die innerparteilichen Kräfteverhältnisse verändert. Denn damit wurden die Orthodoxen gestärkt: Wer sich als von der Agenda-SPD frustrierter Sozialdemokrat oder Gewerkschafter der WASG angeschlossen hat, wird kaum bereit sein, wie die Brandenburger Linke einen Koalitionsvertrag zu unterschreiben, der dem SPD Wahlprogramm zum Verwechseln ähnelt.

Der rot-rote Senat in Berlin verkaufte sogar landeseigene Wohnungen an eine sogenannte Heuschrecke, den Hedge-Fonds mit dem schönen Namen Cerberus. Und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft nannte ausgerechnet diesen Senat die arbeitnehmerfeindlichste Landesregierung im ganzen Bundesgebiet.

Ganz anders liest sich das Programm der Linken zur kommenden Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen: Dort fordert die Partei unter anderem die Verstaatlichung der Energiekonzerne RWE und E.ON. Da wächst zusammen, was nicht zusammen passt. Deshalb konnte sich die Linkspartei auch über zwei Jahre nach ihrer Vereinigung noch nicht auf ein gemeinsames Grundsatzprogramm einigen.

Welche Kräfte werden sich in der Linkspartei durchsetzen? Sollten es die Radikalen sein, dann wird die Partei weiter fundamentalistisch und populistisch agieren und Proteststimmen einsammeln. Vielleicht kann sie durch diesen Druck aus der Opposition heraus mehr bewirken als mit Regierungsbeteiligung.

Setzen sich aber die Regierungsbefürworter durch, dann würde die Partei sich der SPD als Mehrheitsbeschafferin andienen. Das wäre Regierungsbeteiligung als Selbstzweck beziehungsweise mit dem einzigen Zweck, führenden Linke-Politikern zu Ministerposten und Dienstwagen zu verhelfen.

Aber wofür braucht man eine solche Partei neben der SPD? Und wer würde sie wählen?


Sebastian Prinz, geboren 1970 in Köln, ist promovierter Politikwissenschaftler. In Kürze erscheint seine Untersuchung "Die programmatische Entwicklung der PDS. Kontinuität und Wandel der Politik einer sozialistischen Partei".