"Die Gesellschaft entrümpeln"

Niko Paech im Gespräch mit Nana Brink · 10.08.2013
Rund sechs Wochen vor den Bundestagswahlen beklagt der Volkwirtschaftler Niko Paech eine "Tristesse in den Parlamenten". Gleichförmig würden alle Politiker immer von einem Wirtschaftswachstum ausgehen und entsprechende Konzepte entwickeln. Aber das funktioniere nicht mehr.
Nana Brink: Seit dieser Woche ist ganz offiziell die Endphase des Wahlkampfs eingeläutet, am 22. September sind wir ja aufgerufen, ein neues Parlament zu wählen, und wir fragen uns hier im Programm schon seit einigen Tagen, was eigentlich zur Wahl steht. Angesichts des lauen Wahlkampfes könnte man ja fast denken, die Mehrzahl der Deutschen will gar keine Veränderung. Wir haben’s uns eingerichtet mit einer Kanzlerin Merkel und einem Herausforderer Steinbrück, der zwar in den letzten Tagen wieder aufholt und bärbeißig der Kanzlerin am Zeug flickt, aber so richtig Stimmung will nicht aufkommen.

Dabei sind die Probleme eigentlich unübersehbar: eine alternde Gesellschaft, die Schuldenkrise, ein uneiniges Europa und prekäre wirtschaftliche Verhältnisse. Wo sind die politischen Alternativen, die Denkanstöße, die Zukunftsvisionen? Der Volkswirtschaftler Niko Paech lehrt an der Uni Oldenburg und hat sich als Kritiker unseres Wirtschaftssystems einen Namen gemacht. Schönen guten Morgen, Herr Paech!

Niko Paech: Guten Morgen!

Brink: Wie erleben Sie denn den Wahlkampf an alternativlos?

Paech: Ja, ich muss schon zugeben, dass ich auch erschüttert darüber bin, wie wenig visionär und wie wenig realitätsorientiert die etablierten Parteien nicht nur im Deutschen Bundestag, sondern auch in allen Landtagen agieren. Man müsste fast von einer Realitätsallergie sprechen, von der die Politik zumindest in den wählbaren Institutionen heimgesucht worden zu sein scheint.

Brink: Was fehlt denen denn?

Paech: Na ja, wir haben halt vor allem ein Wachstumsproblem in Europa. Alle Parteien, die in den Parlamenten vertreten sind, die beten immer noch das Credo des unbegrenzten Wachstums vor und streiten sich nur über die Farbe des Wachstums. Da gibt’s das grüne Wachstum, das gelbe Wachstum, das rote Wachstum und das schwarze Wachstum, aber Wachstum ist halt immer der Kern aller Politikvorschläge, die wir heute erleben.

Selbst in der Sozialpolitik, selbst da, wo es um Emanzipation, um Inklusion oder wo es um Frieden stiftende Politik geht, ist immer das Scheckbuch zur Hand, ist immer irgendwie ein Überschuss da, der erwirtschaftet und dann verteilt werden muss, um damit Frieden, Gleichberechtigung und Inklusion zu stiften. Also den Mut, Politik anders anzugehen, nämlich auch als reduktive Moderne aufzufassen, also als Kunst der kreativen Reduktion, dieser Mut scheint komplett zu fehlen.

Brink: Ja, Moment mal, habe ich Sie dann richtig verstanden, dass Sie das Wachstum prinzipiell infrage stellen? Das ist ja eigentlich die Grundfeste dieser Republik, und damit sind Sie oder wären Sie ja allein auf weiter Flur, nicht nur in Ihrer Zunft.

Paech: Na ja, das würde ich nicht sagen. Es gibt inzwischen natürlich keineswegs in meiner Zunft, sondern darüber hinausgehend, eine Menge Menschen, die also in der Nachhaltigkeitsforschung und auch ansonsten umtriebig sind, wenn es um zukunftsrelevante Fragestellungen geht, die ähnlich wie ich sagen, dass die Zeit des Wachstums vorbei ist. Und das meine ich eben mit dieser Tristesse in den Parlamenten, dass also die Gleichförmigkeit, die Gleichgeschaltetheit damit zu tun hat, dass eben alle Politikvertreterinnen und -vertreter immer vom Wachstum ausgehen und dann erst Konzepte entwickeln, die wachstumsorientiert Probleme lösen sollen. Und das funktioniert nicht.

Brink: Aber Sie können sich bestimmt vorstellen, dass ich Sie natürlich sofort frage, wie das denn funktionieren sollte, und bestimmt folgt dann eine längere Antwort, und dann frage ich mich: Taugt denn dann so etwas auch für einen Wahlkampf?

Paech: Ach, wissen Sie, ich weiß überhaupt nicht, was dagegen spricht, beispielsweise eine neue Partei zu gründen, die historisch betrachtet etwas ganz Einmaliges macht, nämlich erstmals den Menschen sagt: Liebe Leute, wir treten nicht an, um das Konsum- und das Mobilitätsparadies noch weiter auszubauen, um euch noch mehr Möglichkeiten der materiellen Selbstverwirklichung zu versprechen, die ja schon jetzt absolut verantwortungslos geworden sind, sondern wir sind die Partei, die nach der Parole agiert, die Party ist vorbei. Nur …

Brink: Oh, jetzt wird’s aber spannend, jetzt schreiben Sie doch mal ein kleines Wahlprogramm.

Paech: Na ja, ich bin hier Wissenschaftler und ich sitze in keinem Parlament und auch nicht in einem Vorstand einer Partei, von daher … Nein, aber eine Partei, die den Menschen anbietet, eine Kunst der kreativen Reduktion zur Basis jeder weiteren Gestaltung moderner Gesellschaften zu machen, indem wir sagen, wo können wir die Gesellschaft entrümpeln, wo können wir sie entschleunigen, wo können wir Ballast abwerfen, wo können wir uns freimachen von all diesem Überfluss, der nicht nur unser privates und berufliches Leben zu verstopfen droht, sondern auch freimachen von all den Dingen, die so viel Geld kosten, dass wir uns ständig verschulden.

Und dann fängt die Misere an, dann müssen wir irgendwie die Natur plündern, dann werden Kriege begonnen - auch das haben wir erlebt, denken wir an die Golfkriege -, oder andere Verwerfungen sind dann das Resultat von diesen unerfüllbaren Versprechungen. Ich habe das Gefühl, dass es inzwischen in der Bundesrepublik und vielen anderen europäischen Ländern einen Sinn gibt für die Notwendigkeit der Reduktion. Es wäre gar nicht auszuschließen, dass eine solche neue ökologische Partei - wir haben ja keine ökologische Partei mehr -, dass eine solche Partei durchaus über die Fünf-Prozent-Hürde hüpfen könnte.

Und deswegen ärgert mich das auch, wenn Leute auftreten und sagen, wir sollen jetzt nicht mehr wählen. Ich meine, man kann eigentlich das nur dann sagen, wenn man also auch wirklich eine Alternative hat, wenn man also sagt, dann müssen wir auch den Hintern hochkriegen und eine neue Partei gründen.

Brink: Das hört sich jetzt sehr schick an, und Sie werden wahrscheinlich auch viel Beifall dafür bekommen, aber nennen Sie mir doch mal zwei, drei konkrete Beispiele: Entrümpelung, was sollen wir entrümpeln?

Paech: Also unsere Mobilität. Wir fliegen zu viel und wir fahren zu viel Auto und wir haben zu viele Gütertransporte. Alleine über diese drei Transportsysteme sind wir in der Lage, absehbar den Planeten unbewohnbar zu machen. Das kann doch nicht ernst gemeint sein in einer aufgeklärten Gesellschaft, diese Systeme so weiter aufrechterhalten zu wollen. Die Kinder unserer Kinder werden hier nicht mehr leben können, wenn wir weiter so diese Mobilität pflegen. Und Entrümpelung heißt jetzt für mich überhaupt nicht, Flugreisen, Autofahrten oder Gütertransporte einfach zu verbieten oder irgendwie abzuschaffen, man braucht derlei Dinge in einer modernen Gesellschaft, aber die Dosis macht das Gift.

Zu sagen, autofreie Sonntage oder autofreie Innenstädte wären eine schöne Entrümpelung, oder zu propagieren, keine Klassenfahrten mehr mit dem Flugzeug, keine Junggesellenabschiede mehr mit dem Flugzeug, keinen Urlaub mehr mit dem Flugzeug oder nur alle zehn Jahre mit dem Flugzeug. Das sind Entrümpelungsaktionen, die sogar dazu führen, dass das, was nach der Entrümpelung dann noch übrig bleibt in etwas bescheideneren Dosen an Mobilität, dass das dann sogar an Wert, an Abenteuerträchtigkeit hinzugewinnt.

Brink: Das haben ja die Grünen eigentlich alles mal - so zumindest von der Ideologie her - begonnen.

Paech: Das haben sie nicht begonnen. Sie haben sich im Prinzip schon in den 80er-Jahren davon verabschiedet und haben dann ja den Rest an verantwortungsbewussten Mitstreiterinnen und Mitstreitern regelrecht, zumindest verbal, dafür gesteinigt, wenn dergleichen noch geäußert wurde, etwa in den 90er-Jahren. Aber man muss den Grünen dann zugutehalten, dass die Zeit damals noch nicht reif war. Damals war das Thema Klimawandel und viele andere ökologische Verwerfungen, die waren damals nicht so präsent.

Aber jetzt ist die Zeit da, wo wir diese Konsequenz brauchen. Und ich bin absolut sicher, dass diese historische Notwendigkeit einer neuen politischen Bewegung, dass die sich auch schon irgendwie Platz schaffen wird. Vielleicht jetzt nicht zur nächsten Bundestagswahl, die Zeit würde ja auch nicht ausreichen, aber zukünftig wird das auf uns zukommen, dass in Europa irgendwo endlich eine Partei kommt, eine Partei, die die Kunst der Reduktion zum Inbegriff von moderner gesellschaftlicher Gestaltung macht. Und dann werden sich die anderen Parteien, zumindest einige davon, auch die Grünen, warm anziehen müssen.

Brink: Der Volkswirtschaftler und Wachstumskritiker Niko Paech. Er könnte sich eine neue Partei für Deutschland vorstellen. Schönen Dank für das Gespräch!

Paech: Ich danke Ihnen!

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