Deutsch-koreanisches Stück "Walls"

Die Wiedervereinigung als Tabuthema

Südkoreranische (im Vordergrund) und nordkoreanische Soldaten stehen sich in der Demilitarisierten Zone an den Blauen Baracken an der Grenze zu Nordkorea gegenüber.
Für das deutsch-koreanische Stück haben die Theatermacher auch die Demilitarisierte Zone zwischen Nord- und Südkorea besucht. © Wolfgang Kumm/dpa
Von Christiane Habermalz · 22.10.2016
Eine mögliche Wiedervereinigung mit Nordkorea ist für südkoreanische Theatermacher ein heikles Thema. Vier koreanische und ein deutscher Regisseur haben sich dennoch getraut, sich in dem Stück "Walls-Iphigenia in Exile" damit auseinanderzusetzen. Zu sehen ist es in der südkoreanischen Stadt Gwangju und am Deutschen Theater in Berlin.
"Weh dem, der fern von Eltern und Geschwistern/ ein einsam Leben führt! Ihm zehrt der Gram/ das nächste Glück vor seinen Lippen weg, /ihm schwärmen abwärts immer die Gedanken."
Iphigenie, entwurzelt und vereinsamt, ist auf die Insel Tauris verbannt und verzehrt sich in Sehnsucht nach der griechischen Heimat. Im geteilten Korea besitzen diese Worte, gesprochen von Helmut Mooshammer und koreanisch übertitelt, eine besondere emotionale Bedeutung. Bei der Premiere im südkoreanischen Gwangju am vergangenen Wochenende mussten sich die Zuschauer aber auch andere, unangenehme Sätze anhören. Etwa wenn es um die prekäre Situation von nordkoreanischen Flüchtlingen in Südkorea geht. Ihygien, Iphigenie, will in Deutschland Asyl beantragen, weil sie gehört habe, dass hier die Menschen aus Westdeutschland tatsächlich mit denen aus Ostdeutschland ohne Diskriminierung zusammenleben würden.
"In Korea bin ich nur ein Mensch zweiter Klasse! Bitte nehmen Sie mich an!"

Der Humanismus im Spiegel

Eine Provokation für das Publikum in Gwangju – und gleichzeitig eine sehr südkoreanische Sichtweise auf Deutschland, das Land, das seine Teilung überwunden hat, und auf das man mit einer Mischung aus Hoffnung und Angst blickt wie in ein Kaleidoskop einer möglichen eigenen fernen Zukunft. Die koreanische Dramatikerin und Regisseurin ZinA Choi hält in "Walls – Iphigenia in Exile" aber auch dem vermeintlichen deutschen Humanismus den Spiegel vor, als der deutsche Beamte der verzweifelten Iphigenie vorwirft:
"Wegen Menschen wie Ihnen wird das Asylrecht in Frage gestellt! Weil Sie es missbrauchen!"
Das Theaterstück "Walls -Iphigenia in Exile", hervorgegangen aus einer Kooperation des Deutschen Theaters mit jungen koreanischen Regisseuren, Dramaturgen und Schauspielern zielt auf ein heikles Thema in Korea. Teilung und Wiedervereinigung sind hochgradig ideologisch aufgeladen, doch in der Realität haben sich Nord- und Südkoreaner längst entfremdet. Die Doppelmoral zeigt sich am Umgang mit den nordkoreanischen Flüchtlingen, die es in den Süden schaffen. Sie erhalten ein Willkommensgeld, gelten offiziell als "Boten der Wiedervereinigung", doch sie werden auch in Umerziehungslager gesteckt und führen oft ein Schattendasein in der Gesellschaft. Vor allem in der jüngeren Generation gibt es kaum noch Berührungspunkte mit dem Norden, erzählt der koreanische Theaterregisseur Kyungsung Lee.
"Einmal, als ich in Berlin war, stand ich per Zufall an einer Kreuzung und da standen auf der anderen Seite ein paar Nordkoreaner. Wir sind gleichzeitig rübergegangen, und haben uns nur angestarrt, natürlich wusste jeder sofort, ich war aus Südkorea und sie aus Nordkorea. Das war ein sehr verstörender Moment. Wir sind immer noch Koreaner, aber wir reden nicht miteinander und fühlen uns sehr fremd."
Seit fast 70 Jahren besteht die Teilung, Kontakte gab es so gut wie keine. Gesellschaftlich und wirtschaftlich könnte die Distanz nicht größer sein zwischen dem Steinzeit-Kommunismus des Nordens und der glitzernden Konsum – und Mobilfonwelt des Südens. In Südkorea gibt es große Ängste, - auch davor, den eigenen Wohlstand einzubüßen, sollte es je zu einer Vereinigung mit dem armen Norden kommen. Ihrerseits würden viele Nordkoreaner mittlerweile lieber zu China gehören, sagt Kyungsung Lee.

Wiedervereinigung als Frage der sozialen Gerechtigkeit

"Denn sie fühlen sich emotional China viel näher als Südkorea. Aber was bedeuten dann die 5000 Jahre, die wir zusammen gehört haben? Das beschäftigt mich, was heißt das für unsere Gesellschaft, was bedeutet koreanische Nationalität und Identität überhaupt noch?"
Dennoch, sagt Lee, ist da auch ein großer Schmerz. Die Teilung sei unterschwellig allgegenwärtig, im Alltag der Menschen, in der Art und Weise, wie sie Zeitung lesen oder Dinge beurteilen. Wiedervereinigung sei für ihn letztlich auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit.
"Da sind immer noch so viele Menschen, die geopfert wurden im Koreakrieg, für die Nation und für die Regierung. Keiner ist je offiziell entschädigt worden. Viele haben eine große Wut gegen die Regierung. Wir müssen das juristisch aufarbeiten, um zu einer Versöhnung zu kommen. Und das geht nur über die Wiedervereinigung."
Kyungsung Lee gehört zu den aktuell wohl politischsten Figuren des zeitgenössischen koreanischen Theaters. Sein Stück "Before After" über das Versagen des koreanischen Staates beim Fährunglück vor zwei Jahren, bei dem 300 Jugendliche ertranken, wurde von der Kulturbehörde abgesetzt – ein Skandal in der noch jungen Demokratie Südkoreas. Angeblich steht Lees Name auf einer Blacklist, die unliebsame Kreative von der Verteilung von Fördergeldern ausschließt. Die seit drei Jahren amtierende konservative Präsidentin Park Geun-hye, Tochter des langjährigen Diktators Park Chung-hee, steht für ein autoritäres Rollback in der Kulturpolitik, erzählt Dramaturgin Danbi Yi. Auch das deutsch-koreanische Theaterprojekt "Walls" bekam das zu spüren.
"Als wir zum ersten Mal in Berlin angekommen sind wegen der Kooperation mit dem deutschen Theater, da wollte eigentlich der Intendant, oder der Arts Director vom Nationaltheater, der wollte eigentlich mitkommen. Aber damals wurde eine Produktion inszeniert die hieß "Der Frosch" glaube ich, und da gab es eine Parodie über die Regierung. Und das ist dann irgendwie so ein Skandal geworden, weil, ach wie kann ein Nationaltheater ein Stück machen, das gegen die Regierung etwas sagt. Auch wenn es eine Parodie ist. Und der Intendant musste dann in Korea bleiben."

Bewegende Geschichten über persönliche Schicksale

Das "Walls"-Projekt hat bei den beteiligten Theaterleuten viel in Bewegung gesetzt, auch manche innere Mauer auf beiden Seiten zum Bröckeln gebracht. In Berlin habe man gemeinsam die Gedenkstätte an der Bernauer Straße besucht, erzählt Danbi Yi, dabei viele bewegende Geschichten über persönliche Schicksale gehört. In Korea sei man dann auch gemeinsam an die demilitarisierte Zone an der Grenze zu Nordkorea gefahren – für die Koreaner ein Schockerlebnis.
"Es war so beschämend für uns, sie hatten daraus ein Touristenereignis gemacht. Es gibt nicht so viele Koreaner, es sind vor allem ausländische Touristen, die da hingehen. Und direkt an der Grenze gibt es einen Erlebnispark. Mit Karussell und einem verkleideten Wikinger, der herumlief. Völlig unseriös, eine Touristenattraktion."
Vor dem Projekt habe er sich als Theatermacher nie an das Thema Wiedervereinigung herangetraut, erzählt der koreanische Regisseur Yungung Yang.
"In meiner Generation war es so, dass in der Schule sehr viel über die Wiedervereinigung gesprochen wurde. Und dass man immer so erzogen wurde, dass man darauf hoffen musste. Wer die Wiedervereinigung vorsichtig in Frage stellte, der galt gleich als Roter, als Kommunist aus dem Norden."
Erst im Austausch mit den deutschen Kollegen habe er gemerkt, wie sehr das Thema mit ihm persönlich zu tun habe – nicht nur wegen seiner Mutter, die aus Nordkorea stammte und ihre Geschichte und Herkunft Zeit ihres Lebens verdrängt habe.
"Wenn ich auf das Stück und auf Goethes Iphigenie schaue, dann habe ich immer noch Hoffnung. Und für mich als Theatermacher ist es wichtig, diese Hoffnung in mir zu behalten, dass man diese Mauern irgendwann doch einreißen kann."
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