Desaster Bologna

Von Christian Scholz · 07.05.2012
Mehr Mobilität, kürzere Studienzeiten: Die Ziele der Bologna-Reform klangen vor zehn Jahren fast wie im Märchen. In Wirklichkeit hat das Projekt bloß Milliarden gekostet, der deutschen Wirtschaft geschadet und hunderttausende Studierende frustriert, meint Christian Scholz.
Irgendwie hat man sich an die Schlagzeilen gewöhnt: die unglücklichen Studierenden der Generation Bologna, die unzufriedenen Professoren, die unerfüllten Forderungen der Unternehmen und die ungeliebten Hochschulrektoren, die Allen und Jedem die Schuld für das Fiasko in die Schuhe schieben wollen.

Dabei klang vor zehn Jahren alles so schön und fast wie in einem Märchen: Europaübergreifend sollte die Mobilität zwischen Studienfächern, Studienorten und Hochschularten steigen. Und es sollte eine studienzeitverkürzende Zweistufigkeit geben, bestehend aus einem berufsqualifizierenden Bachelor für Alle und einem Elite-Master für einige Wenige.

Da aber keines dieser Ziele erreicht wurde, stellt sich jetzt die Frage nach dem "was nun?".

Natürlich kann und will niemand die Bologna-Reform rückgängig machen. Hier haben sich viel zu viele wichtige Menschen aus dem Fenster gelehnt und wer traut sich schon, als ewig Gestriger eine derartige Jahrhundert-Reform zu bezweifeln? Trotzdem passiert etwas und das ist wirklich bemerkenswert. Denn klammheimlich verabschieden sich offenbar alle zentralen Akteure von dem, was man in Deutschland unter der "Bologna-Reform" versteht.

Als erstes haben die Professoren aus gutem Grund die ihnen gegen ihren Willen aufoktroyierte Verschulung nicht akzeptiert. Sie haben zwar – und da spricht auch nichts dagegen – eine ganze Reihe von spezialisierten Bachelor- und Masterprogrammen initiiert, ansonsten aber blieben sie in der Welt der konsekutiven Einstufigkeit.

Dann haben die Studierenden die Bologna-Reform nicht nur nicht angenommen, sie haben sie boykottiert und sind dabei, sie vollkommen außer Kraft zu setzen. So wollen fast alle Bachelorstudenten wie im alten System sofort den Master machen – und zwar im Regelfall ohne Fachwechsel und ohne Hochschulwechsel. Also: nichts mit Mobilität, nichts mit Zweistufigkeit, nichts mit Studienzeitverkürzung.

Drittens die Unternehmen: Trotz medienwirksamer Aktionen vom Typ "Bachelor Welcome" bleiben Bachelor weitgehend ungeliebt, weil sie eben nicht die Qualifikationen mitbringen, die früher Diplom-Absolventen hatten. Natürlich stellen Unternehmen Bachelor ein. Von spezifischen Angeboten für Bachelor ist aber nicht mehr die Rede. Für Unternehmen gibt es ganz einfach Akademiker – und im Zweifelsfall nimmt man die mit den besten Qualifikationen, also solche mit einem Diplom oder zumindest einem Master.

Als letztes haben sich die Universitätsleitungen, also die Rektoren und Präsidenten, klammheimlich von Bologna verabschiedet. Noch vor einem Jahr kam von dort der energische Ruf nach Zweistufigkeit und nach elitären Masterplätzen. Doch spätestens, wenn ein Universitätspräsident wiedergewählt werden wollte und händeringend auf die Stimmen der Studierenden angewiesen war, kam das große Einknicken: Plötzlich gab es das Versprechen, wonach eigentlich jeder Bachelor sofort seinen Master machen könnte.

Gleichzeitig wurde die Entwicklung von eigenständigen Masterprogrammen eingeschränkt und auf die Verzahnung von Bachelor mit Master gedrängt. Damit bewegen wir uns wieder in die alte Welt der Diplomstudiengänge, obwohl – von innovativen Ausnahmen abgesehen – kein Universitätspräsident dieses Wort in den Mund nimmt.

Was aber bedeutet das alles? Auf der einen Seite hat man sich trotz der desaströsen Sachlage darauf verständigt, dass die Bologna-Reform irgendwie doch läuft. Auf der anderen Seite landen wir aber bald wieder genau dort, wo wir vor zehn Jahren gestartet sind. Mit der Bologna-Reform verhält es sich wie mit dem bekannten Werbespruch eines Schokoriegels: "Raider heißt jetzt Twix, sonst ändert sich nix". Nur hat dieser Bologna-Umweg Milliarden gekostet, der deutschen Wirtschaft geschadet und hunderttausende Studierende frustriert.

Trotzdem bleibt die gute Nachricht, wonach sich zivilgesellschaftlich die kollektive Schwarmintelligenz Aller gegen die realitätsfernen deutschen Bologna-Protagonisten durchgesetzt hat. Jetzt bleibt nur noch zu hoffen, dass die europaweite Mobilität wieder zunehmen kann, denn genau die brauchen wir für die Vision "Europa".

Prof. Dr. Christian Scholz, geboren 1952 in Vöcklabruck/Oberösterreich, Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Organisation, Personal- und Informationsmanagement an der Universität des Saarlandes; Dekan der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät. Autor zahlreicher Fachbücher und Mitherausgeber des "Bologna-Schwarzbuchs". Bloggt als "Per Anhalter durch die Arbeitswelt" auf Faz.net; schreibt unter anderem Kolumnen für die "Welt" und "Der Standard" (Wien).

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