Der Westen und Syrien

Eine Kette von Illusionen und Fehleinschätzungen

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Der Nahostexperte und Buchautor Michael Lüders im Gespräch mit Marie Sagenschneider © Deutschlandradio / Stefan Fischer
Michael Lüders im Gespräch mit Marie Sagenschneider · 23.03.2017
Ein düsteres Bild von der Zukunft Syriens zeichnet der Nahostexperte Michael Lüders. Es werde Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern, bis die Region zur Ruhe komme. Schuld seien auch gravierende Fehleinschätzungen und Waffenlieferungen des Westens.
In seinem neuen Buch kritisiert der Nahost-Experte Michael Lüders das Verhalten des Westens gegenüber Syrien scharf.
Von Anfang an habe man den Protest gegen Assad im Zuge des Arabischen Frühlings falsch eingeschätzt: "Man glaubte, es sei die gesamte syrische Bevölkerung, die sich gegen das System von Bashar Al-Assad erhoben hätte, so wie das in Ägypten weitestgehend der Fall war oder auch in Tunesien. In Syrien aber eben nicht", sagte Lüders im Deutschlandradio Kultur.
So hätten nicht nur Alawiten und andere religiöse Minderheiten Angst vor einem Sturz Assads, sondern auch die sehr einflussreiche sunnitische Mittelschicht: "Nicht, weil er ein prima Kerl wäre, die wissen auch, dass er ein brutaler Diktator ist. Aber wer würde ihm dann folgen?", sagte Lüders.
"Es ist ja nicht so, wie westliche Kommentatoren geglaubt haben, dass da irgendeine Zivilgesellschaft Gewehr bei Fuße stünde, die dann die Macht übernehmen könnte. Das war immer eine Illusion. Die Macht würde im Falle eines Sturzes von den Dschihadisten übernommen werden."

Die Dschihadisten haben bereits 2012 den Aufstand "gekapert"

Diese Fehleinschätzung hatte Lüders zufolge gravierende Folgen. Denn sofort nach Beginn der Proteste hätten unter anderem Amerikaner und Europäer in großem Umfang Waffen nach Syrien gesandt - mit denen eine radikale, dschihadistische Opposition finanziert worden sei: "Diese Leute bilden bis heute das Rückgrat der sogenannten Opposition in Syrien. Und das ist etwas, was in unser Weltbild nicht so ganz hineinpasst", kritisiert Lüders.
"Wir haben so die Vorstellung, das sind überwiegend Freiheitskämpfer in Syrien, die vernünftigen Leute, die Träger der Zivilgesellschaft. Aber die spielen eigentlich schon seit Ende 2011 keine Rolle mehr. Es ist vielmehr so, dass der Aufstand übernommen, gekapert worden ist von radikalen dschihadistischen Gruppierungen."

Der Nahe Osten im Dreißigjährigen Krieg?

Entsprechend düster ist das Bild, das Lüders von der Zukunft der Region zeichnet:
"Wir müssen uns an den Gedanken gewöhnen, dass Gesellschaften, jene südlich des Mittelmeers, sich mitten in ihrem Dreißigjährigen Krieg befinden, wenn man so will", sagte er. Es werde dauern, bis die vernünftigen Teile der Gesellschaft die Oberhand gewönnen. "Aber diese Entscheidung müssen die Menschen selber treffen", warnte Lüders ausdrücklich vor weiterer Einmischung.
"In Syrien steht es Spitz auf Knopf. Dort kann es zu einer Konfrontation kommen in den nächsten Monaten zwischen den USA und Russland, und das kann eigentlich niemand ernsthaft wollen. Aber die politischen Akteure reflektieren ihr Handeln nicht, sie denken in Schablonen, sie sind vielfach auch völlig ahnungslos mit Blick auf das, was dort tatsächlich passiert. Und das Ergebnis ist eben Instabilität, Chaos, endemische Gewalt."

Michael Lüders: Die den Sturm ernten. Wie der Westen Syrien ins Chaos stürzte
Verlag C.H. Beck, 175 Seiten, 14,95 Euro

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