Der politisch korrekte Zirkus

Von Paul-Hermann Gruner · 09.01.2012
Heute ist die schlimmste aller Zeiten, die brutalste, schamloseste? Zum Trost: Nein! Auch früher waren Menschen brutal, borniert, profitsüchtig. Von 1870 bis 1930 zum Beispiel. Da passten sich die zoologischen Gärten in Deutschland der Nachfrage nach Exotik an.
Carl Hagenbecks Tierhändler etwa unternahmen weite Reisen damals, um frische Ware zu besorgen. Exotische Wilde, also - südamerikanische Indianer, Hottentotten, Singhalesen, tiefschwarze Nubier oder auch echte Feuerländer. Wie bei Eisbären oder indischen Elefanten warben die Zoos mit den Fütterungszeiten für diese Wilden. Novum damals: Die zur Schau gestellten niederen Menschen, meist nackt oder ärmlich bekleidet, durften im Gegensatz zu den wilden Tieren sogar gestreichelt werden.

Jaja, - und ist keine 100 Jahre her.

Apropos Elefanten, weil die gerade schon erwähnt wurden: Nach jahrelangem Kampf haben Tierrechtler nun zumindest im Bundesrat eine Mehrheit für ein generelles Wildtierverbot im Zirkus bekommen. Nun prüft Ilse Aigner, Bundeslandwirtschaftsministerin und damit zuständig, ob die Verbannung des exotischen Tieres aus der Zirkusmanege Bundesgesetz werden soll. Kann also Frau Aigner Affen und Giraffen, Bären und Elefanten befreien und retten?

Nun, gescheiter wäre zu fragen, ob diese Tiere wirklich wilde Tiere sind. Zuallermeist nicht. Zirkustiere werden in menschlicher Obhut geboren und großgezogen. Die Löwen beim Zirkus Krone sind dort schon in der 13. Generation - sagen wir - tätig. Beim Anblick einer echten Savanne würden die Krone-Löwen sofort den Dompteur rufen.

Zudem darf gefragt werden: Wollen die Zuschauer mit aller Macht den modernen Zirkus ohne exotisches Tier? Eine Umfrage der Gesellschaft für Konsumforschung sagt: nein. 95 Prozent der Befragten gaben an, Zirkus sei für sie nur wirklich attraktiv über das Erlebnis mit dem exotischen Tier. Klar muss sein: Von den rund 250 Zirkus-Unternehmen, die durch Deutschland touren, darf kein einziges ohne sofortige Sanktion irgendeine Bestimmung zu Tierhaltung oder Tiertransport verletzen.

Sanktion heißt hier auch: Schließung des Ladens und Schluss mit scheinbar lustig. Daraus folgt aber nicht zwingend ein Wildtierverbot für alle Zirkusse. Wir verbieten auch nicht Alkohol, weil Betrunkene am Steuer extrem gefährlich werden können.

Überhaupt: die Lust an der Regelsetzung. Die Herstellung moralischer Gerechtigkeit von beinahe klinischer Perfektion, sie beseelt nicht wenige Tierrechtler, die deshalb auch nicht Tierschützer heißen. Wissen schlägt eben nicht selten ins Besserwissen um, das Schützen gern ins Bevormunden und Gängeln. Das ist bei Nichtraucher-Aktivisten, Automobil-Ideologen oder Frauenrechtlern prinzipiell nicht anders.

Also: Es ist kleinkariert, alle Konzentration auf den Krümel zu richten, während das gesamte Brot in Gefahr ist. Sind denn die wirklichen Wildtiere schon gerettet? Und sind die Zoos weltweit eigentlich schon ordentlich verboten? Und der Tierhandel? Und die Käfighaltung von Nutztieren? Ist das alles schon erledigt? Werden überhaupt Haustiere artgerecht gehalten? Hat der Privat-Papagei genug Raum? Die Aussperrung alles Exotischen aus dem Milieu Zirkus macht diesen so politisch korrekt wie grob defizitär.

Um heute noch einen Zirkus zu betreiben, muss man idealistisch sein oder Künstler oder verrückt. Und richtig, Zirkus wirkt wie ein Stück gerade noch gewährter Entrückt- und Verrücktheit in einer staubtrocken funktionalen Regelzone, einer banal abstrakten Kultur der Körperlosigkeit.

Paul-Hermann Gruner, geboren 1959, ist Politikwissenschaftler und Historiker. Seit Beginn der 80er-Jahre tätig als bildender Künstler mit den Schwerpunkten Montage, Installation und Performance. Seit 1996 in der Redaktion des "Darmstädter Echo", daneben Veröffentlichungen in regionalen und überregionalen Zeitungen, satirische Texte, Buchpublikationen unter anderem zu Sprachpolitik und Zeitgeistkritik.
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