Der Leser als Verleger im Web 2.0

Von Andi Hörmann · 11.10.2011
Das Internet bietet mit sozialen Netzwerken eine Vielzahl an Chancen, Literatur über das Internet an den Leser zu bringen. Autoren und Verlage haben dort die Möglichkeit, mit Lesern in Kontakt zu treten. Die virtuelle Nähe bietet ein enormes Potenzial, Literatur mit intelligenten Strategien zu vermarkten.
O-Ton: Ralph Möllers
"Wir machen aus Büchern etwas, was man im Internet Widgets nennt. Also kleine 'stand-alone' Applikationen, in denen man in ein Buch blättern kann. Indem ich ein Buch mit Video, mit Audio verknüpfen kann. Indem ich den Leuten die Möglichkeit gebe, mit ein, zwei Klicks über Facebook, oder Twitter, oder einer Website, allen Freunden über dieses Buch zu erzählen. Um so ein virales Marketing für Bücher möglich zu machen."

Ralph Möllers vom Kinder- und Jugendmedien-Verlag Terzio hat sich für den Literaturmarkt im Zeitalter des Internets etwas ausgedacht: book2look - ein kleines, frei stehendes Fenster für Bücher auf dem Computermonitor. Die Idee: Zuerst - reinlesen, kommentieren und verbreiten. Später - online kaufen. Mit direktem Link zum Händler des Vertrauens, der eben nicht zwingend Amazon heißt, ist book2look ein Appetitmacher für den Literaturinteressierten im Internet. Dieses Widget nennt Ralph Möllers "Biblet" - weil das mehr nach Buch als nach Computer klingt. Eine virale Verkaufseinheit, die Leser, Buchhändler und Autoren gleichermaßen mit einbezieht.

O-Ton: Marion Schwehr
"Wir machen nicht zuerst das Buch und warten dann, ob sich auch jemand dafür interessiert. Sondern wir sagen: Jetzt schauen wir doch zuerst, ob sich jemand dafür interessiert und sammeln eine Crowd, eine Gruppe, und wenn dieses Interesse da ist, dann wird das Buch erst final umgesetzt."

Auf ihrer Verlagsplattform Euryclia hat Marion Schwehr über das Prinzip "Crowdfunding" ihr erstes Projekt vorfinanziert. Ihre Leser hat sie über ein Biblet ständig mit aktuellen Leseproben versorgt. Mehr als 700 Leute haben für das Buch bezahlt - noch bevor es fertiggeschrieben war.

O-Ton: Ralph Möllers
"Die Marion Schwehr, die hat ein Biblet gemacht und hat dafür 40 Euro bezahlt und hat 250.000 Kontakte damit hergestellt. Hat, ich weiß nicht wie viele Hundert Kommentare gekriegt. Hat, glaube ich vier- oder fünfhundert Blogs, in denen sie eingebunden ist mit dem Buch. Das ist zugegebener Maßen die allergrößte Erfolgsgeschichte von book2look. Es ist eine Möglichkeit, Bücher sichtbar zu machen, und auch seine eigene Community zu motivieren, diese Bücher zu verteilen - in einer chicen Form."

Chic, zeitgeistig und internetaffin - von den etwa jährlich 90.000 Buchveröffentlichungen in Deutschland werden derzeit zehn- bis fünfzehntausend mit Ralph Möllers Biblet im Netz verbreitet. Von Diogenes bis dtv - über 100 Verlage nutzen book2look. Leseproben im Internet lassen den Leser auch direkt an der Entstehung von Literatur teilhaben. Und mehr noch: mitreden!

Das Web 2.0 wird über Freunde und Kommentare zu einer emotional aufgeladenen virtuellen Realität. Hier: der Autor. Da: der Verlag. Dazwischen? Die Community. Tendenziell machen heute immer mehr Verlage über Fans aus den sozialen Netzwerken ihre Autoren groß. Und nicht mehr zwingend mit dem prestigeträchtigen Namen des Verlagshauses.

O-Ton: Ralph Möllers
"Dann kann ich einem Autor sagen: Kuck mal, ich habe 124.000 Fans. Diese Community mache ich Dir zugänglich, wenn Du mir Dein Manuskript gibst und den Profit mit mir teilst. Das macht Sinn. Aber wenn ich als Verlag sage: Ja, gib es mir, dann bist Du bei einem Verlag. Das macht immer weniger Sinn. Weil ja schon jetzt kaum ein Mensch weiß, in welchem Verlag sein Lieblingsbuch erschienen ist."

Seit 2006 formiert sich mit lovelybooks eine Literaturplattform aus dem Stuttgarter Holtzbrinck Verlag zu einem Schwarm aus Autoren, Buchhändlern und Lesern. 42.000 registrierte User zählt derzeit diese Webpräsenz.

Knapp über 1000 Autoren kommunizieren darauf mit mehr als 320.000 Lesern im Monat. Karla Paul, Mitgliederbetreuerin bei lovelybooks, beobachtet die Veränderungen durch das Internet - auf der Autoren- und auf der Leserseite:

"Die meisten Autoren rufen bei uns an und sagen: Ich hätte gerne so ein Profil. Kann ich da mal was schreiben? Dann posten die was rein und die eine Autorin hatte über Nacht 200 Kommentare und war dann am nächsten Tag fix und fertig und sagt: Also, damit hätte sie nun nicht gerechnet und hat sich sehr, sehr gefreut."

Lovelybooks - eine Art Facebook für Bücherwürmer. Autoren, Leser und Verleger vernetzen sich in diesem Social-Media-Geflecht zwischen Information, Präsentation und Unterhaltung:

O-Ton: Karla Paul
"Auf der Startseite ist ein großer Stream, dort finden alle Neuigkeiten statt - die Aktivitäten. Wir haben eine Aktion von uns, da beantwortet eine Autorin die Fragen der Leser. Es gibt kleine Spiele, oder Quizze. Auch alle anderen Infos, Webseite, Facebook-Seite. Dann kann man einen Trailer oder ein Interview von Youtube noch mit einbinden."

Fiktion und Realität - aus dem Netz, in die Wirklichkeit und wieder zurück: Crowdfunding, Biblet, Literatur-Community - mit Euryclia, book2look und lovelybooks vermischen sich innovative Spielarten von Literaturmarketing.