Der Kampf gegen den Hunger in Ostafrika

Von Antje Diekhans · 19.01.2012
Immer wieder fallen in Ostafrika Regenzeiten aus, verdorren die Ernten auf den Feldern und verendet das Vieh. Eine vermeidbare Katastrophe, wie das Beispiel Nordäthiopien zeigt. Dort lernen die Bauern, was nachhaltige Landwirtschaft bedeutet. Und in Kenia suchen Wissenschaftler nach Saatgut, das den veränderten Klimabedingungen Rechnung trägt.
Vor der Hütte von George Jenga frisst eine Kuh mit ihrem Kalb genüsslich Gras. Ein paar Schritte weiter ist ein Feld mit Mais. Die Pflanzen sind gesund und grün. Anders als auf dem Feld nebenan, das Georges Bruder gehört. Die kümmerlichen Setzlinge sind mit dem lokalen Maisvirus infiziert.

"Es befällt die Blätter. Sie werden gelb, der Mais wächst nicht und man kann nichts ernten."

George dagegen hat sein Saatgut vom landwirtschaftlichen Forschungsinstitut Kenias, KARI, bekommen. Es wurde schon Ende der 70er-Jahre gegründet. Ziel: die landwirtschaftlichen Erträge verbessern. Inzwischen gibt es Zweigstellen im ganzen Land. In der Zentrale in der Hauptstadt Nairobi kümmert sich Jane Wamuongo um alle Fragen, die mit dem Klimawandel zu tun haben.

"Die Jahreszeiten haben sich verändert. Die Farmer können nicht mehr sagen, wann sie aussäen sollen. Oft verpassen sie den Regen, weil sie nicht wussten, dass er kommen würde. In diesem Jahr hatten wir in einigen Regionen wie in Turkana eine schwere Dürre. Dann hat es geregnet und alles wurde überschwemmt."

KARI unterstützt Projekte, um Wasser umzuleiten und später nutzen zu können - ähnlich wie in Äthiopien. Doch vor allem geht es um das passende Saatgut. Es sollen Pflanzen gezogen werden, die auch bei widrigen Klimabedingungen bestehen.

"Wir haben Feldfrüchte für die verschiedenen Klimazonen des Landes gezüchtet. Wir haben Sorten die viel Trockenheit und welche, die viel Wasser verkraften. Das haben wir schon seit Jahren getan. Aber jetzt passen wir es den veränderten Umweltbedingungen an."

Wichtig ist das vor allem für die Kleinbauern wie George Jenga, die rund 60 Prozent aller Nahrungsmittel in Kenia produzieren. Zu seiner Farm gehört gerade mal ein Hektar Land. Das Wohnhaus aus Wellblech hat er selbst gebaut.

Es ist gut, kommen Sie nur herein, lädt er ein. Bis er Landwirt wurde, hat George noch eine eigene Schweißerei gehabt. Aber die Konkurrenz war groß, der Verdienst immer geringer, so dass er den Job an den Nagel hängte. Zur Freude seiner Frau Mary:

"Ich war froh, dass er mit der Landwirtschaft angefangen hat. Vorher hat er zu wenig Geld für die Familie nach Hause gebracht."

Georges Mais aus dem KARI-Saatgut wächst prächtig. Im Gegensatz zu einigen anderen Pflanzen. Der Farmer zeigt auf ein paar winzige grüne Spitzen, die auf einem schmalen Streifen seines Landes aus der Erde ragen.

"Karotten. Die haben wir gerade gepflanzt, aber sie haben sich nicht so gut entwickelt. Zu wenig Wasser."

Die Karotten will George Jenga verkaufen. Er baut nicht nur Mais an, sondern experimentiert auf seinem Hektar Land mit verschiedenen Pflanzen. Genau, was die Forscher von KARI landauf, landab predigen.

"Die Mentalität in Kenia ist: Ohne Mais kein Essen. Aber mittlerweile sagen die Farmer selbst: Es ist nicht mehr wie früher, wir müssen auch anderes anbauen. Sie fragen uns: Was sollen wir tun? Sie sind bereit, selbst etwas zu ändern."

KARI setzt auch auf gentechnisch veränderte Pflanzen. Dominic Nzeve managt das Forschungstreibhaus in Nairobi. Ein streng kontrolliertes und überwachtes Glasgebäude, wie es sonst nur ein weiteres in Afrika gibt.

"Das hier ist das Haupthaus, in dem wir die genveränderten Pflanzen haben. Bevor wir reingehen, müssen die Schuhe abgestaubt werden. Und hinterher waschen wir die Hände."

Das genveränderte Saatgut wird aus den USA importiert. Die kenianischen Forscher überprüfen, wie resistent die Pflanzen gegen ein in Kenia gefährliches Fraßinsekt sind.

"Hier testen wir, ob die Pflanzen den Insekten standhalten. Der Forscher hat gepflanzt, hat die Insekten drauf gesetzt. Und wie Sie sehen: Die Pflanzen sind resistent, sie sind gesund."

Der Mais in seinen grünen Plastikblumentöpfen ist fast mannshoch. Er enthält einen Genstrang von einem Bakterium, das tödlich auf den Fressfeind wirkt. KARI forscht bereits zehn Jahre an dem resistenten Mais, an gentechnisch veränderter Baumwolle und Hirse. Aber die Tests, ob die Pflanzen für den Verzehr geeignet sind, Nutzinsekten und der Umwelt nicht schaden, sind längst noch nicht abgeschlossen. Und das Projekt ist nicht unumstritten, sagt Jane Wamuongo:

"Es war in den Medien, es hat große Debatten gegeben, auch im Parlament. Bis jetzt ist es ein Experiment, nichts ist nach draußen gelangt. Aber ich glaube, wir müssen den Tatsachen ins Auge sehen: Wir müssen unsere Bevölkerung ernähren."

Gen-Technik ist für die einen die Zukunft. Andere setzen dagegen auf Bio. Die Schweizer Stiftung Biovision fördert nachhaltige Landwirtschaft in Kenia. Ganz praktisch.

Der Farmer Alex Mwangi stapft barfuß durch sein Bananenfeld. Er ist ganz und gar nicht zufrieden. Seine Pflanzen sind von einer Krankheit befallen. Alex zieht die Blätter auseinander. Es ist schnell zu sehen: Sie verrotten.

"Die Krankheit beginnt an der Spitze. Dann zieht sie sich den ganzen Stamm herunter. Zum Schluss fällt die Pflanze um."

Um ihn zu beraten, ist Peter Murage auf die Farm gekommen. Er hat Landwirtschaft studiert und arbeitet jetzt für Biovision.

"Seine Bananen könnten von Fadenwürmern befallen sein. Das ist eine Schädlingsart, die sich vom Boden ausbreitet."

Der Vorschlag des Experten: Der Bauer soll nicht etwa die Chemiekeule rausholen, sondern den Schädling auf andere Art besiegen.

"Ich rate den Farmern normalerweise, Mexican Marigold zu pflanzen. Die wachsen überall."

Der Schädling mag die Blumen nicht. Mexican Marigold ist in Deutschland unter dem Namen Tagetes oder Studentenblume bekannt und ziert so manchen Vorgarten. Alex wird mit etwas Glück also nicht nur gesunde Bananen-Pflanzen haben, sondern auch noch ein besonders schönes Feld.

"Das ist ein guter Rat. Ich finde es prima, dass er uns solche Methoden beibringt. Früher wussten wir nichts darüber. Jetzt, wo wir uns danach richten, sehen wir Veränderungen. Das zahlt sich später für uns aus."

Der Fachmann fährt regelmäßig zu den Farmern raus, seit das Projekt vor rund zweieinhalb Jahren startete. Häufig kommen mehrere Landwirte zu Trainings zusammen. Sie lernen dann beispielsweise, wie sich auf natürliche Art und Weise Dünger herstellen lässt und welche Pflanzen besonders gut zusammen gedeihen. Peter Murage schätzt, dass er schon etwa 3.000 Farmer in der Region in Zentralkenia mit den Vorteilen seiner Methoden vertraut gemacht hat.

"Biolandwirtschaft ist die Lösung, um gegen Umweltschäden vorzugehen. Die konventionellen Anbaumethoden sind häufig schlecht für die Umwelt. Wir bringen den Farmern zum Beispiel bei, wie sie Kompost anlegen. Wir versuchen, den Boden zu schützen - das ist ein Weg, um die Artenvielfalt zu erhalten."

Außerdem speichert Boden, der mit Kompost gedüngt wurde, besser Feuchtigkeit, sagt der Experte. Wenn Regenzeiten ausbleiben oder sich verspäten, haben die Pflanzen länger eine Überlebenschance.

Einen Kompost-Haufen hat auch Farmer Alex Mwangi schon. Abgesehen von den Bananen machen seine Pflanzen einen guten Eindruck. Das sieht auch John Cheburet von Biovision:

"Das hier ist ein typischer Kleinbauer. Er hat Bohnen. Nepia-Gras, um seine Tiere zu füttern. Macadamia-Nüsse, Bananen und Papayas. Dann pflanzt er auch noch Kaffee. Er will ein bisschen Geld verdienen und sich selbst versorgen."

John arbeitet bei einer von Biovision herausgegebenen Zeitung - dem "Organic Farmer." Und er macht ein Radioprogramm, das abends über zwei weit verbreitete Sender ausgestrahlt wird. Auch hier geht es um nachhaltige Landwirtschaft - Tipps für die Bauern in Kenia.

Der Journalist besucht immer wieder die Höfe der Landwirte, um seine Themen zu finden. Auch bei Farmer Alex Mwangi fällt ihm gleich etwas ins Auge, das er in einer seiner nächsten Sendungen thematisieren will.

"Diese beiden Kühe stehen im Schlamm. Ihr Stall ist von oben nicht abgedeckt. Das heißt, wenn es regnet, kommt das ganze Wasser rein. Außerdem ist nicht sauber gemacht worden, also hat sich eine Menge Kuhdung angesammelt. So sollte das nicht aussehen - das ist für diesen Farmer das, worum er sich als nächstes kümmern muss."

Es dauert, bis die Höfe der Landwirte zu Vorzeige-Höfen werden. Da machen sich die Mitarbeiter von Biovision keine Illusionen. Nach und nach sollen die Arbeitsmethoden umgestellt werden.

"Die Farmer sind auf unterschiedlichem Niveau. Immer wenn ich zu einem Hof komme, sehe ich eine Mischung aus Dingen, die gut funktionieren und aus Dingen, die falsch laufen. Das ist die Herausforderung."

Im Norden Äthiopiens hat das Millenniumsprojekt den Menschen die Angst vor einer neuen Katastrophe genommen. Das Feld von Henza Tesfai liegt direkt an einem neu angelegten Wasserbecken. Ihr Weizen ist gut angegangen. Die Farmerin rupft Unkraut aus. Wenn es nicht genug regnet, kann ich ja Wasser aus dem Brunnen nutzen, sagt sie. Nebenan pflanzt sie Tomaten und Kartoffeln. Auch die werden gedeihen, meint Kiros Meles vom Millenniumsprojekt.

"Mit dem Wasser kann sie wenigstens zwei Ernten einfahren. Und dann noch eine dritte Ernte nach der Regenzeit."

Die Konzepte gegen den Hunger werden in ein paar einfachen Büros erarbeitet, die eher wie Garagen aussehen und sich um einen staubigen Platz ziehen. Die Basis von Kiros Meles und seinen Kollegen vom Millenniums-Projekt. Kopf der kleinen Truppe ist Aregawi Aklilu. Er erklärt, was den Anstoß zur Gründung der Millenniumsdörfer gab:

"In Afrika gibt es rund eine Milliarde Menschen, von denen viele von großer Armut betroffen sind. Darum arbeiten wir dafür, hier die Entwicklungsziele der Vereinten Nationen umzusetzen. Das erste Projekt startete in Kenia. Als zweites kam Äthiopien mit Koraro dazu."

Seit 2005 versuchen Soziologen, Landwirtschaftsexperten und Ingenieure zu beweisen, dass Entwicklungshilfe funktionieren kann. Koraro ist der Name des "Musterdorfes" in Nord-Äthiopien - hier werden Konzepte erprobt, bevor sie auch in Nachbardörfern umgesetzt werden. Außer um nachhaltige Landwirtschaft geht es um Bildung, Familienplanung, Gleichberechtigung und eine bessere medizinische Versorgung. Insgesamt leben in der Region etwa 65.000 Menschen. Für jeden von ihnen dürfen 110 Dollar im Jahr investiert werden.

"Davon kommen 50 Dollar vom Millenniumsdorf-Projekt. 30 Dollar zahlt die äthiopische Regierung, 20 steuern Partnerorganisationen bei und zehn Dollar müssen die Leute selbst aufbringen. So haben wir 110 Dollar pro Kopf, die wir für unsere Arbeit nutzen können."

Eine überschaubare Summe, die großen Fortschritt bringen soll.

"Diese Region, allgemein der Norden von Äthiopien, wird immer wieder von Dürren getroffen. Die früheren Regierungen haben die Gegend außerdem vernachlässigt. Vor 30 Jahren sah man hier nichts als trockenen Boden. Nichts wuchs mehr. Die Leute sind von hier weggezogen."

Inzwischen hat sich die damalige Hungerregion in Äthiopien wieder zu einem lebenswerten Ort entwickelt. Es gibt eine Zukunft für Koraro. In einer kleinen Bar in dem Dorf spielen Männer Pool-Billard. Es ist ein schlichter Raum, in dem ansonsten nur ein paar Tische mit Wachstuch-Decken und einfache Plastikstühle stehen. Aber dieses Lokal ist der ganze Stolz von Gebre Muluwork.

"Eigentlich bin ich ja Farmer. Aber dank des Projekts habe ich so viel erwirtschaftet, dass ich mich entschlossen habe, ein Restaurant zu eröffnen. Meine Frau kocht. Und wir haben den Billard-Tisch. Für mich hat sich viel geändert."

1984, während der Hungerkatastrophe, war Gebre 13 Jahre alt. Er erinnert sich nur mit Schrecken an die Erlebnisse:

"Wir waren eine große Familie mit neun Kindern. Weil wir nichts mehr zu essen hatten, haben wir angefangen, unser Vieh zu schlachten. Dann reichte auch das nicht mehr und wir sind in den Sudan geflüchtet."

Einen Monat war die Familie zu Fuß unterwegs, bis sie das Lager dort erreichte. Die größeren Kinder trugen die kleineren.

"Nicht alle haben es geschafft. Es gab Mütter, die sich entscheiden mussten, welche Kinder sie zurücklassen. Sie wussten, dass sie nicht alle durchbringen können."

Auch im Sudan starben noch viele an Hunger. Es gab nicht genug Wasser und Essen für alle Flüchtlinge. Von Gebres Angehörigen überlebten aber alle. Nach drei Jahren gingen sie zurück nach Koraro.

"Natürlich lebt es sich heute hier besser. Die Leute haben Arbeit. Das Millenniumsprojekt hat viel verändert. Es kann immer noch mehr Fortschritt geben - aber wir sind auf dem richtigen Weg."

Die neueste Errungenschaft für die Menschen in Koraro: ein Bus. Er fährt regelmäßig zu den Nachbardörfern - und er ist immer voll. Ein Ticket kostet 14 Birr, das sind etwa 50 Cent. Das kann sich fast jeder leisten, meint der Fahrer.

"Sie fahren zu den Märkten, um ihre Ernte zu verkaufen. Oder um selbst etwas einzukaufen."

Bis vor kurzem wäre das nicht möglich gewesen. Koraro war nicht nur die trockenste Region in ganz Äthiopien, das Dorf war auch besonders schlecht zu erreichen.

"Früher gab es keine Straße. Erst vor etwa einem Jahr wurde sie gebaut. Die Straße ist super - sie ist auch in einem viel besseren Zustand als andere Strecken."

Sonst waren die Menschen sechs Stunden zu Fuß bis in die Nachbardörfer unterwegs. Jetzt können sie zweimal am Tag den Bus nehmen. Auch der Dorf-Älteste Birhan Assefar steigt manchmal ein. Der Mann mit dem grauen Bart hat sein ganzes Leben in Koraro verbracht. Er sagt: Der Bus ist gut für die

"Die Bauern können morgens zum Markt fahren, um etwas zu verkaufen. Nachmittags arbeiten sie dann schon wieder auf den Feldern."

Der Norden Äthiopiens hat aus der Katastrophe der 80er-Jahre gelernt. Zumindest in Koraro und den Nachbardörfern werden die Menschen nicht so schnell wieder Hunger leiden. Viele kleine Änderungen haben einen großen Wandel gebracht.

"Es ist nicht so gut wie in den 70ern, aber jeder kann in Koraro überleben. Es ist hier jetzt ein ganz anderes Leben als in der Zeit, als uns die großen Dürren plagten. Noch besser war es nur vor den 70er-Jahren. Da hatten wir immer genug Regen. Aber jetzt ist es auch gut. Jeder kann arbeiten und jeder kann hier überleben."
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