Der Feminismus frisst seine Schwestern

Von Sophie Dannenberg · 26.03.2007
Was will das Weib? lautet die berühmte Frage von Sigmund Freud, auf die er nie eine Antwort gab. Man darf annehmen, dass es ihm nicht um die Antwort ging, sondern um sein Frauenbild. Denn allein die Frage entwirft das Bild eines unberechenbaren, faszinierenden Wesens, an dem man ein Leben lang rätselt, und das so anders ist, dass kein Mann es durchschaut - aber dafür um so mehr begehrt.
Hinter diesem Bild steht ein Konzept von Partnerschaft, das auf Unterschiedlichkeit und Spannung zwischen den Geschlechtern setzt, auf eine Erotik, die Seele, Körper und Geist der Geliebten durchdringt. Freuds Frage spielt auf die geheimen Regeln der Liebe an. Die Antwort auf seine Frage wäre deren Tod. Der Feminismus aber hat diese Antwort gefunden. Sie lautet: Das Weib will das Gleiche.

Dabei ist Gleichberechtigung in erster Linie keine Errungenschaft der Frauenbewegung, sondern der Massengesellschaft und ihrer Arbeitsteiligkeiten, ihrer Egalisierung von Bürgerrechten und Wohlstand. Diese Paradoxien der modernen Demokratie werden seit langem diskutiert. Jeder wird ein Individuum, jeder verwirklicht sich in seiner Einmaligkeit und wird gerade dadurch so wie alle. An dieser Entwicklung partizipiert auch der Feminismus. Er ideologisiert und befördert einen Prozess, der ohnehin stattfindet, den er weder schaffen noch verhindern konnte. Nun hätte der Feminismus als eine Bewegung, die sich für Frauen stark macht, gut daran getan, nicht nur die Rechte der Frauen einzufordern, sondern auch das zu verteidigen, was Frauen auszeichnet, was sie besonders, was sie einmalig, was sie zu Frauen macht. Der Feminismus hätte Widerstand gegen den allgemeinen Trend der Entdifferenzierung leisten müssen. Das erst hätte ihn zu einer wahrhaft revolutionären Kraft gemacht.

Statt dessen frisst der Feminismus seine Schwestern. Den kleinen Unterschied hat er vergessen - nämlich den Unterschied zwischen Dürfen und Sein, zwischen Gleichberechtigung und Gleichheit. Anstatt die Andersartigkeit der Frau zu feiern und sich über die des Mannes zu freuen, hat der Feminismus einen Dreierschritt vollzogen - das Gleiche dürfen, das Gleiche wollen und schließlich nur noch das Gleiche sein. Diesen Prozess hat man gender mainstreaming genannt. Er verkündet die Rückkehr zur narzistischen Ahnungslosigkeit. Adam und Eva sehen sich an und sehen, dass sie gleich sind - nichts besonderes.

Im gender mainstreaming wird der eine des anderen banales Spiegelbild statt dessen Gegenstück und Vollendung. Von Platon stammt die schöne Vorstellung, dass Mann und Frau einst als ein Wesen auf die Welt kamen, das danach in zwei Hälften zerfiel, eine männliche und eine weibliche. Angetrieben von Ahnung und Sehnsucht suchen wir unsere andere Hälfte, und wenn wir Glück haben, finden wir sie. Jetzt, da wir alle gleich sind, brauchen wir diese andere Hälfte nicht mehr, sondern nur noch uns selbst. Nicht mehr vereint sind Frau und Mann ein Ganzes, sondern jeder allein hält sich für ein Ganzes. Was wir im gender mainstreaming erleben, ist die Geburt der Einsamkeit aus dem Schoß der Gleichheit. Wir sind Monolithen der Moderne geworden und bleiben für immer mit uns allein. Denn was können wir im anderen anderes finden, wenn er gar nicht anders ist? Wie soll er uns erlösen, was soll er uns lehren, was geben? Gender mainstreaming beerdigt die Hoffnung. Es ist nicht nur ein Mainstream, der alle gleich macht, sondern ein Mahlstrom, in dem die Idee der Liebe zerrieben wird.

Was der Feminismus im Geschlechterkrieg zerstörte, ist die Erotik: In der Liebe ist die Niederlage genauso aufregend wie der Sieg, und das eine ist vom anderen nicht zu trennen. Spannung, Kampf, Leidenschaft, Stolz, Unterwerfung, Aufbegehren sind eben nicht nur Elemente von Krieg, sondern auch von Erotik. Die heimliche Hoffnung, der andere, der andersartige möge gewinnen - und wieder verlieren und wieder gewinnen, und dieser wilde Krieg möge ewig dauern, als sinnliche Spielart des Friedens – diese Hoffnung hat der Feminismus begraben. Er wollte eben immer nur siegen.

Jetzt haben wir einen Frieden ohne Sinnlichkeit und ohne Sinn. Wir haben Frauenquoten, wir haben das große I in den Substantiven. Wir haben knallrotgefärbte Haare und verwirrte Männer, die ständig den Geschirrspüler ausräumen. Wir haben Krippen ohne Kinder. Wir sind gelangweilt, wir sind gleich, wir sind gender.


Sophie Dannenberg, geboren 1971 in Gießen, studierte Philosophie und Allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaften in Bayreuth sowie Theaterwissenschaft in Berlin, wo sie auch lebt. 2004 veröffentlichte Sie den Roman "Das bleiche Herz der Revolution" über die Kinder der 68er.