"Der Euro wird erst wieder stark, wenn wirklich die Wirtschaft wächst"

Jean Asselborn im Gespräch mit Ute Welty · 07.09.2012
Jean Asselborn hat die Entscheidung der Europäischen Zentralbank (EZB) zum Aufkauf von Staatsanleihen als guten Schritt in die richtige Richtung begrüßt. Alle nationalen Regierungen müssten nun eine Kultur entwickeln, um ihre Haushalte ins Gleichgewicht zu bringen, sagte der luxemburgische Außenminister.
Ute Welty: Eine kluge Entscheidung, oder doch ausgemachter Blödsinn? Sehr unterschiedlich wird die Entscheidung der Europäischen Zentralbank bewertet, Staatsanleihen von Krisenländern aufzukaufen. Klar ist aber: die EZB kauft nicht nur Anleihen, sondern vor allem Zeit. Darüber habe ich auch mit Jean Asselborn gesprochen, dem Außenminister Luxemburgs, und ich wollte von ihm wissen, ob ihm die EZB-Entscheidung das Leben einfacher, oder schwerer macht.

Jean Asselborn: Also ich bin, wie Sie richtig sagen, Außenminister, ich bin kein Finanzminister. Aber ich bin Europäer, und ich finde, dass dieser Schritt der Europäischen Zentralbank ein guter Schritt ist. Sie wissen, dass als Politiker, als Regierungsmitglieder sollten wir uns zurückhalten mit Entscheidungen der Europäischen Zentralbank, das ist nicht unsere Aufgabe. Aber ich finde, das ist ein Schritt in die richtige Richtung.

Welty: Dann werfen wir doch mal einen Blick auf den nächsten Schritt. Was müsste denn jetzt unbedingt danach getan werden?

Asselborn: Ich glaube, was getan werden muss, unabhängig von diesem Schritt, ist, dass in allen Regierungen wir uns ja auch nicht nur Regeln gegeben haben jetzt in der Europäischen Union, sondern auch, dass wir eine Kultur entwickeln müssen, um eben die Haushalte im Gleichgewicht zu haben und auch die makroökonomischen Probleme, die wir haben, dass wir die wirklich auch auf eine gemeinsame Linie kriegen. Das sind Hausaufgaben, die wir machen müssen, um selbstverständlich in der Tiefe die Stabilität des Euros zu gewährleisten.

Welty: Sie sagen auch, Europa braucht eine neue Legitimation, aber Sie wehren sich dagegen, die Europäer über ihr Europa abstimmen zu lassen, ganz im Gegensatz zu Finanzminister Wolfgang Schäuble und SPD-Chef Sigmar Gabriel. Glauben Sie, dass die Menschen das nicht beurteilen können, oder warum wollen Sie kein Referendum?

Asselborn: Nein, nein. Die Menschen können alles beurteilen. Mit dem Referendum ist es so, dass wir ja eine Erfahrung hatten in Luxemburg, und Sie können sich vielleicht erinnern, das war 2005. Nach dem Nein in Frankreich, nach dem Nein in Holland hat Luxemburg mit 56 Prozent ja gesagt. In einem Land, das von Europa und für Europa lebt, wenn ich mal so sagen darf, war das nicht ganz genial. Wissen Sie, das Referendum ist manchmal sehr, sehr nützlich, und es gibt Länder, die können sehr gut damit umgehen, wie zum Beispiel die Schweiz.

Aber stellen Sie sich einen Moment vor, dass zum Beispiel in den 50er-Jahren, als Deutschland wieder die Bundeswehr einführte, als Deutschland in die NATO kam, es hätte ein Referendum stattgefunden in Frankreich zum Beispiel – das wäre nie zu gewinnen gewesen. Ich setze hauptsächlich auf eine parlamentarische Auseinandersetzung, eine Auseinandersetzung in der Gesellschaft. Ich weiß auch nicht, wenn Sie sagen, Volksabstimmung oder Referendum, was könnte denn die Frage sein: Wollt ihr ja oder nein mehr Europa, wollt ihr ja oder nein den Euro?

Welty: Es könnte zum Beispiel die Frage sein, wo die Macht entschieden wird. Welche Befugnis hat Brüssel, welche Befugnis hat das nationale Parlament. Dazu fällt ja das Bundesverfassungsgericht nächste Woche ein historisches Urteil.

Asselborn: Aber wie würden Sie das denn, Madame, in eine Frage hineinbilden? Man kann ja nur dem Volk oder den Leuten sagen, okay, ja oder nein muss die Antwort sein, und es muss ein kurzer Satz sein, wo erklärt wird, seid ihr damit einverstanden oder seid ihr damit nicht einverstanden. Nein, da muss man aufpassen, glaube ich, dass wir nicht mit der Essens der Europäischen Union spielen.

Ich glaube, dass wir gute Europäer sein können, in Deutschland wie in anderen Ländern und Europa auch voranbringen können, indem wir das Volk fragen bei den regulären Parlamentswahlen, wo dann die parlamentarische Debatte das herauskristallisiert, was der Wille, der souveräne Wille des Volkes ist.

Welty: Es heißt immer wieder, die Europäische Zentralbank kauft mit der gestrigen Entscheidung nicht nur Anleihen, sondern auch Zeit. Wird die Zeit reichen, um die europäische Idee zu retten?

Asselborn: Ja! Ich bin fest davon überzeugt, dass dies ein Schritt ist, der uns die Zeit gibt, als Regierungen insgesamt das zu tun, was wir zu tun haben. Wir haben – und das beginnt ja am nächsten Dienstag - hoffentlich in Deutschland, dass der Fiskalpakt in Deutschland angenommen werden kann, in Frankreich ist das nicht so evident, Sie wissen das, es ist eine große Anstrengung des Präsidenten notwendig, um die Mehrheit zu bekommen, aber ich bin überzeugt, dass das möglich ist, und ich rechne wirklich, dass wir bis zum Ende dieses Jahres alle Kraft brauchen, um eben das konkret in Musik zu setzen, wenn ich das sagen darf, was auch beim Juni-Gipfel entschieden wurde über die Bankenunion, zum Beispiel auch alles, was in diesem Kontext notwendig ist und selbstverständlich auch nicht vergessen, dass wir nicht nur über Euro reden, sondern dass wir das machen, was wir machen müssen, ist selbstverständlich, aber dass wir auch uns anstrengen, die Relance auf Französisch, also den Wachstumspakt oder das Wachstum in Europa zu fördern. Der Euro wird wieder erst stark, wenn wirklich die Wirtschaft wächst.

Welty: Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn im Interview der "Ortszeit", und ich sage merci!

Asselborn: Merci, Madame!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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