Der Duft nach einem Molekül
Geza Schön kreiert Parfüms in seinem Labor in Berlin-Kreuzberg. Dazu gehöre neben einer guten Nase und ein bisschen Natur auch Technik, Erfahrung – und ein Geschäftsgeheimnis, sagt er. Beliebt ist zum Beispiel sein Parfüm "Escentric Molecules".
Geza Schön: "Wir leben alle in Städten, die riechen kaum. Die riechen mal nach Abgasen oder die riechen mal, wenn die Linden blühen, dann riecht es auch danach. Aber der Geruchssinn wird durch unser modernes Leben zurückgedrängt."
Was macht Berlin den ganzen Tag? Es lärmt. Die Stadt setzt sich aus Geräuschen zusammen: Stimmengewirr, Schreie, Hupen, Martinshörner, Rollkoffer, knallende Auspuffe, quietschende Bremsen, aufheulende Motoren, Straßenmusik. Sogar Flugzeuge dröhnen über die Hauptstadt hinweg, manche landen sogar. All das verschmilzt zu einem akustischen Brei, der alles andere überlagert – alles, bis auf eines, den Geruch. Berlin stinkt.
Ein Berliner Leierkastenlied, das am Anfang des 20. Jahrhunderts populär war:
Dritter Klasse, Stadtbahn,
Da saß ein feiner Mann,
Der hatte Lackstiebeln an.
Da kam ein anderer Mann,
der hatte Stiebeln an;
Die rochen nach Tran.
Da sagte der eine Mann:
Sie haben ja Stiebeln an,
Sie riechen nach Tran!
Da sagte der andre Mann:
Wat jeht denn Ihn´n det an?
Ein jeder stinkt, so gut er kann!
Da saß ein feiner Mann,
Der hatte Lackstiebeln an.
Da kam ein anderer Mann,
der hatte Stiebeln an;
Die rochen nach Tran.
Da sagte der eine Mann:
Sie haben ja Stiebeln an,
Sie riechen nach Tran!
Da sagte der andre Mann:
Wat jeht denn Ihn´n det an?
Ein jeder stinkt, so gut er kann!
Geza Schön: "Berlin stinkt nicht – sagt der Fachmann. Lauter Häuser, die alle aus Beton gebaut sind. Das riecht halt nicht. Das hat, wenn überhaupt, so eine Art physischen Geruchseindruck, der staubig, trocken daherkommt. Ansonsten haben wir nur die paar Bäume, die dastehen und die Wiese. Der Rest ist so moderner Industrie- und Menschengeruch, der so mitkommt."
Geza Schön kreiert Düfte in seiner Wohnung in Berlin-Kreuzberg. Düfte herstellen – dazu bedarf es einiger Grundstoffe. Hinzu kommen Technologie, Nase und ein Gespür dafür, was sich verkauft. Also Technik, Chemie, Erfahrung, ein bisschen Natur und ein Geschäftsgeheimnis. Vielleicht ist das Geheimnis hinter dieser Tür, die Geza Schön öffnet. Eine dicke, gut gepolsterte Tür. Das Labor. Ein Nasenparadies? Hinter der Tür ist keine Idylle der schönen Düfte. Es stinkt.
Geza Schön: "Das ist so ein typischer Mischgeruch, der sich in so einem Labor ausbreitet, dadurch, dass hier wahrscheinlich über tausend Flaschen stehen, die alle eine Nano-Micromenge Duft noch irgendwie am Hals kleben haben, der sich dann eben in den Raum ausbreitet."
Ein Duft, der Angst macht
Das Labor von Geza Schön ist ein kleiner Raum, kaum größer als eine Besenkammer. Ein Tisch, eine Waage. Ein paar Zettel. Und überall Duft in Flaschen, Gläsern, Dosen. Und vor allem in der Luft. Penetrant. Stickig. Ein Duft, der sich vielleicht überall festsetzt, in jeder Faser, in der Nase. Ein Duft, der Angst macht, weil er sich auf die Zunge legen könnte. Ein Duft, der sich nach wenigen Minuten erledigt hat, weil sich die Nase an alles gewöhnt. Mehr Duft geht nicht. Nicht in dieser Besenkammer. Nirgends.
Geza Schön: "Hier steht erst mal ein Riesenregal, wo so sehr viele kristalline Rohstoffe stehen in Bechern, das hört man ganz schön, da sind jeweils feste Sachen drin. Oder hier Puder. Oder auch ganz normale Flaschen, die in der Regel 30 Gramm haben. Das reicht eben, um Versuche damit zu machen. Plus mehrere Pumpsprays von irgendwelchen Düften, die ich mal gemacht habe. Und irgendwelche Originalprodukte. Ein paar Kisten, kleinere Naturprodukte. Dann jeweils in sehr viel kleineren Fläschchen. Dann hier unten größere Flaschen von 25 g bis 500 g bis hin zu einem Kilo. Produkte, von denen ich mal größere Mengen einsetze. An der Wand hängen jede Menge kleiner Bechergläser aus Glas, die ich benutze, um 30-Gramm-Mischungen auszumischen."
Geza Schön arbeitet für sich – unabhängig von denen, die ihre Düfte im Fernsehen und auf großen Plakatwänden anpreisen. Alleine arbeiten, das ist wahnsinnig, sagt Geza Schön:
"Ich kenne ein paar Parfümeure, die auch rausgegangen sind aus der Industrie, die können davon ganz gut leben. Aber das geht auch nur deswegen, weil die gute Parfümeure sind. Sich als so Selfmade-Parfümeur herauszuwagen, das halte ich für relativ wahnsinnig. Da kommt man wahrscheinlich so recht weit mit, das ist so ein Ding: Des Kaisers neue Kleider. Da kommt erst mal keiner darauf, dass da nur warme Luft dahinter ist. Aber deswegen sind die, die das machen, die verschwinden auch wieder. "
Rückführung eines Parfüms auf ein Molekül
Etwas kann wahnsinnig sein. Es ist kein Grund, es nicht zu tun.
"Ich hatte das Gefühl, dass ich das tatsächlich besser kann, wenn ich Sachen anschieben kann und nicht nur jeden Tag dasitze und so einen Zettel auf den Schreibtisch bekomme, wo draufsteht, was ich jetzt machen soll. Das hat sich bewahrheitet, zumindest mit dem, was wir mit 'Escentric Molecules' gemacht haben, über die Rückführung eines komplexen Parfüms auf ein tatsächlich einzelnes Molekül, einem einzigen synthetischen Riechstoff – dass das was war, was die Leute mögen und was anscheinend gefehlt hat, so ganz einfach synthetische Gerüche, die derart viel Komplexität mitbringen, zumindest die, die wir ausgesucht haben, dass das den Leuten reicht. Man muss jetzt keinen Duft mehr tragen, man kann auch ein Molekül tragen."
Ob großer oder kleiner Duft – er schwebt über allen. Düfte lassen sich mit jedem Thema verbinden. Mit Geographie:
"Zum Beispiel in Saudi-Arabien und den heißeren Regionen tragen die Leute natürlich auch schwerere Düfte, weil einfach durch die Hitze die Düfte schneller verfliegen. Und die lange Kultur von Rohstoffen, die auch von da unten herkommen. Also, die brauchen es dick und süß und schwer und ledrig und balsamig und so."
Und Düfte sind Zeitgeist:
"Opium kam auf den Markt. Es gab so eine orientalische Welle in den 70ern. Es gab noch nicht so eine große Varietät an den unterschiedlichen Richtungen wie heute."
Alles riecht. Überall.
"In den 80ern fing das an, als auf einmal alle Designer, Fashion-Designer, Jil Sander, Joop, dann gab es noch Davidoff, gut, das ist jetzt kein Fashion-Haus, aber die haben so ein bisschen den deutschen Duftgeschmack geprägt. Der war leider so ein bisschen ins kitschig Süße gegangen. So Tonca, so Komarin, Vanillin, fruchtige Noten auch, ich erinnere mich an Joop, da ist Himbeerkörper drin. Es wurde so ein bisschen so eine süß-klebrige Wurzel gepflanzt damals in Deutschland."
Alles begann mit dem Sammeln von Proben
Geza Schön weiß, wie die Welt riecht. Oder duftet:
"Die Idee, Parfümier zu werden kommt eigentlich daher, weil ich angefangen habe, Proben zu sammeln, als ich 13 war. Sehr viele verschiedene Herrennoten habe ich gesammelt, und das hat dazu geführt, dass ich mich da immer mehr reingesteigert habe und mehr damit machen wollte. Und dann hatte ich eine sehr schicksalhafte Begegnung mit der Tochter des Chefs der Firma Hagen und Reimer, die damals die größte Firma war in Deutschland, die das gemacht haben. Mit der habe ich mich getroffen, die hat mir gesagt, an wen ich mich wenden soll und so bin ich da erst mal reingeschlittert, nachdem ich in Kassel erst mal Abitur und Zivildienst gemacht habe und Januar '92 fing damals diese Ausbildung an in der Firma."
Geza Schön, der unabhängige Parfümeur in Berlin.
"Natürlich dachten auch alle, ich bin schwul, weil ich mich ja für Düfte interessiert habe. Was sollte ich machen? Ich mochte das, ich war wahnsinnig hinterher, neue Düfte zu bekommen."
Für Geza Schön war das immer völlig normal. Es passte zu ihm, genauso so, wie es zu ihm passte, Fußball zu spielen.
"Ich habe aber nebenher auch Fußball gespielt und ganz normale Sachen gemacht. Ich war dann nicht so ein Freak, der dann irgendwie nur seinem Fetisch gefrönt hat. So war es nicht. Ich komme aus einem Kunsthaus mehr oder weniger. Mein Vater war Kunsterzieher und völlig kunstverrückt. Dadurch gab es immer die Möglichkeit, sich auch auszuprobieren oder sich auch zu testen oder Dinge mit den Händen herzustellen. Und Duft war so etwas. Ja, es berührt einen ganz anderen Sinn als den visuellen, durch den wir ja hauptsächlich leben."
Es duftet, riecht und stinkt in der Welt und in Berlin sowieso. Und doch scheint es, als gäbe es nicht genügend Gerüche. Es werden immer mehr. Aber es wird ja auch immer lauter.