Der Berg von Noahs Arche

01.09.2008
Es ist ein Reisebericht der ungewöhnlichen Art, den der Bestseller-Autor Frank Westerman geschrieben hat: In "Ararat - Pilgerreise eines Ungläubigen" entwickeln sich Geologie, Seismologie, Erdbebenkunde und Vulkanologie zu einem Wissenschaftsthriller, der Unterhaltung pur bietet.
Im Sommer dieses Jahres wurden drei deutsche Bergsteiger in der Osttürkei entführt, an den Hängen des Berges Ararat, an denen auch Noahs Arche nach der Sintflut gelandet sein soll.

Eben diesen Berg hat 2005 auch der niederländische Bestseller-Autor Frank Westerman bestiegen und seine Erfahrungen und Recherchen in seinem gerade erschienen Buch "Ararat - Pilgerreise eines Ungläubigen" zusammengefasst. "Ararat" ist Westermans drittes Buch. Das erste schilderte die Welt russischer Schriftsteller unter Stalin, in seinem zweiten Buch recherchierte er die Geschichte eines ausgestopften Afrikaners in einem spanischen Museum.

Frank Westerman in eine Schublade zu stecken, scheint schwierig zu sein: Er ist Ingenieur für Hydrotechnologie, arbeitete zunächst als Entwicklungshelfer und später als Journalist in Afrika, Amerika und Russland.

"Ararat" ist in den Niederlanden für drei Buchpreise nominiert: für einen Literaturpreis, dann als das beste Reisebuch des Jahres und drittens als das beste Buch zu einem wissenschaftlichen Thema, - und da bietet der Ararat ein weites Feld: Erdgeschichte, moderne Vulkanologie, Klimawandel, Kulturgeschichte, Politik. Der Ararat ist immer auch ein politischer Berg gewesen, begehrt von CIA, Russen, Armeniern, Türken und Kurden, was die letzte Entführung gezeigt hat - und natürlich nicht zuletzt die Religion im Allgemeinen und die Religionsgeschichte im Besonderen.

Der Leser erfährt, dass die drei großen Weltreligionen Christen, Juden und Moslems identische Wurzeln haben. Alle drei Religionen erzählen die Sintflutgeschichte, bei allen ist der Held Noah mit seiner Arche, - im Koran heißt er Nuh -, und alle drei Religionen siedeln den Landeplatz der Arche in derselben Gegend an, Juden und Christen auf dem Ararat, der Koran ca. 150 Kilometer südlich auf dem Berg Chudi, wobei allerdings alle drei Religionen die Sintflutgeschichte aus der weitaus älteren assyrischen Gilgamesch-Sage zum Teil wörtlich übernommen haben.


Religionsgeschichte und Geologie reiben sich auch heutzutage noch im sogenannten "Kreationismus", also jener Form christlichen Fundamentalismus', der in manchen Bundesstaaten der USA im Schulunterricht lehrt, die Erde sei getreu der Bibel vor sechseinhalbtausend Jahren entstanden, -in Wirklichkeit vor viereinhalb Milliarden Jahren.

Diesen Fragen geht der Naturwissenschaftler Westerman nach. Geologie und Seismologie, Erdbebenkunde und Vulkanologie entwickeln sich zu einem Wissenschaftsthriller. Westerman ist mit zwei Vulkanologen befreundet, die Ararat-Spezialisten sind, aber vollkommen gegensätzliche Thesen vertreten.

Der eine vertritt die These, der Ararat sei ein toter Vulkan, der andere vermutet, der Ararat sei ein schlafender Vulkan und könne im Prinzip jederzeit ausbrechen beziehungsweise nach demselben Muster explodieren wie 1980 der Mount St. Helens in den USA, mit der Kraft von 27 000 Hiroshima-Atombomben.

Man bedenke, der Ararat ist mit 5165 Metern doppelt so hoch wie der Mount St. Helens; wenn die Türkei der EU beitreten sollte, wäre der Ararat der höchste Berg der Gemeinschaft. Und um die wissenschaftliche Recherche auf die Spitze zu treiben, untersucht und fotografiert Westermann bei seiner Besteigung des Ararat bisher unbekannte geologische Formationen, die die These vom schlafenden Vulkan zu belegen scheinen.

Dass er fleißig und akribisch ist, erklärt nicht Westermans Erfolg. Was ihn so speziell macht, ist sein rein assoziatives Buch-Konzept, absolut persönlich, absolut autobiografisch. Er reflektiert zum Beispiel die Weltsicht moderner Wissenschaft, indem er dem Leser jene Lehrer vorstellt, die ihm Mathematik und Physik beibrachten.

"Pennälergeschichten" in einem Sachbuch unterzubringen, dazu gehören Mut und literarisches Können. Der Leser erlebt über Westermans subjektiven Zugang zur Wissenschaftsphilosophie einen kompletten Durchlauf der Wissenschafts- und Philosophiegeschichte der letzten 200 Jahre. Und wenn sich der Leser auch irgendwann fragt, wie er statt auf dem Ararat plötzlich auf einer Watt-Wanderung vor der holländischen Küste gelandet ist - man würde auch ein komplettes Buch über Watt-Wanderungen von Westerman lesen.

Das sind Wissenschaft und Literatur zum Anfassen, spannend, witzig und sehr poetisch:

"Figuren im Schneegestöber einer Spielzeugkugel, die gerade geschüttelt worden ist."

Poesie pur, dann das hellsichtige Drama der Besteigung eines 5000er-Gipfels im Schneesturm, mit der Angst, entführt zu werden: ein Wissenschaftsthriller und Unterhaltung pur. Westermann ist genial - eine echte Entdeckung für Laien wie für Insider.

Rezensiert von Lutz Bunk

Frank Westerman: Ararat - Pilgerreise eines Ungläubigen
Übersetzt von Stefan Häring und Verena Kiefer
Ch. Links Verlag 2008
285 Seiten, 19, 90 Euro