Der bayerische Weg

Kulturelle Heimatpflege in Deggendorf

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Fotos der Hochwasserkatastrophe von 2013 im Deggendorfer Stadtteil Fischerdorf hängen im Stadtmuseum in Deggendorf. © picture alliance / dpa / Armin Weigel
Von Michael Watzke · 14.08.2015
Ob Schützenverein oder Kirchenchor, ob Heimatmuseum oder Bürgertheater: Der Beispiele gibt es viele, wenn man über kulturelle Teilhabe auf dem Land redet. Diese ist auch nötig, um die jeweilige Region attraktiv zu machen - unser Korrespondent war in Bayern unterwegs.
Wer in Deggendorf an Kunst interessiert ist, der kennt Christa Stadler.

"Hallo, willkommen im Kunstraum des Kunstvereins Deggendorf!"

Die adrette Dame führt in einen kleinen, weißen Ausstellungs-Saal neben dem Rathausplatz des niederbayerischen Städtchens. Hier hängen Ölgemälde örtlicher Künstler. Derzeitiges Ausstellungs-Thema: "Leichte Sommerkost". Aber die Obstbilder werden demnächst abgehängt.

"Ein Thema, das jetzt noch im Spätsommer geplant ist, ist das Thema "Rot". Da wird gleichzeitig zur Bilderausstellung ein schriftstellerischer Workshop stattfinden, der das Thema "Rot" zur Grundlage hat."

Christa Stadler arbeitet als ehrenamtliches Vorstands-Mitglied im Kunstverein Deggendorf. Als Schatzmeisterin ist sie für die Finanzen zuständig. Die rund 100 Club-Mitglieder zahlen jährlich 48 Euro Beitrag. Davon kann man aber keinen eigenen Kunstraum und eine zweimal jährlich erscheinende, anspruchsvolle Kunstzeitung finanzieren.

"Nein, das reicht natürlich nicht aus. Wir werden von der Stadt bezuschusst, wir bekommen von der Stadt jährlich einen Zuschuss für eine Ausstellung im Kapuzinerstadel, einer ganz tollen Location. Momentan wird nichts weiter gefördert von der Stadt, und wir versuchen jetzt natürlich, weitere Sponsoren zu gewinnen. Der Kunstraum wird im Moment über Spenden finanziert."

Im nächsten Jahr feiert der Kunstverein Deggendorf seinen 30. Geburtstag. Christa Stadler möchte eine festliche Jubiläums-Feier auf die Beine stellen und hat nach Förder-Programmen gesucht. Im Internet ist sie auf den Kultur-Fonds Bayern gestoßen – und war zuerst mal eingeschüchtert. Denn der Antrag auf Kultur-Fördergeld muss fünfstellig sein.

"Wenn man also Kulturförderung möchte, muss dieses einzelne Projekt mindestens 10.000 Euro kosten. Das ist ein Jahresbudget von mindestens drei Jahren für den Kunstverein. Also sie können sich vorstellen, dass man da selbst mit einer 30 Prozent-Förderung – die das Maximum darstellt - eigentlich außen an dem Topf sitzt. Und man hätt' gern was, aber kann's nicht wirklich erreichen."

30 Prozent-Förderung bedeutet: Der Kulturfonds Bayern, also der Freistaat, zahlt nur dann, wenn der Antragsteller die restlichen 70 Prozent aufbringt. Dieses sogenannte "matching" bedeutet für Christa Stadler - sie muss knapp 25.000 Euro auftreiben. Allein kann sie das nicht schaffen. Also schlug sie dem Deggendorfer Stadtrat vor, den 30.Geburtstag des Kunstvereins zusammen mit dem 25. Geburtstag des Kulturviertels Deggendorf zu feiern. Stadträtin Hela Schandelmaier, die auch den örtlichen Kulturbeirat leitet, war begeistert.

"Da wird - da bin ich einfach sicher - auch Geld fließen. Wenn wir ein tragfähiges Konzept haben. Das wird in dem Zusammenhang mit der Jubiläumsfeier "30 Jahre Kunstverein" und "25 Jahre Kulturviertel" mit ganz großer Sicherheit unterstützt werden."

Hela Schandelmaiers Zuversicht ist begründet. Kein deutsches Bundesland gibt so viel Geld für ländliche Kulturförderung aus wie Bayern. Weit mehr als 100 Millionen Euro im Jahr. Knapp zehn Millionen davon schüttet der Kultur-Fonds Bayern aus. Den richtete der Freistaat in den 90er-Jahren mit Zinserträgen aus Privatisierungs-Erlösen ein, erklärt Kultur-Staatssekretär Bernd Sibler.

"Der Kulturfonds Bayern ist für uns ein sehr wichtiges Instrumentarium, weil er abzielt, vor allem in den ländlichen Regionen Bayerns eine Förderung zu ermöglichen. München und Nürnberg sind hier ausdrücklich ausgenommen. Denn München und Nürnberg haben als die großen Städte in Bayern eine große Vorhalte-Leistung. Stichwort Opern und Theater. Deshalb braucht man in dem Bereich keine Förderung. Sehr wohl brauchen aber die kleineren Kommunen in Bayern Förderung. Weil nicht überall die Türen für Kultur gleich ganz weit offen stehen. Wenn man dann aber zum Bürgermeister sagen kann: 'Wir kriegen aber noch Förderung aus dem Kulturfonds Bayern!', wird einiges sehr viel leichter."

Denn eigentlich ist Kultur-Förderung Aufgabe der Kommunen. Der Kulturfonds Bayern soll also vor allem als Gütesiegel funktionieren, sagt Sibler. Um bei der Gemeinde und örtlichen Sponsoren weiteres Geld lockerzumachen.

"Man muss sich durch die Antragstellung bei den jeweiligen Bezirksregierungen kämpfen. Man muss den strengen Augen einer Kultur-Jury gerecht werden. Und wenn man das geschafft hat, hat man neben dem Geld auch den Nachweis, dass die Qualität stimmt."
Zeitlichen Aufwand von rund 250 Stunden
Für Christa Stadler und ihre beiden Mitstreiter vom Kunstverein Deggendorf bedeutet der Förderantrag bis jetzt schon einen zeitlichen Aufwand von rund 250 Stunden. Thomas Darcy, der Vorsitzende des Vereins, ist grundsätzlich nicht unzufrieden mit der Kultur-Förderpolitik in Bayern. Vor allem etablierte Institutionen, so Darcy, würden vergleichsweise großzügig unterstützt.

"Nur: Das Geld muss auch da ankommen, wo nicht das Etablissement sitzt. Die Hürden und Hemmschwellen sind sehr, sehr hoch. Wir haben hier in der Region besonders viele kleine Vereine. Die können die ganzen Vorgaben für Förderprogramme gar nicht erfüllen. Da würde ich mir als Vorsitzender wünschen, dass man auf diese Kleinen, auf die regionalen Anliegen mehr achten würde. Die Hürden senkt. Und Programme schafft für regionale Kunstvereine und Institutionen. Das fehlt mir, das muss ich schon sagen."

Es ist ein oft erhobener Vorwurf gegen die Kultur-Politik in Bayern: dass der Freistaat eher Spitzen- als Breitenförderung betreibt. Und schon gar keine Subkultur unterstützt. Staatssekretär Sibler weist das zurück. Im letzten Jahr seien von 150 Anträgen beim Kulturfonds Bayern 140 genehmigt worden.

"Natürliche sind auch alternative Kulturformen aufgefordert, die entsprechenden Anträge zu stellen. Ohne Anträge keine Förderung. Wir hatten diesmal eine ganze Reihe von kreativen und auf den ersten Blick sogar durchaus abseitigen Projekten beim Kulturfonds dabei. Die werden da genauso gefördert."

Allerdings ist für viele Subkultur-Projekte das Matching-Prinzip von 30 Prozent zu 70 Prozent schlicht nicht machbar. Tatsächlich ist regionale Kultur-Förderung in Bayern vor allem auf bewahrende und traditionelle, nicht so sehr auf experimentelle Kunst ausgerichtet. Der Freistaat ist stark in der Denkmalpflege, er unterstützt 1300 nichtstaatliche Museen und viele ländliche Kultur-Festivals. Er kümmert sich weniger um Street Art oder Untergrund-Projekte. Dafür trägt die Politik allerdings nur zum Teil Verantwortung. Professor Holger Magel, Präsident der Bayerischen Akademie Ländlicher Raum, beschreibt es so:

"Kultur muss zunächst von den Menschen kommen. Es ist ein völlig falscher Ansatz, wenn man das top-down betrachtet. Wo nichts ist, kann ich noch so viel Geld reinschütten - das wird nicht nachhaltig sein. Das wird vielleicht ein kurzes Strohfeuer sein, aber nicht tragen. Da geht's darum, dass man sagt: Wir müssen regionale Initiativen starten und regionale Identität stärken. Und ein Grundfaktor schlechthin ist das kulturelle Bewusstsein."

Dieses kulturelle Bewusstsein ist in Bayern vor allem in der Bürgergesellschaft verankert. Hier gibt es so viele Traditionsvereine wie in keinem anderen Bundesland: Von Trachtengruppen über Musikkapellen bis hin zu Vereinen, die die eigene Geschichte und das Brauchtum pflegen.

"Wenn wir über Kultur im ländlichen Raum reden, dann geht's ja darum, dass wir in ländlichen Gemeinden kulturelles Leben haben wollen. Weil sonst wird's ja öde. Und da muss man dann diskutieren, was man unter Kultur überhaupt versteht. Ist das die sogenannte Festtags- und Hochkultur? Oder die Alltags-Kultur? Ist es Kultur, die sich mehr durch Gesang und Tanz oder Schrift ausdrückt? Oder ist es auch die Kultur, die sich im Bauen ausdrückt? Oder in der Sprache?"

Auch in Bayern findet sich längst nicht in allen Landesteilen ein reiches, kulturelles Leben. Im Norden und Osten des Freistaates, in Teilen Oberfrankens und der Oberpfalz, kämpfen viele Gemeinden verzweifelt gegen Landflucht und Vergreisung.

"Und da ist jetzt plötzlich Kultur, ländliche Kultur, 'rural lifestyle' (um mal so ein Moderwort zu nennen) ein Thema geworden. Weil wir einfach die Bedeutung der ländlichen Kultur als Identifikationsfaktor, als Heimatfaktor und als zentralen Punkt für die Bleibebereitschaft von Menschen ansehen."
Bayern in einer vergleichsweise komfortablen Situation
Anders gesagt: Wer sich dort, wo er ist, wohlfühlt, der geht nicht. Und wohlfühlen sich Menschen meistens dann, wenn sie dazugehören, also kulturell aufgehoben sind. Natürlich spielen wirtschaftliche Faktoren eine entscheidende Rolle - wer keine Arbeit findet, kann nicht bleiben. Deshalb findet es Professor Magerl richtig, dass das neugegründete bayerische Heimatministerium viele staatliche Behörden aus München und Nürnberg in die Region verlagert hat. Kulturförderung lasse sich von wirtschaftlicher Prosperität nicht trennen. Bayern befinde sich hier natürlich in einer vergleichsweise komfortablen Situation, sagt der Akademie-Präsident.

"Weil halt Bayern das Glück hat, von einem Armenhaus zu einem wohlsituierten Bundesland aufgestiegen zu sein. Und von daher kann sich der bayerische Haushalt mehr leisten als andere Bundesländern. Aber das heißt noch lang nicht, dass das kulturelle Leben woanders ärmer ist."

Denn es spielen noch weitere Faktoren eine Rolle. Beispielsweise die Geschichte einer Region. Im 19.Jahrhundert prägte vor allem Ludwig I. das kulturelle Bayern. Indem er München zu einer strahlenden Kunststadt ausbauen ließ, aber auch die Peripherie nicht vernachlässigte.

"Das geht noch weiter zurück: Wenn Sie an die frühen Stadtgründungen der Wittelsbacher denken, da war damals schon dieses Bewusstsein da, dass es auch außerhalb von München noch etwas gibt. Diese dezentrale Siedlungsstruktur, die wir in Bayern haben. Die ich immer schmerzlich vermisse, wenn ich zum Beispiel dienstlich als Berater in China oder sonst wo bin. Wo ich dann immer sage: Bei uns kommt alle 30 Kilometer eine zentrale kleinere oder mittlere Stadt. Hier ist also nie eine große Leere. Das haben wir in Bayern mit München nicht."

Noch nicht. Aber München wächst und wächst - und damit auch seine kulturelle Sogwirkung. Professor Magel, dessen Lebenswerk die Erforschung und Belebung ländlicher Räume ist, äußert seit Jahren seine Sorge vor dem Moloch München.

"München muss weniger wachsen. Das ist ein Wahnsinn, wenn in München über noch mal 300.000 Einwohner mehr diskutiert wird. Das ist doch ein Wahnsinn, da muss man gegensteuern! Man muss das verteilen ins Land hinaus. Es kann nicht sein, dass alles nur nach München strömt. Dann riskieren wir, dass ganze Landstriche aussterben oder zu Altersheimen degenerieren. Da muss der Staat gegensteuern."

Zum Beispiel über Kulturförderung. Etwa in Deggendorf in Niederbayern. Dort leistet der örtliche Kunstverein mit jeder Ausstellung auch ein bisschen Widerstand gegen das große Gravitations-Zentrum München, 150 Kilometer südwestlich. Thomas Darcy, der Vorsitzende des Kunstvereins Deggendorf, hat lange Zeit als Kulturmanager in München gearbeitet. Er will die Landeshauptstadt nicht schlecht reden.

"Ich meine, München reißt uns ja als Standort Bayern grundsätzlich mit. Ich sehe aber schon einen Bedarf, dass man die Talente, die hier in der Region entstehen, ein bisschen mehr von Anfang an fördert. Sie abzuholen, wenn sie bereits in München sind, finde ich schade. Wir haben enorme Talente in der Region. Und ich wünschte, dass wir als Verein in der Lage wären, Talente hier draußen in der Peripherie besser zu fördern. Da müssten Talentförderprogramme her, um das zu unterstützen."
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