Das Unsichtbare sichtbar machen

Von Alexandra Müller |
Wolfram Kastner schafft Kunst, die stört und sich einmischt, Kunst, die sichtbar macht, was sonst nicht zu sehen ist. In seiner Aktionskunst greift der 61-Jährige meist politische und historische Themen auf. So hat er zum Beispiel Seife in den Bundestag gebracht, damit sich die Politiker ihre Hände in Unschuld waschen und Wähler einseifen können. Seine Kunst provoziert Nachdenken und Diskussion, nicht selten auch Widerspruch, Verbote und Strafanzeigen:
"Wie zum Beispiel der Brandfleck in München zur Erinnerung an die Bücherverbrennung, der immer erst verboten wurde, inzwischen ist es dann genehmigt - nach 14 Jahren. Auch dieser Genehmigungsprozess ist ein Wahrnehmungsprozess. Weil auch ein solches Verbot behandele ich öffentlich. Ich denke, das geht ja nicht nur mich etwas an als armer Künstler, der sich da schlecht behandelt fühlt. Sondern es geht jeden in dieser Gesellschaft etwas an, was darf man sehen und was soll man nicht sehen". "

Wolfram Kastner: Ein sympathischer Mann mit wachen grünen Augen sitzt am Schreibtisch seines Ateliers, gelegen in einem ruhigen Hinterhof im Münchner Stadtteil Maxvorstadt. Eine sandfarbene Schiebermütze, schlichte legere Kleidung in beige und blau, sowie die entspannte Körperhaltung betonen das Unkomplizierte des 61-Jährigen. "Da gibt's fei gar nix zum Lachen" ist auf einem Stapel weißer Postkarten in schwarzen Buchstaben zu lesen. - "Kunst ist die Dekoration der Herrschaft - bist heute" bedauert der Aktionskünstler. Er hält es mit Paul Klee, der einst festhielt: "Die Kunst macht etwas sichtbar, was man sonst nicht sieht und bildet nicht ab, sondern schaut auch dahinter."

Zusammen mit seinen Eltern - die Mutter stammt aus Greifswald, der Vater aus Rothenburg - und einem älteren Bruder wächst er in München auf:

""Eigentlich nicht weit von hier, in der Arcisstraße, erst in der Schleißheimer Straße, in der Arcisstraße dann. Da fuhren auch noch die Panzer durch die Straßen. Es waren die Ruinen, die Kinder spielten in Ruinen, fanden dann schon auch mal noch irgendwelche Handgranaten."

Nach dem Besuch der Volksschule in Maxvorstadt besucht er ein Gymnasium in München-Laim:

"Das war aber eigentlich gar nicht richtig vorgesehen. Das war auch ganz gut. Ich war am Gymnasium eigentlich so immer zwischen den Stühlen gesessen, also die anderen kamen aus Akademikerhaushalten, ich nicht. Meine Eltern hatten auch kein Geld". "

Bis heute bemängelt Wolfram Kastner, dass Schule keine Interessen vermittelt oder entwickelt, sondern eine Institution ist, die Motivation verhindert und anpasst. Er war nie so richtig anpassungsfähig, wie er sagt. Bei so viel Druck, distanziert er sich und sucht andere Orientierungen. Anstatt in die Kirche zu gehen, liest er Sigmund Freud und Bertold Brecht - zu seiner Zeit so verachtet wie Jazz.

Der Empfehlung der Schule, Mathematik zu studieren, kann er nicht folgen - zu schematisch. Das systematisch Strukturierte ist ihm ein Gräuel. Der Aufbruch ins Freie lockt. So interessiert er sich für Literatur und Lyrik, für Psychologie und Kunst. Neben dem Studium der Literatur, Psychologie und Politik studiert er von 1966 bis 1972 Kunst an der Akademie der Bildenden Künste in München.

Bis heute lebt er zusammen mit seiner Frau, einer Psychologin, und seiner bald 19-jährigen Tochter Hanna in München-Neuhausen.

Zeigt er Kunst im öffentlichen Raum, wird er schon mal von herbeieilenden Ordnungsbehörden aufgefordert, ein Schild aufzustellen mit dem Hinweis "Achtung: Hier handelt es sich um Kunst". Doch Wolfram Kastner hat andere Ideen zur Beschilderung:

""Ich hab mit ein paar Freunden zusammen eine Intervention gemacht in der Stadt, wo wir uns einfach Tafeln umgehängt haben, weiße große Tafeln vorne und hinten mit der Aufschrift 'bitte beeilen Sie sich' und sind dann zu fünft nebeneinander ganz langsam durch die Straßen gegangen. Oder wir haben ein Transparent gemacht mit der Aufschrift 'bitte beeilen Sie sich' und das auf eine Autobahnbrücke gehängt - an der Salzburger Autobahn, wo also am Wochenende regelmäßig Stau ist". "

Nicht in behüteten Werkstätten, in abgeschotteten Räumen, wie Galerien, Museen, wo nur Kunstsinnige verweilen, soll Kunst sichtbar sein. Wolfram Kastner fordert freie Kunst in der Öffentlichkeit. Dort irritiert er, schärft eingeschliffene Seh- und Wegsehgewohnheiten, bringt die Menschen zum Stutzen, regt Nachdenken an. "Unerhörte Musik - unerwünschte Klänge?" heißt ein aktuelles Projekt:

""Da geht es um die Erinnerung an Musikerinnen und Musiker, Komponisten, Sänger, die verfolgt wurden ab 1933 wegen ihrer jüdischen Herkunft und, auch wenn sie sich gar nicht als Juden verstanden, nicht mehr musizieren, nicht mehr komponieren durften. Wir haben 104 Namen von betroffenen Musikern und Musikerinnen gefunden. Es soll eine Ausstellung geben. Wir wollen auch Konzerte, also, diese wirklich im wahrsten Sinne des Wortes unerhörte Musik in dieser Stadt wieder zu Gehör bringen."

Wolfram Kastner betont, dass er Freude am Leben hat. Sein Lächeln und seine positive Ausstrahlung lassen keinen Zweifel daran. Er hört gerne Musik, experimentelle und zeitgenössische, mag Jazz ebenso wie Hans Werner Henze oder Luigi Nono. Ein positives Lebensgefühl möchte er auch Anderen zuteil werden lassen und das ist auch Motivation für sein künftiges Schaffen:

"Ich möchte einen Beitrag dazu leisten, dass eine Sensibilität gefördert wird, die bestimmte Dinge in dieser Welt nicht mehr zulassen. Ich wünsche mir, dass Menschen selbständig sehen und selbständig denken und auch ein bisschen hinter die Fassaden schauen und sich nicht blenden lassen, vom Design eines Krieges oder dem Design eines Atomkraftwerkes."