Das Unsichtbare sichtbar machen

Von Sarah Tschernigow · 31.05.2011
In Künstlerkreisen wird Thorsten Heinze oft das "Mysterium von Berlin-Mitte" genannt. Dort hat er 2008 die Seven Star Gallery gegründet, wo er vor allem Porträts von Prominenten ausstellt.
"Was total schön ist … dass in der Fotografie das Unsichtbare sichtbar gemacht wird. Das heißt, Ebenen abgelichtet werden, oder sichtbar gemacht werden, die wir festhalten können. Das ist totale Magie … die Zeit anhalten zu können."

Das Unsichtbare sichtbar machen. Der Künstler und Galerist Thorsten Heinze sagt das sehr oft. Es ist seine Vision, die Ausdruck in seinem Lieblingsausstellungsstück findet: einem Selbstporträt, einer Schwarz-Weiß-Spielerei, die nur seine Silhouette zeigt, während er tanzt.

"Das ist ein Fotogramm. Das heißt Abdruck mit Licht. Fotopapier und da drauf ist dann Licht projiziert worden. Und dadurch ist das Fotopapier belichtet worden. Ohne Negativ. Und dadurch ist es einzigartig."

Seine Seven Star Gallery in Berlin-Mitte ist simpel gehalten. Der Künstler verzichtet auf Dekoration. Die Fotografien hängen zum Teil an nackten, kalten Betonwänden, die Titel hat der 44-Jährige mit Bleistift an die Wand gekritzelt. Das Licht ist schummrig, im Raum steht ein alter, eingestaubter und mit Kerzenwachs übersäter Flügel, fast wie auf einer Baustelle.

"Der Raum ist dafür da, den Menschen widerzuspiegeln. Die Einfachheit, das Schöne, das Klare zu zeigen und zu kommunizieren."

Thorsten Heinze will eine mystische Stimmung erzeugen. Dabei sind die ausgestellten Fotos klar und deutlich: Es sind überwiegend Porträts von Berühmtheiten - von extremen Menschen, wie Schauspieler Klaus Kinski oder Ex-Rolling-Stone Brian Jones. Und auch wenn man Thorsten Heinze nie begegnet ist, merkt man gleich, dass ihm ein Künstler besonders viel bedeutet. Der Pantomime-Spieler Marcel Marceau. Vor dessen Foto steht ein gewaltiger Strauß Lilien, der, obwohl er halb verwelkt ist, nicht weggeräumt wurde.

"Ich hab den gesehen, als ich zwölf war. Im Theater in Hamburg. Und das hat mich so beeindruckt … ein Engel ist gekommen, hat mich an den Schultern gepackt und mich zu ihm gezogen. Also nach der Show, backstage. Dann haben wir uns in die Augen geguckt, das hat dann ordentlich gefunkelt. Das war dann mein Wunsch, mein Traum, mit diesem Menschen zu spielen, von diesem Menschen mehr zu erfahren, diese universelle Sprache sprechen zu können."

Schon als Kind interessiert sich Thorsten Heinze für die Kunst des Sprechens ohne Worte. Mit drei Jahren verliert er seine Stimme, spricht einfach nicht mehr, bis er Teenager ist. Er guckt sich Stummfilme an, tritt als Straßenkünstler mit Akrobatik- und Pantomime-Einlagen auf. Früh geht er aus seiner Heimatstadt Hamburg weg. Er will die ganze Welt bereisen und anderen Künstlern begegnen. Mit 18 wagt Heinze den Schritt nach Paris, um bei Marcel Marceau zu lernen. Mit 22 touren sie gemeinsam durch die ganze Welt.

"Ich hab in der Company gespielt … war sehr wie mein Papa auch … und Meister. Hat mir viel mit auf den Weg gegeben. Schön ist es dann, wenn man mit den Menschen verschmelzt und Visionen teilen kann und das Interesse da ist, etwas Gemeinsames entstehen zu lassen. Das ist toll, wenn das zustande kommt."

Marcel Marceau ist es auch, der Heinze mit Michael Jackson bekanntmacht – 1995, bei Vorbereitungen für eine gemeinsame Show, die auf dem amerikanischen Fernsehsender HBO laufen soll. Die Show findet nie statt, angeblich weil Michael Jackson kurz vorher zusammenbricht. Aber Jackson lädt den talentierten Deutschen auf seine Neverland-Ranch ein. Aus dem Besuch werden neun Jahre.

"Ein ganz besonderer Mensch, der sehr viel Licht gegeben hat und sehr gefunkelt hat und sehr, sehr viel Energie umgewandelt hat."

Ja, sagt Heinze, er habe im Paradies gelebt: In einem Schloss mit 45 Zimmern und 200 Angestellten; einem Zauberreich mit wilden Tieren, bunten Karussells und eigenem Kino. In der Galerie hängt kein Foto von Jackson, obwohl er Hunderte von ihm gemacht hat. Womöglich, weil Thorsten Heinze nicht mehr auf den King of Pop angesprochen werden möchte.

"Die Menschen, die mir begegnet sind im Leben, wie Klaus Kinski, Marcel Marceau, Michael Jackson, die sind ja bekannt für das was sie machen, weil sie eine starke Persönlichkeit sind und sich selbst verwirklicht haben mit dem, was sie machen. Und diese Menschen geben so ein schönes Licht ab, erzählen so schöne Geschichten. Und das ist das Tolle am Menschen, dass es solche Menschen gibt, und dass sie uns solche Geschichten erzählen."

Auch Thorsten Heinze hat ganz viele Geschichten zu erzählen, aber in Worte will oder kann er sie nicht fassen. Vermeintlich einfachste Fragen überfordern ihn: Wie muss man sich das Leben auf der Neverland-Ranch vorstellen? Welches Buch liest du gerade? Was machst du nach Feierabend? Dann krümmt und windet er sich, stützt nachdenklich den Kopf in die Hand, schweigt oft ein, zwei Minuten, fühlt sich sichtlich unwohl, will eine andere Frage gestellt bekommen. Über seine Arbeit.

"Es ist nicht leicht für mich, Sachen in Worte zu fassen. Weil das Wort ist so limitiert. Deshalb wäre das toll, wenn die Leute in die Seven Star Gallery kommen. Da brauch ich nicht reden. Das ist halt eine Sprache, die dort stattfindet, die universell ist, für die man keine Worte braucht."

Der Künstler selbst ist in seiner Galerie selten anzutreffen. Vielleicht weil er sofort die Blicke von den Fotografien auf sich lenken würde: Er trägt gerne einen schweren schwarzen Mantel, klobigen Schmuck, lange zerzauste Haare und einen Ansatz zum Vollbart. Er guckt immer ernst und sieht fast ein bisschen unheimlich aus. In Wahrheit aber ist Thorsten Heinze unglaublich schüchtern, möchte am liebsten gar nicht sprechen – sondern nur über seine Bilder mit den Menschen kommunizieren.