Das Redaktionsschwein

Von Udo Pollmer · 30.03.2013
Die guten Absichten kann man der Niedersachsen-Redaktion des "Weserkuriers" nicht abstreiten. Sie kaufte ein Ferkel und berichtete regelmäßig von seinem Werdegang. Bis zur Schlachtbank. Aber dort eskalierte die Situation.
Die guten Absichten kann man der Niedersachsen-Reaktion des Weserkuriers nicht abstreiten, als sie auf die Idee kam, ihre Leser über das Leben eines deutschen Mastschweines aufzuklären. Doch dann entglitt der Redaktion die Kontrolle.

Es gibt drei Arten von Schweinen, das Wildschwein, das Hausschwein und neuerdings auch das Redaktionsschwein. Ein solches hatte sich die Redaktion einer deutschen Tageszeitung zugelegt. Eigentlich war es ein ganz gewöhnliches Mastschwein, die Zeitung wollte ihre Leserschaft anhand eines Schweinelebens, beginnend beim Ferkel und endend mit einer leckeren Wurst einen Einblick in die Landwirtschaft geben. Doch dann steuerte das Hohe Lied von der bäuerlichen Landwirtschaft auf eine Moritat zu.

Regelmäßig berichtete die Redaktion über das Schweineleben
Die Redaktion hatte also ein Ferkel erworben, einem Nebenerwerbsbetrieb übergeben, um es dort mit sieben weiteren Ferkeln aufziehen zu lassen. Mit viel Platz zum Spielen, Auslauf und frischer Luft. Eine echte Landidylle. Regelmäßig berichtete die Zeitung über das Leben ihres Schützlings, sie ließ dabei natürlich auch Schweinehalter, Tierschützer, Tierärzte, Schweinehändler und Politiker zu Wort kommen.

Nach zwölf Folgen sollte das ausgemästete Vieh geschlachtet werden - natürlich nur bei einem alteingesessenen Landmetzger. Verbraucheridylle bis zum Würstchen. Doch es kam ganz anders: Eine offenbar gut vorbereitete Protestwelle brach los. Die Beteiligten wurden von Tierrechtlern bedroht, würden sie dem Schwein auch nur eine Borste krümmen.

Die mittlerweile eingeschaltete Polizei ließ die Betroffenen wissen, dass sie die Drohungen ernst nähme. Und so gaben Redaktion, Landwirt und Metzger zähneknirschend nach. Es ist doch für einen Lebensmittelhersteller oder Agrarjournalisten gut zu wissen, dass sich auch die Polizei bei Morddrohungen so ihre Gedanken macht – und dass man da doch lieber nachgeben sollte. Auch in anderen Ländern werden Journalisten oder Geschäftsleute bedroht und sie tuen meist gut daran, den an sie herangetragenen Wünschen Folge zu leisten. Das rät auch dort die Polizei.

Schweinekotellets werden beim Fleischer zubereitet
Eigentlich hätte der Eber geschlachtet werden sollen.© AP
Der Eber war für nur für ein kurzes Leben gezüchtet
So wurde der Eber Tierschützern übergeben, und die brachten ihn auf einen sogenannten Gnadenhof. Pech für das Mastschwein. Die liebe Vieh ist züchterisch nicht fürs Altersheim sondern auf Fleischzuwachs ausgelegt. Nun wird die arme Sau zur Gewichtskontrolle mit einer Gemüse-Gras-Diät gequält. Sie leidet unter heftigen Gelenkschmerzen, die mit Schmerzmitteln behandelt werden. Weil Tierschutz großgeschrieben wird, muss das arme Tier auch raus an die Sonne.

Aber die verträgt es nicht – Schweine sind hellhäutig und sie bekommen schnell einen Sonnenbrand. Deshalb kriegt das Schwein vorher eine Abreibung mit Sonnenmilch - Sonnenschutzfaktor nicht unter 20. Da wird man ob der vielen Borsten eine Familienpackung kaum reichen. Schon manch einem Landwirt sind Schweine krepiert, weil er sie im Sommer raus an die frische Luft geschickt hat.

Der Unterschied zwischen einem Haustier und einem Wildtier ist gravierend. Die Grundlagen zum Verständnis legte der russische Forscher Dimitry Belyaev. Er versuchte, Wildtiere zu domestizieren. Über viele Generationen züchtete er sie auf Zahmheit. Und das änderte vieles am Körper der Tiere – einfach deshalb, weil Wildheit, Furcht und Aggressivität genetisch mit dem Erscheinungsbild gekoppelt sind.

Domestizierte Tiere sind im wörtlichen Sinn Haustiere
Es zeigte sich, dass mit zunehmender Zahmheit das Fell der Tiere scheckiger und immer heller wurde. Auch deshalb sind viele Laborratten weiß. Die Ohren werden schlapp, die Haare kräuseln und die Schwänze ringeln sich. Die Hormone, die die Pigmentbildung regeln, steuern auch die Stressreaktionen und die Angst vor dem Menschen. Deshalb vertragen domestizierte Tiere nicht soviel Sonne wie ihre wilden Verwandten. Es sind eben Haustiere – im wörtlichen Sinne.

Natürlich sieht man im Urlaub in anderen Ländern manchmal auch Schweine, die draußen rumlümmeln. Erstens sind das meist Tiere mit einer dunklen Haut und zweitens brauchen sie Schatten und Schlamm, um sich vor der Sonne zu schützen. Wenn wir unsere Schweine draußen halten wollen, müssen wir sie erst wieder fürs Freiland umzüchten. Sonst lassen wir sie lieber drin. Es sind nicht umsonst Hausschweine. Mahlzeit!

Literatur:

Ettemeyer H: "Redaktionsschwein ist auf dem Gnadenhof", Weser-Kurier 24. 9. 2011
Stengerl E, Disselhoff F: "Das vergessene Redaktionsschwein: Die traurige Geschichte vom begnadigten Ferkel Tibu", Meedia Topstory 29.12. 2012
Anon: "Redaktionsschwein leidet unter Begnadigung", Topagrar Online 6. Jan. 2013
Trut LN: "Early canid domestication: the farm-fox experimnent", American Scientist 1999; 87: 160-169