"Das ist eine moderne Partei"

28.09.2007
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Der Politologe Gero Neugebauer sieht auch nach der Wahl eines neuen Vorsitzenden eine wichtige Rolle für die CSU im bundesdeutschen Parteiensystem. "Solange die CDU nicht sagt, wir gehen jetzt nach Bayern, solange wird die CSU auch ihre Rolle behalten können", sagte Neugebauer.
Jan Kitzler: Bayerische Heimatkultur oder bundespolitische Positionierung – darüber , wie das politische Grundsatzprogramm einzuschätzen ist, wollen wir nun mit dem Parteienforscher Gero Neugebauer von der Freien Universität Berlin sprechen. Guten Tag, Herr Neugebauer.

Gero Neugebauer: Guten Tag, Herr Kitzler.

Kitzler: Sehen Sie denn im Grundsatzprogramm der CSU grundsätzlich neue Ansätze?

Neugebauer: Soweit ich es zur Kenntnis genommen habe und mich hat vor allen Dingen der Werteteil interessiert, sehe ich schon, dass die CSU auf der einen Seite merkt, es ist gut, konservativ sich zu geben in einer Welt, die nicht konservativ ist, aber auf der anderen Seite, genügend Öffnungen lässt, um zu sagen, na ja, wenn die Zeit sich ändert, dann ändert sich, dann müssen wir uns anders verhalten. Also, es gibt nicht mehr, wie in früheren Programmen so eine absolute Verpflichtung bestimmte Sachen einzuhalten, sondern, man sagt, na gut, man kann manches Ziel nicht erreichen, schade, aber immerhin, wir haben es gefordert.

Kitzler: Um Volkspartei zu bleiben, um in Bayern weiterhin absolute Mehrheiten zu holen, muss so ein Grundsatzprogramm ja gewissermaßen für jeden etwas bieten. Leistet das dieses Programm?

Neugebauer: In der Tat leistet das dieses Programm. Also ein Programm hat ja einmal die Funktion, Identitätsangebote zu machen, zweitens sich sozusagen für den Wähler anzubieten, sagen, was wollen die denn eigentlich, den Konkurrenten die Möglichkeit zu geben, sich abzugrenzen, beziehungsweise die eigene Partei abzugrenzen, und das führt natürlich auch dazu, dass manche flapsig sagen, es ist wie eine gute Hühnersuppe, es ist alles drin und jeder kann sich was rausnehmen, und wenn man sich beispielsweise bestimmte Sachen rausschaut aus dem Programm der CSU, dann kann man sagen, okay der Konservative, der konservativ leben will sagt, das ist mein Programm, aber der Konservative, der sagt, es reicht mir, wenn ich die Werte kenne, ich muss sie nicht unbedingt leben, der kann auch sagen, auch das ist mein Programm.

Kitzler: Sie haben ja das Thema Abgrenzen angesprochen. Man konnte in letzter Zeit immer wieder beobachten, wie die CSU versucht hat, sich von ihrer großen Schwesterpartei, der CDU, abzugrenzen. Kann man diese Bemühung, ich denke da zum Beispiel an das Thema Familienpolitik, auch aus diesem neuen Parteigrundsatzprogramm herauslesen?

Neugebauer: Ja, das kann man daraus rauslesen, wenn man beispielsweise das im Programm besonders auch herausgestellte Prinzip der Subsidiarität noch weiter zuspitzt, Subsidiarität heißt ja im Kontext des CSU-Programms, Vorrang der Eigenverantwortung und wenn jemand in der Lage ist, eigenverantwortlich zu handeln, dann sollen andere, insbesondere der Staat, nicht für ihn tätig werden. Das heißt, es ist aus solcher Sicht heraus auch konsequent zu sagen, wenn der Staat schon (…) wenn die Mutter sagt, ich will das Kind alleine betreuen, dann muss ihr die Möglichkeit gegeben werden, und nach dieser programmatischen Verpflichtung kann es auch nicht anders laufen. Andererseits hat es auch damit was zu tun, dass eben das Familienbild der Union doch noch letztendlich ein konservatives ist, und wenn Sie sich das anschauen, auch was andere Punkte angeht, dann muss man sagen, sie versuchen programmatisch eine andere Position zu begründen, das aber eher im Kontext der Tradition der CSU, aber ob sie das durchsetzen können, das ist natürlich eine andere Frage.

Kitzler: Das Programm wurde ja von einer Parteispitze verhandelt, die nach dem Parteitag nun stark verändert sein wird. Ist das ein Problem?

Neugebauer: Ja, es ist ein Problem. Jede Auseinandersetzung um Programmpunkte ist gleichzeitig eine Auseinandersetzung um Positionen in der Partei. Mit diesem Programm hat die 74er-Garde, das heißt die, die 1974 nach dem Erdrutschsieg der CSU in den Landtag gekommen sind, in die Politik gekommen sind, erst einmal ihre Überzeugung festgeschrieben. In manchen Punkten, in Fragen von Umwelt und Ähnlichem muss man notwendigerweise weitergehen, auch die europapolitischen Positionen sind zumindest von manchen Sachen her weiter, aber letztendlich lässt sich alles zurückführen auf ein konservatives Weltbild, das hier im bayrischen Kontext oder im CSU-Kontext aufs christliche Weltbild auf bestimmte Werte und insofern fehlt jeder Zug von Liberalität und Modernität, der eigentlich einer Partei zustehen würde, die ins 21. Jahrhundert gehen will.

Kitzler: Es gibt ja Befürchtungen, die CSU könnte sich gerade jetzt angesichts der Personalveränderungen zu sehr nach Bayern zurückziehen und gewissermaßen zur Provinzpartei werden. Wie sehen Sie die künftige Rolle der CSU in der deutschen Parteienlandschaft?

Neugebauer: Also, es gibt einige Personen in der CSU, die sich selbst immer mit der CSU verwechselt haben, dazu gehört möglichrerweise auch Herr Stoiber. Aber die CSU ist nicht identisch mit ihren Führungspersonen. Das ist eine moderne Partei, in hohem Maße auch bürokratisiert, sehr leistungsfähige Partei, die den (…) für das ganze Land liefert, die sich selbst mit Bayern identifiziert und diese Identifikation wird weiterhin dazu führen, dass die CSU im bundesdeutschen Parteiensystem eine wichtige Rolle spielt. Solange die CDU nicht sagt, wir gehen jetzt nach Bayern, weil eine dortige CSU den Konflikt riskiert, wie seinerzeit 1976 Herr Strauss es tut, solange wird die CSU auch ihre Rolle behalten können und sie haben es im Bericht ja auch angesprochen, die Seite nach rechts, die Integrationsfähigkeit, die die CSU dort hat, ist immer noch was, was im deutschen Parteiensystem gefragt wird und was für Bayern eine wichtige Rolle spielt. Also insofern hängt es nicht von den Personen ab, welche Rolle die CSU spielt, die Provinzialität ist ein Aspekt, aber es ist nicht der dominierende, es ist vielleicht das folkloristische Element in der Wahrnehmung, das zu diesem Urteil verleitet. Es wäre falsch, es darauf zu reduzieren.

Kitzler: Einschätzungen waren das des Parteienforschers Gero Neugebauer von der Freien Universität Berlin, vielen Dank.