Das Goya-Universum

Von Barbara Wiegand · 12.07.2005
Sowohl eine Leidenschaft fürs Fantastische als auch ein menschennaher Realismus charakterisieren die Bilder des spanischen Malers Francisco de Goya. Sein opulentes Werk ist in der Ausstellung "Goya - Prophet der Moderne" in der Alten Nationalgalerie in Berlin zu bewundern.
Es ist Francisco de Goya selbst, dem man zu Beginn des Rundgangs begegnet. Als Büste auf einem Sockel in der von Orangenbäumchen gesäumten Rotunde aufgestellt. Und im ersten Ausstellungsraum begegnet man ihm so, wie er sich zu Lebzeiten gesehen und gemalt hat – leger mit offenem Hemd, etwas blässlich im Gesicht, im Profil mit Zylinder auf dem Kopf, als Neandertaler und im berühmten Schlaf der Vernunft gefangen. Ein Albtraum, der allerlei Fledermausartige und andere Ungeheuer gebiert, die über dem Kopf des Meisters kreisen.

Selbstbildnisse des Francisco de Goya, die vor Augen führen, was ihn und sein Werk ausmacht. Ein bisweilen grotesker Humor, eine Leidenschaft fürs Fantastische und ein menschennaher Realismus, der sich auch in den in der Hauptachse des Hauses gehängten offiziellen Bildern, seinen Porträts gekrönter und anderer adeliger Häupter, zeigt. Etwa des Herzogs von Alba, in eher lockerer, denn pompöser Pose.

Kurator Moritz Wullen: " Typisch ist zum Beispiel auf dem Porträt des Duque de Alba, dass der Porträtierte nicht mehr seinen gesellschaftlichen Status symbolisiert, sondern sehr relaxt, in fast bürgerlich entspannter Pose dargestellt ist. Und auch nicht mit einem Machtinstrument, sondern mit Haydn-Partitur.
Man definiert sich nicht mehr über ein Statussymbol, sondern über das eigene Interesse, die eigene Begabung. Und über die eigene Ambition. Aber nicht über die Standeszugehörigkeit."

Das berühmte Porträt der Herzogin von Alba, auf dem sie auf die in den Sand geschriebenen Worte "Solo Goya" zeigt und damit Gerüchte nährt, sie habe ein Verhältnis mit dem Meister gehabt, es ist leider nicht Berlin zu sehen. Aus konservatorischen Gründen. Als kleine Kabinettstücke zeigt man dafür in einem Nebenraum, quasi hinter dem Rücken des Herzogs, recht pikante Zeichnungen.

" Es wird nämlich vermutet, nicht nur dass Goya ein Verhältnis mit ihr hatte – ein Jahr nach dem Tod des Duque de Alba möchte ich zu ihrer Ehrenrettung sagen – sondern, dass auch diese Zeichnungen die Duque de Alba zeigen. Und hier auf diesem Blatt erweist sie sich als so unbesonnen, spitz und geil, dass sie sogar diesen Stier auf sich aufmerksam macht."

Ein Humor, den der 1746 als Sohn eines Vergolders im Dorf Fuendetodos geborene Maler bisweilen ins abgrundtief Absurde steigert. Da fallen Männer die Treppe runter, oder im nächsten Moment sicherlich von der Leiter, da steckt Goya Menschen in Säcke oder verleiht ihnen Flügel – aber auch mit Schnäbeln verunstaltete Gesichter. Beißende Gesellschaftssatire, auch in der Serie "Los Disparates" – die Torheiten. Den in Berlin am Ende des Rundganges gezeigten letzten Grafik-Zyklus Goyas vollendete der Künstler in Frankreich. Nachdem er 1824 dorthin ins Exil gegangen war. Aus Furcht vor Repressalien und Verfolgung in seiner Heimat Spanien, wo man die Inquisition wieder eingesetzt hatte. Dennoch war der Hofmaler Goya wohl mehr ein Kritiker der Menschen, als des Systems.

Peter Klaus Schuster, Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin: " Der Gesellschaftskritiker Goya – das ist schwer zu fassen. Er ist ein Kritiker der Menschen in ihrer Verfasstheit, wie sie abergläubisch sind, wie sie sich betrügen, dann natürlich auch klassenspezifisch, dass die da oben sich an denen da unten vergreifen. Dann natürlich auch die Macht der Kirche. Auf der Seite, muss man sagen, ist Goya der oberste Hofmaler. Er ist es gerne. Er ist so sehr ambitioniert. Er ist ein Dandy. Er ist bei den Intellektuellen, bei den Etablierten – er ist ein Chamäleon. Von daher sollte man vorsichtig sein, ihn für irgendetwas in Anspruch zu nehmen. Ich glaube, er zeigt uns, was der Mensch sein kann. Was wir alle sein können."
Das, was der Mensch sein kann, ist mitunter zum schadenfrohen Lachen, und immer wieder zum Fürchten. Weil Goya mit brillant geschärftem Blick den Alltag ins Visier nimmt, in fantastische Düsternis hineinschaut und den realen Irrsinn von Krieg und Gewalt schonungslos drastisch zu Papier und auf die Leinwand bringt. Das angstverzerrte Gesicht eines Mannes, angesichts des von einem Räuber und wohl bald auch seinem Mörder auf ihn gerichteten Gewehres, die nackte Frau, die erstochen wird, der von der Lanze durchbohrte Kopf, die Menschen auskotzende Riesenratte als bildgewordenes Monster Krieg.

Nochmals Moritz Wullen: " Da geht es auch immer wieder um den Krieg. Man muss sich vorstellen, dass Francisco de Goya in einer Zeit des Kriegs gemalt hat. Seit 1793 war Spanien im Krieg zuerst mit dem revolutionären Frankreich und dann mit Napoleon. Das ist so eine Metapher des Krieges. Eine genetische Kreuzung aus Eber und Ratte. Und dieses Symbol für den Krieg hat sich so an Menschen überfressen, dass es sich jetzt hier auf der Seite liegend übergeben muss. Das ist eine Drastik, die schon für die damalige Zeit ungeheuerlich ist. "

Ganz nah ist diese gewaltige Brutalität auch in einem von Stierkampfbildern gesäumten Gang – wenn Gedärme blutrot aus einem niedergesunkenen Pferd quellen, ein abgetrennter Menschenarm im Hintergrund noch blutend pulsiert, wenn ein Stier die Zuschauertribüne gestürmt hat und diese auf der einen Seite beängstigend leer, auf der anderen mit Flüchtenden überfüllt ist, wenn das wutschnaubende Tier ein Pferd auf die Hörner nimmt.

Wagemutige Kompositionen, Momentaufnahmen, aus dem Prado und zahlreichen Privatsammlungen beachtenswert zusammengetragen und gehängt. Gemälde und Zeichnungen, die immer wieder Einiges von dem vorwegnehmen, was im Expressionismus, im Surrealismus ja im Comic und der Fotografie später wieder auftaucht. So dass der etwas heroische klingende Titel "Goya Prophet Moderne" insofern zutrifft.

Er trifft aber auch zu, weil das Universum des Francisco de Goya mit seinen grausamen Szenen, den kuriosen Karikaturen den albtraumhaften Fantasien bis heute so beeindruckt. So sehr, dass man manchmal wegsehen möchte, wenn die menschlichen Abgründe gar zu tief sind - und so sehr, dass die Bilder einen lange, nach dem man die Alte Nationalgalerie verlassen hat, noch immer nicht loslassen.

Service:

Die Ausstellung "Goya - Prophet der Moderne" ist vom 13. Juli bis 3. Oktober 2005 in der Alten Nationalgalerie in Berlin zu sehen.