"Das Ende der Atomkraft"

Reinhard Loske im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler · 14.03.2011
Der Bremer Umweltsenator Reinhard Loske (Bündnis 90/Die Grünen) hat der Bundesregierung fehlende Glaubwürdigkeit in der Atompolitik vorgeworfen. Statt zu beschwichtigen, sollte die Regierung alte Reaktoren sofort abschalten und die Laufzeitverlängerung für deutsche Atomkraftwerke zurücknehmen.
Jan-Christoph Kitzler: Jetzt schaut natürlich alle Welt auf Japan und auf die Folgen des schweren Erdbebens, aber eines ist so sicher wie das Amen in der Kirche: In Deutschland wird jetzt wieder eine Debatte beginnen über die Atomkraft. 17 Atommeiler sind hier noch am Netz, und im vergangenen Sommer hat die Bundesregierung gerade eine großzügige Verlängerung der Laufzeiten dieser Meiler beschlossen. Über die Atomdebatte, die da auf uns zukommt angesichts der Katastrophe und angesichts des drohenden GAUs in Japan, spreche ich mit Reinhard Loske, dem Umweltsenator Bremens, er ist einer der profiliertesten Klimapolitiker der Grünen. Schönen guten Morgen!

Reinhard Loske: Schönen guten Morgen!

Jan-Christoph Kitzler: Ist das jetzt eigentlich in Ihren Augen der richtige Zeitpunkt für eine Debatte um die deutschen Atomkraftwerke, oder kommt das nicht angesichts der Katastrophe etwas zu früh?

Loske: Natürlich sind die vorherrschenden Gefühle Fassungslosigkeit, Anteilnahme und vor allen Dingen gute Wünsche, dass das Schlimmste doch nicht passiert. Also insofern ist das, was vorherrscht an Gefühlen. Dennoch kann man nicht so tun, dass Japan das eine ist und der Rest der Welt ist das andere, was die Atomenergie betrifft. Das hatten wir 1986 auch schon, als Tschernobyl passierte, da hieß es, na ja in Russland, das ist ja alles ganz anders, das sind Schrottreaktoren, das könnte bei uns niemals passieren und so weiter. Und diese Entschuldigung oder diese faule Ausrede, die entfällt natürlich hier vollends, weil Japan ein Hochtechnologieland ist, das bestens vorbereitet ist auf jedwede Form von Unfällen und Katastrophen. Und insofern muss die Welt insgesamt daraus Schlüsse ziehen, und das betrifft natürlich auch uns, weil wir haben hier in Deutschland ja eine ganze Menge baugleiche oder mindestens bauähnliche Siedewasserreaktoren wie die, die jetzt betroffen sind.

Jan-Christoph Kitzler: Aber trotzdem wird man ja den Verdacht nicht los, das alles hängt auch mit dem sogenannten Superwahljahr zusammen. Allein im März stehen ja noch drei Landtagswahlen an. Können Sie diesen Verdacht entkräften?

Loske: Also das Land Bremen, für das ich politische Verantwortung trage, hat ja gemeinsam mit dem Land Brandenburg, mit Bremen, mit Nordrhein-Westfalen, mit Rheinland-Pfalz erst vor wenigen Wochen eine Klage beim Bundesverfassungsgericht angekündigt und eingereicht. Wir haben das präsentiert mit dem Argument, wir halten die Verlängerung von Atomkraftwerken für äußerst bedenklich aus Sicherheitsgründen, aber auch aus vielen anderen Gründen, weil wir technologiepolitisch in Deutschland einen anderen Pfad gehen sollen und wollen. Und deshalb darf man sich natürlich auch nicht darüber wundern, dass diese Debatte jetzt kommt, das ist doch vollkommen klar. Aber ich wiederhole noch mal: Vorherrschen tun die Gefühle Fassungslosigkeit und Anteilnahme und vor allem gute Wünsche, aber auf der anderen Seite wird diese Diskussion kommen. Ich glaube, das, was wir jetzt erleben in Japan, läutet das Ende der Atomkraft hoffentlich in der ganzen Welt ein.

Jan-Christoph Kitzler: Die Bundesregierung tut ja in dieser Situation zweierlei: Sie sagt einerseits, die deutschen Atomkraftwerke sind sicher, andererseits sagt sie, jetzt wollen wir noch mal die Sicherheitsstandards überprüfen, ob sie auch sicher genug sind sozusagen. Was halten Sie davon?

Loske: Ja die Bundesregierung hat jetzt natürlich ein gewaltiges Problem, das ist ja noch gar nicht lange her, dass hier so getan wurde, als sei in Deutschland alles bestens. Also gerade wenn ich mir anschaue, was Herr Mappus gesagt hat, was Herr Brüderle gesagt hat, denen konnte es ja gar nicht lange genug sein, was die Atomlaufzeitverlängerung betrifft. Röttgen war ja am Anfang, der Bundesumweltminister, eher so auf der Linie vier Jahre, acht Jahre, andere wollten überhaupt keine Laufzeitbegrenzung. Man hat sich dann auf diese im Durchschnitt zwölf Jahre geeinigt, was bedeuten würde, dass in Deutschland Atomkraftwerke – und davon wirklich auch sehr, sehr kritische Atomkraftwerke wie Neckarwestheim, Isar 1, Philippsburg, Brunsbüttel und andere mehr –, dass die sozusagen bis weit, weit in die Zukunft laufen würden. Und deshalb ist das, was die Bundesregierung jetzt macht, nicht glaubwürdig. Sie glaubt, sie könne mit allgemeinen Beschwichtigungsgesten das Thema herunterspielen, aber ich glaube, die Zeit, wo man mit solchen allgemeinen Versprechungen die Menschen überzeugen konnte, ist jetzt endgültig vorbei.

Jan-Christoph Kitzler: Sie sagen, es muss ein allgemeines Umdenken geben. Aber stimmt denn das Argument der Kanzlerin und auch einiger anderer Politiker der Union, die halt sagen, wir brauchen die Atomkraft als Brückentechnologie, die Frage ist jetzt nur, wie lange die Brücke sein muss?

Loske: Nein, das ist nicht richtig. Es gibt sehr, sehr viele Energieszenarien, die eindeutig zeigen, dass wir am Atomausstiegsgesetz festhalten können, so wie es bis vor Kurzem in Kraft war, von Rot-Grün eingeführt, und gleichzeitig parallel dazu auf diese sogenannten drei E's setzen, Energieeffizienz verbessern, Energieeinsparung konsequent vorantreiben und den Ausbau der erneuerbaren Energien, also Sonne, Wind, Wasser, Biomasse und Erdwärme konsequent voranbringen. Wenn wir diese Strategie verfolgen, ist das nicht nur sicherheitspolitisch besser, es erhöht auch unsere Energiesicherheit im Allgemeinen. Vor allen Dingen ist es ein zukunftsfähiger Pfad, der auch natürlich mit Kosten und so weiter verbunden ist, aber die Alternative dazu ist eben das, was wir im Moment erleben müssen in Japan. Insofern wird jetzt auch eine neue Diskussion darüber aufkommen, das halte ich für absolut ausgemacht, welcher Pfad ist der zukunftsfähige, welcher ist der richtige, und dann wird vor dem Hintergrund natürlich auch zu diskutieren sein, wie sind die Kosten der einzelnen Pfade und wie sind vor allen Dingen die Kosten des bloßen Weitermachens wie bisher.

Jan-Christoph Kitzler: Aber nicht wenige Menschen hätten eigentlich am liebsten, dass die Atomkraftwerke in Deutschland sofort abgeschaltet werden. Das können ja selbst die Grünen nicht durchsetzen, oder?

Loske: Also ich denke, man muss jetzt erstens mal sagen, das, was die Bundesregierung vorhat oder bereits getan hat, nämlich das Atomgesetz zu ändern, das muss zurückgenommen werden. Das ist der erste, ganz wichtige Punkt. Dann ist es der zweite Punkt, dass die besonders kritischen Reaktoren, diese Siedewasserreaktoren alten Typs, die also auch nicht die notwendigen Sicherheitssysteme haben, dass die sofort abgeschaltet werden, das ist der zweite ganz wichtige Punkt. Und der dritte Punkt ist, dass wir endlich ein Energiekonzept brauchen, was diesen Namen auch verdient, nicht das, was die Bundesregierung jetzt präsentiert hat. Das war ja vor allen Dingen ein Konzept zur Rechtfertigung des Länger-laufen-Lassens von Atomkraftwerken. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Die Randbedingungen müssen klar definiert werden, und dann kann man darüber nachdenken, bis wann denn die Atomkraftwerke überhaupt insgesamt abgeschaltet werden können.

Jan-Christoph Kitzler: So sieht es Reinhard Loske, Umweltsenator in Bremen und Energiepolitiker der Grünen. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch!

Loske: Gerne!


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