Chinas Rolle in der Welt

Lächelnder Hegemon?

Die Vertreter Chinas und Ägyptens stimmen im UNO-Sicherheitsrat für weitere Sanktionen gegen Nordkorea.
Die Vertreter Chinas und Ägyptens stimmen im UNO-Sicherheitsrat für weitere Sanktionen gegen Nordkorea. © imago / Xinhua
China-Experte Bernt Berger im Gespräch mit Patrick Garber · 07.10.2017
Was können die Chinesen in der Korea-Krise bewirken, und was wollen sie? Will China die USA als führende Macht in der Region verdrängen, wirtschaftlich, aber auch sicherheitspolitisch? Wir fragen den China-Experten Bernt Berger.
Deutschlandfunk Kultur: Erleben wir gerade die gefährlichste weltpolitische Lage seit der Kuba-Krise? Viele halten den aktuellen Konflikt um Nordkorea für genau das. Noch ist es ein Krieg der Worte. Doch wenn man sich die wichtigsten handelnden Personen anschaut, hier der um den Fortbestand seines Regimes kämpfende Diktator Nordkoreas, dort der – gelinde gesagt – impulsive US-Präsident, dann kann einem Angst und Bange werden.
Viele Hoffnungen richten sich daher auf China, den engsten Verbündeten Nordkoreas. Doch was kann Peking in diesem Konflikt ausrichten? Und was will es? Darüber und über die generelle außenpolitische Strategie Chinas spreche ich mit einem Kenner des Landes, mit Bernt Berger. Er leitet das Asienprogramm der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin. Hallo, Herr Berger.
Bernt Berger: Guten Tag.
Deutschlandfunk Kultur: Wie groß, Herr Berger, ist Pekings politischer Einfluss auf die Führung Nordkoreas denn tatsächlich?
Bernt Berger: Ich will mal sagen, dass in der Vergangenheit natürlich der Einfluss in Pjöngjang sehr groß war. Seit 2013 ist dieser Einfluss zunehmend geschwunden. Das hat damit zu tun, dass es im System in Pjöngjang einige Umwälzungen gab dadurch, dass Kim Jong Un seine Macht zementieren musste. In diesem Zuge wurde eben auch der Onkel von Kim Jong Un, Jang Song Thaek, zum Tode verurteilt. Jang Song Theak war eigentlich der Hauptzugang für China zu dem Land und er hat damals auch eine Politik betrieben, die das chinesische Modell auch in Nordkorea durchführen sollte. Das heißt, dass es eben eine wirtschaftliche Modernisierung geben sollte, die Nordkorea auch geöffnet hätte.
Jang Song Theak hat sich auch in anderen Botschaften damals sehen lassen. Und das ist ihm dann wohl zum Verhängnis geworden. Seitdem ist eben auch der Einfluss Chinas sehr gering geworden.
Deutschlandfunk Kultur: Aber China sitzt Nordkorea gegenüber an einem sehr langen Hebel, nämlich am ökonomischen Hebel. Achtzig Prozent des nordkoreanischen Außenhandels laufen über China. Spätestens wenn Peking die Öl- und Gaslieferungen nach Nordkorea stoppen würde, dann hätte Kim Jong Un ein echtes Problem. Warum spielt Peking diesen Trumpf nicht aus?
Bernt Berger: China hat eine sehr konsistente Politik gegenüber Nordkorea. Die hat zur einen Seite immer bedeutet, dass sie ein stabiles Nordkorea wollten, dass sie keine Destabilisierung der koreanischen Halbinsel wollten, was für sie natürlich auch direkte Sicherheitsprobleme mit sich bringen würde durch Flüchtlinge und andere Seiten, die damit dann in Verbindung stehen.
Letztendlich hat aber China über die Jahre einen Punkt geändert. Das ist, dass man gesehen hat, dass durch das Atomprogramm auch eine Instabilität entsteht - durch eben dieses Mächtegleichgewicht, das entsteht zwischen der USA und Pjöngjang und eben auch die Krisen, die dadurch entstehen. Dementsprechend hat Peking versucht dem entgegenzuwirken, a) indem man eben versucht hat zu vermitteln, dass man eine Plattform geschaffen hat für Verhandlungen, aber b) eben auch dass man in der UN versucht hat Sanktionen durchzuführen.
Die Sanktionen zielen in erster Linie auf die Nichtweiterverbreitung von Technologien und Waffen. Aber China hat das auch immer klar benannt, dass es eben keine wirtschaftlichen Sanktionen, keine unilateralen Wirtschaftssanktionen von seiner Seite geben soll, die die Bevölkerung betreffen und das Land destabilisieren.
Deutschlandfunk Kultur: Hängt das auch damit zusammen, dass es etwas schwierig wäre, das durchzusetzen, unilaterale Wirtschaftssanktionen? Denn schon heute – hört man – blüht im wirtschaftlich sowieso nicht besonders gesegneten Nordosten Chinas der Schmuggel mit Nordkorea.
Bernt Berger: Letztendlich ist es so, dass es tatsächlich unilaterale Sanktionen seitens der USA gibt, die von Seiten der USA durchgeführt werden, die aber auch andere Firmen aus anderen Ländern betreffen. Das heißt, Firmen, die weiterhin mit Nordkorea Handel betreiben, werden in den USA auf eine schwarze Liste gesetzt. Dementsprechend halten sich auch größere chinesische Firmen, die Zugang zu dem amerikanischen Markt haben wollen, an diese Sanktionen. Es gibt aber auch kleinere Firmen, die gerade im Nordosten von China davon nicht betroffen sind und die weiterhin natürlich Handel betreiben.
Was wir zuletzt gesehen haben, ist, dass auch der chinesische Finanzsektor sich zurückgezogen hat. Es gibt keine Finanztransaktionen mehr zwischen China und Nordkorea. Die sind zuletzt dann, wenn überhaupt, durch Russland gelaufen. Und es bewegt sich schon was in diese Richtung in China. Aber, wie gesagt, man will nicht den letzten Schritt gehen und irgendwelche Maßnahmen einleiten, die eben zum Nachteil für die Bevölkerung und zu humanitären Krisen führen könnten.

"Letztendlich hat China keine Liebesbeziehung mit Pjöngjang"

Deutschlandfunk Kultur: Das will man nicht. Man will also keinen Zusammenbruch des Regimes. Man will keine möglichen Flüchtlingsströme aus Nordkorea, die sich dann nach China bewegen könnten. Und man will wahrscheinlich auch keine Wiedervereinigung Koreas unter amerikanischer Schutzherrschaft, wenn das Regime in Pjöngjang zusammenbrechen würde. Das will man alles nicht. Was will China denn stattdessen– dass alles so bleibt, wie es ist?
Bernt Berger: Letztendlich hat China natürlich keine Liebesbeziehung mit dem Regime in Pjöngjang und hat natürlich auch in der Vergangenheit Überlegungen angestellt, wie man einen Wandel in Nordkorea durchführen könnte. Das wird natürlich in Peking so nicht laut besprochen. Da wird auch nicht laut gedacht, aber letztendlich hat China stets überlegt, welche Alternativen es zu der Kim-Familie geben würde. Und es gab dementsprechend natürlich auch Rückantworten aus Pjöngjang, dass sich China eben nicht einmischen sollte. Deshalb ist der Einfluss auch recht gering geworden. China hat wirklich keine Mittel, um einen Wandel im politischen System im Norden Koreas durchzuführen.
Letztendlich glaube ich nicht, dass China einer Änderung entgegenstehen wird, aber es steht definitiv einer kriegerischen Änderung oder Veränderung durch Krieg im Wege. Ich glaube, wenn es so weit kommen sollte, dass die USA Schritte unternimmt, um präventiv in Nordkorea einzuschreiten, wird auch China als Schutzmacht für Nordkorea einschreiten, um eben einen Krieg nicht zuzulassen.
Deutschlandfunk Kultur: Wie weit würde China dabei gehen?
Bernt Berger: Ich glaube, letztendlich geht es ja um das Abschreckungspotenzial. Es geht hier nicht um die Eskalation eines Krieges.
Deutschlandfunk Kultur: Aber China würde dann durchaus mit militärischem Eingreifen drohen?
Bernt Berger: Das ist durchaus denkbar, gar nicht aus geopolitischen Überlegungen heraus oder strategischen Überlegungen heraus, sondern einfach eben um die Stabilität in seiner Nachbarschaft zu gewährleisten. Letztendlich steht für China und eben die USA nicht nur Nordkorea auf dem Spiel, sondern die weitere regionale Dimension, wo China und die USA sich eben auch gegenüberstehen.
Deutschlandfunk Kultur: In der Region werden die Karten jetzt ja neu gemischt einfach dadurch, dass Nordkorea sich als Atommacht offensichtlich etabliert und auch gedenkt, da im Konzert der großen Atommächte mitzumischen. – China will da nur weiterhin zusehen und an die Vernunft aller Beteiligten appellieren wie bisher?
Bernt Berger: Ich denke, China sieht das Problem als das, was es tatsächlich ist. In der Vergangenheit hat China versucht zu vermitteln. Es hat die Plattform für die Sechs-Parteiengespräche bereitgestellt. Und China versucht auch mit anderen Akteuren zu reden, was man in diesem Fall machen könnte. China sieht das Problem nicht als sein eigenes. Es ist letztendlich ein Konflikt zwischen Nordkorea und den USA. Und als solchen möchte es diesen auch behandeln. Von daher denke ich, da ist eine sehr konsistente Politik seitens Chinas.
Die Frage ist eben, wie China in der Zukunft versuchen wird, diesen Konflikt zu lösen, oder helfen wird, diesen Konflikt zu lösen. Ich denke, da wird es auch nach Partnern suchen – insbesondere in Europa.
Deutschlandfunk Kultur: Nordkorea mit Atomwaffen, das zementiert vielleicht den Status quo auf der koreanischen Halbinsel, aber diese Waffen bedrohen ja die Umgebung, und zwar nicht nur Südkorea und Japan oder vielleicht sogar die USA, sondern potenziell auch China. – Wie ernst nimmt man in Peking denn Ihrer Einschätzung nach diese Gefahr, die aus einem atomar bewaffneten Nordkorea für das eigene Land erwachsen könnte?
Bernt Berger: Ich glaube, in Peking hat man sehr gut verstanden, dass es Nordkorea nicht darum geht, irgendjemanden zu bedrohen, sondern eben dass in Pjöngjang die Konsequenz gezogen wurde aus den Verfehlungen, die in der Vergangenheit stattgefunden haben, aus den Gesprächen, die zu nichts geführt haben. Letztendlich sind bei den Sechs-Parteiengesprächen keine Resultate entstanden, die für Nordkorea von Interesse sind. Das sind in erster Linie natürlich Sicherheitsgarantien von Seiten der USA.
Letztendlich geht es dem Regime in Pjöngjang um reine Abschreckung, um seine eigene Sicherheit zu gewährleisten und b) natürlich Abschreckung und ein sicherheitspolitisches Gewicht, das eben auch dazu führt, dass die USA Nordkorea auf Augenhöhe begegnet und eben verhandelt über die Themen, die auf dem Tisch sind. Dieses Bedürfnis wurde in der Vergangenheit eben nicht befriedigt. Ich glaube, da ist die chinesische Regierung recht pragmatisch und recht aufgeklärt, wo die Richtung hingeht. Man sieht also kein Bedrohungsszenario.
Deutschlandfunk Kultur: So oder so, andere sehen ein Bedrohungsszenario. Und die nukleare Bewaffnung Nordkoreas dürfte zu einem Wettrüsten in der Region führen, und zwar nicht nur in Südkorea, sondern erst recht in Japan. Die Regierung in Tokio will durch vorgezogene Neuwahlen eine Mehrheit bekommen für Änderungen der japanischen Verfassung, die ja bisher ziemlich eher pazifistisch angelegt ist, damit Japan stärker aufrüsten kann als bisher. Das ist ja wohl sicher nicht im Interesse Chinas.

Südkorea würde im Konfliktfall zur Verhandlungsmasse werden

Bernt Berger: Das ist in der Tat nicht im Interesse Chinas. Und dieser Trend zieht sich ja schon seit einiger Zeit hin. Japan hat in der Vergangenheit einige Gesetze gelockert, dass es a) möglich gemacht hat, Waffen zu verkaufen, b) aber auch sein eigenes Militär über die reine Verteidigungspolitik hinaus einzusetzen – eben in der Allianz mit den USA. Der Status quo auf der Ebene ist bereits geändert worden vor einigen Jahren. Selbst da hat China natürlich erste Maßnahmen getroffen, um dem entgegenzuwirken. Es hat natürlich seine militärische Präsenz gesteigert. Die Konflikte und die Dispute, die auf der Tagesordnung sind, sind auch nicht gelöst worden.
Das Problem in dieser Region ist natürlich, dass in dem Moment, wo alle Initiativen, die zu einer politischen Lösung führen könnten, durch Sicherheitskooperationen zwischen den Hauptakteuren, das ist die USA, Südkorea, Japan und China, dass diese Initiativen immer als erstes leiden und die Staaten eben nicht mehr dran teilnehmen. Das ist natürlich ein großes Problem.
Deutschlandfunk Kultur: Es wird ja schon von manchen geunkt, dass Japan über kurz oder lang eigene Atomwaffen entwickeln könnte, um sich vor der nuklearen Bedrohung aus Nordkorea zu schützen, was ja bisher eigentlich unvorstellbar war im Land von Nagasaki und Hiroshima. – Droht neben dem konventionellen jetzt auch ein atomares Wettrüsten in Ostasien?
Bernt Berger: Ich denke mal, die größte Sorge sollte man zumindest erstmal in Südkorea haben, weil jeglicher Konflikt, der stattfinden würde zwischen den USA und Nordkorea, natürlich Südkorea zur Verhandlungsmasse machen würde. Das heißt, selbst ein konventioneller Krieg würde natürlich große Kollateralschäden in Südkorea verursachen und letztendlich eine Katastrophe sein.
Japan ist sekundär zu betrachten und hat natürlich auch aus geschichtlichen Gründen Bedenken gegenüber Nordkorea. Die Staaten in Nordost-Asien haben ja aus geschichtlichen Gründen alle diplomatische Probleme seit Jahrzehnten.
Deutschlandfunk Kultur: Aus der Zeit, als Japan einen großen Teil der Region besetzt und beherrscht hat.
Bernt Berger: Genau, das rührt noch aus der Zeit und eben dem Umgang, wie Japan mit dieser Geschichte umgegangen ist oder wie in diesen Staaten, wie in Südkorea, Nordkorea und China wahrgenommen wird, wie Japan diese Geschichte behandelt hat.
Deutschlandfunk Kultur: Ziehen wir mal den Fokus etwas auf, Herr Berger, und schauen wir nicht nur auf Nordkorea, sondern auf ganz Ostasien. China, so hören wir immer wieder, strebe eine Hegemonialstellung in Ostasien an. – Oder hat es die schon?
Bernt Berger: Letztendlich muss man die Trends, die in Ostasien stattfinden, in geschichtlichem Kontext sehen. Es ist ja nicht alleine China, das dort agiert und aufrüstet, sondern es sind natürlich viele Spieler in diesem strategischen Szenario zugange, die interagieren. Und wir müssen eben sehen, dass China ja noch gar nicht vor allzu langer Zeit angefangen hat, sein Militär aufzurüsten, das Militär zu modernisieren.
Wenn man sich die geschichtlichen Trends anschaut zu dem Punkt, wo wir jetzt stehen, wo die Konflikte im Südchinesischen Meer über die verschiedenen Inseln, die dort aufgeschüttet werden, zustande gekommen sind, dann hat man natürlich eine Geschichte, die ein Wechselspiel ist von strategischen Aufrüstungen und Rhetorik.
Das fängt damit an, dass eben die USA in der Wahrnehmung in der Region sich zurückgezogen hatte dadurch, dass sie beschäftigt waren mit den Kriegen im Irak und in Afghanistan. Dieser Wahrnehmung wollte die Obama-Administration damals entgegenwirken. Hillary Clinton ist 2011 im Asian Regional Forum vor die Presse gegangen und hat das Kerninteresse der USA im Südchinesischen Meer benannt und hat eben diesen sogenannten Pivot to Asia angekündigt, also die Rückkehr der USA nach Asien.
Letztendlich ging es wohl den USA darum zu akzeptieren, dass China eine aufstrebende Macht ist, die mehr Einfluss haben wird unweigerlich, aber eben diesen Einfluss verantwortlich übernehmen soll. Das heißt eben, dass China eine Macht wird, die die kleineren Staaten der Region nicht unterdrückt, die kein Expansionsbestreben hat, sondern eben ihre Macht für eine neue Ordnung dort einsetzt.
Das ist in China ganz anders wahrgenommen worden. Und es ist wahrscheinlich letztendlich als allgemeiner Trend auch so eingetreten, dass eben China sich heutzutage ja in einer Containment-Strategie, also einer Einengungs-Strategie seitens der USA gegenüber sieht, dass seine eigenen Maßnahmen stets in der Interpretation eben als Bedrohung dargestellt werden, und China es auch nie geschafft hat, selber die Lufthoheit über das Narrativ zu erreichen. Da gibt es eben viele Themen, die vielleicht anders diskutiert werden sollten als sie im Moment diskutiert werden.

"In Peking war man zunächst genauso verwirrt wie überall sonst"

Deutschlandfunk Kultur: Das ist der sicherheitspolitische Aspekt. China baut seine Position natürlich auch ökonomisch aus. Das erleben wir hier in Europa, aber das erlebt man natürlich vor allem in Ostasien, wo China seine Macht als Handelspartner, auch als Kreditgeber, auch durch Baumaßnahmen ausweitet. – Wie läuft so was? Ich habe zum Beispiel gelesen: Ein armes Land wie Laos, das bekommt von den Chinesen eine schicke Eisenbahnlinie gebaut, die sich das Land nie hätte leisten können. Dadurch ist Laos dann allerdings bei China enorm verschuldet. – Schafft so was auch politisch Abhängigkeiten, gewollte politische Abhängigkeiten?
Bernt Berger: Das schafft tatsächlich politische Abhängigkeiten und die sind zum Teil auch gewollt. Wenn man sich das im Asean-Bereich anschaut, dann sind es gerade…
Deutschlandfunk Kultur: Asean, also das südostasiatische Wirtschaftsbündnis.
Bernt Berger: Genau. Wenn man sich dort anschaut, wie die kleineren Staaten aufgestellt werden, Sie haben gerade Laos benannt, aber das Gleiche gilt natürlich auch für Kambodscha, diese Staaten sind auf sich alleine gestellt. Sie sind wirtschaftlich die am wenigsten entwickelten Staaten. Und China kommt mit einem Angebot, das sie eigentlich nicht ablehnen können. Das führt natürlich letztendlich auch dazu, dass diese Staaten im Sinne Chinas agieren, wenn sie an den Verhandlungstisch bei Asean gehen.
Es gibt andere kleine Staaten. Die in Myanmar haben versucht, sich seit jeher dagegen zu wehren. Die versuchen eben, die Macht Chinas auszubalancieren. Das ist eben auch ein ganz spezieller Fall, wo man den direkten Einfluss Chinas im Land spürt, sei es eben durch Investitionen, aber auch Einfluss auf verschiedene bewaffnete Gruppen in dem Land. Und nun muss man ganz genau schauen, wie China eben seine Macht ausspielt – manchmal auch wirklich mit sehr subtilen Mitteln.
Andererseits muss natürlich auch gesehen werden, dass solche regionalen Organisationen wie Asean bisher es nicht geschafft haben, gemeinsam China gegenüberzutreten. Man hat in der Vergangenheit immer gesagt, dass diese Organisation dazu da ist, Großmächte wie China und USA zu balancieren und eben in der Region einzubinden. Aber die unterschiedlichen Interessen und die Uneinigkeit innerhalb der Organisation haben dazu geführt, dass das nicht passiert ist und dass, gerade wenn man sich die Konflikte im Südchinesischen Meer anschaut, große Uneinigkeit und unterschiedliche Interessen bestehen, wie man mit China umgeht.
Deutschlandfunk Kultur: Die Konflikte im Südchinesischen Meer haben Sie schon mehrfach angesprochen. Es geht also um diverse kleine Inselgruppen, teilweise sind es nur Riffe, die in umstrittenen Hoheitsgebieten liegen, die nicht besiedelt sind, die aber strategisch eine gewisse Bedeutung haben.
Warum geht China da so massiv vor, manchmal auch wirklich mit Flottendemonstrationen und dass Riffe aufgeschüttet werden, damit man dort Militärstützpunkte errichten kann? Ist das defensiv, um sich sozusagen einen maritimen Cordon sanitaire zu schaffen? Oder geht’s auch da drum, sich in Richtung Pazifik Vorposten zu schaffen?
Bernt Berger: Ich glaube, die Motivation, also, die territorialen Ansprüche, die dort verteidigt werden, die gibt es ja nicht seit gestern. Die sind bereits unter der nationalistischen Regierung Anfang des 20. Jahrhunderts definiert worden und sind seitdem eigentlich nicht aus den Geschichtsbüchern gestrichen worden. In Taiwan gibt es ähnliche Ansichten über die Territorialansprüche, nur dass man in Taiwan eben sagt, man möchte diese durch Diplomatie verhandeln, während in China inzwischen auch militärische Lösungen eingesetzt werden.
Letztendlich denke ist, das ist auch eine geschichtliche Entwicklung gewesen, dass China zunächst eben versucht hat, auf einer Verteidigungsebene diese Territorialansprüche durchzusetzen, dass man eben versucht hat, mit den Anliegerstaaten im Südchinesischen Meer einen Code of Conduct zu finden, in dem alle Anrainer eben eine Möglichkeit haben, ihre Interessen durchzusetzen, dass man unter Umständen versucht, gemeinsam Bodenschätze zu bergen, dass man die Fischereirechte aufteilt, wie das zum Teil ja auch mit Japan der Fall war.
Aber dadurch, dass eben dieser Pivot to Asia seitens der USA kam, ist das gesamte strategische Szenario komplett umgeschmissen worden. Und China hat sich letztendlich strategisch in die Ecke getrieben gesehen und hat versucht, offensiver seine Interessen durchzusetzen. Und das sehen wir heute, dass China eben weitaus offensiver dort agiert, dass es seine Interessen vehement durchsetzt, aber eben auch verschiedene Instrumente einsetzt. Das heißt, es versucht einerseits weiterhin Diplomatie zu benutzen im Umgang mit den einzelnen Staaten, teilweise seine Interessen mit Provokationen durchsetzt. Aber man muss immer dann eben sehen, dass China natürlich den internationalen Gesetzen nicht entgegensteht. Man wird auf den Schiffen der PLA-Navy natürlich immer Rechtsberater sehen, die genau wissen, was gerade passiert.
Letztendlich ist das eben ein Calculus, der besteht. Man möchte sein Interesse mit Nachdruck durchsetzen. Dazu gehören eben auch diese gezielten, kalkulierten Provokationen.
Deutschlandfunk Kultur: Der Pivot to Asia war eine Politik der Obama-Administration. Inzwischen haben wir einen anderen Präsidenten. Der sagt "America first". Und eine seiner ersten Amtshandlungen war, dass er aus dem Transpazifischen Freihandelsabkommen TPP ausgestiegen ist. Ziehen sich die USA aus chinesischer Sicht zurück aus dem pazifischen Raum, zumindest ökonomisch? Sieht man da in Peking neue Freiräume, die sich öffnen?
Bernt Berger: Ich denke, in Peking war man zunächst genauso verwirrt wie überall sonst, aber ist dann sehr schnell zur Tagesordnung übergegangen. Es gab ja verschiedene Initiativen, gar nicht von Seiten Pekings sondern eben auch von Seiten Australiens, um dieses Projekt dann eben unter Einbeziehung Pekings fortzuführen. Das ist im Moment wirklich für China ein Glücksfall, dass das so eingetreten ist. Aber ich glaube, im Verständnis für das Agieren der USA in der Region und der Ausstieg des Projektes ist für die meisten dort nicht erklärbar.

"Viele pragmatische Denker, die China als modernen Staat sehen"

Deutschlandfunk Kultur: Ein schon etwas älteres Projekt wollen wir jetzt noch ansprechen, Herr Berger: die Neue Seidenstraße. Eine Billion Dollar, das sind tausend Milliarden, so viel soll diese Neue Seidenstraße kosten. Das ist eine Initiative, die Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping vor einiger Zeit mit großem Tamtam vorgestellt hat. Es geht dabei um das größte Infrastrukturprogramm aller Zeiten, also ein Netz von Straßen, Eisenbahnlinien, Pipelines, Datenstrecken, Seeverbindungen, das Ostasien, den Vorderen Orient und Europa enger aneinander binden soll. – Was haben die Chinesen mit dieser Neuen Seidenstraße vor?
Bernt Berger: Ich bin der Ansicht, dass das genau das ist, was Sie eben benannt haben: China versucht, die eurasische Landmasse eben durch Infrastrukturprojekte – sei es durch Straßen, Verkehrsnetze – zu erschließen, und zwar nicht nur die, sondern eben auch die Seewege im Süden. Und es versucht diverse Querverbindungen zu erschließen, sei es durch Pakistan oder andere Wege.
Das Projekt, die südliche und die nördliche Seidenstraße sind nicht neu. Die sind bereits in chinesischen Veröffentlichungen in den 90ern erwähnt worden und kamen dann wieder zur Sprache unter der Hu Jintao-Regierung, die nach einer Lösung für die internationale Politik gesucht hat, wie man in eine Region vorstoßen kann, die eben nicht strategisch vorbelastet ist. Das heißt, die Konflikte im Südchinesischen Meer, in Nordostasien, die Rivalität mit den USA waren voraussehbar.
Und man hat gesehen, dass im Osten des Landes ein ganz anderes Spiel auf sie wartet, dass man dort eben auf wirtschaftlicher Ebene eher kooperieren könnte, auch mit den USA, und dort Möglichkeiten schaffen kann, die nicht nur China zugutekommen, sondern auch den Staaten in der Region.
China hat dieses Projekt sehr schnell auf die Beine gestellt mit sehr viel Mitteln. Man muss im Einzelnen dann eben auch schauen, wie diese dann durchgeführt werden, weil meistens sich das chinesische System, gerade bei Investitionen, selbst im Weg steht, weil eben verschiedene Spieler in dem System zuständig sind.
Ich würde gar nicht behaupten, dass China jetzt große geopolitische Designs für die Region hat. Es geht tatsächlich darum, die chinesische Wirtschaft selbst zu fördern durch diese Investitionen. Man wird eben auch versuchen, viele chinesische Arbeitskräfte und Unternehmen an der Seidenstraße unterzubringen, a) beim Bau der der Infrastruktur und b) natürlich bei der Erschließung der Wirtschaften. Und ich denke, das Projekt an sich birgt viele Chancen für Europa, für China und auch alle anderen Anrainerstaaten.
Es gibt natürlich Bedenken über die Risiken. Und die sind einerseits dem geschuldet, dass China natürlich an Grenzen stößt von ehemaligen Widersachern wie Indien, weil eben die Interessen von insbesondere Indien berührt werden durch die Erschließung von Korridoren in Pakistan und dergleichen. Andererseits werden Chancen geschaffen, die, wie ich denke, allen zugutekommen. Man muss im Einzelnen dann schauen, wie sich die Lage entlang der Routen entwickelt, das heißt, wie diese Investitionen eben auch Einfluss haben auf die Communities und die Länder und ob dort irgendwelche Sicherheitsrisiken entstehen durch die Veränderungen, die natürlich große soziale Einflüsse haben.
Deutschlandfunk Kultur: Wenn man das alles zusammennimmt: das Projekt Neue Seidenstraße, das, worüber wir vorher gesprochen haben - die sicherheitspolitische Lage in Ostasien, im pazifischen Raum - da sehen wir, dass China ziemlich große Anstrengungen unternimmt, um wirtschaftlich, politisch und auch militärisch seinen Einfluss in Asien, aber auch darüber hinaus zu stärken.
Will man da an Chinas alte Größe anknüpfen, als das Reich der Mitte sich als weltweit führende Zivilisation angesehen hat und auch weit entfernte Länder dem Kaiser von China Tribut zollen sollten? Also, ist das so eine Art Renaissance alter Großmacht in der chinesischen Wahrnehmung?
Bernt Berger: Ich glaube gar nicht, dass man da so viel hinein interpretieren sollte. Es gibt natürlich immer wieder Kommentatoren innerhalb Chinas, die diese Art von chinesischem Nationalismus propagieren, dass China eben zu alter Stärke zurückkehren soll. Es gibt diese realistische Bewegung, die bedeutet, dass China eben mit Nachdruck seine Interessen durchsetzen soll – mit welchen Mitteln auch immer. Aber ich denke, wenn wir letztendlich in die inneren Parteizirkel gehen und in die strategische Planung, sehen wir sehr viele pragmatische Denker, die eben letztendlich China als modernen Staat sehen, der natürlich wirtschaftliche Interessen hat, der seine Industrien und seine Wirtschaft vorantreiben muss, auch um die interne Stabilität, um das Wirtschaftswachstum aufrechtzuerhalten. Und ich denke, es geht gar nicht mal um so große geschichtliche Bewegungen und die Wiederaufnahme des alten Status von China, sondern es geht wirklich darum, einfache Interessendurchsetzung zu verfolgen und pragmatische Ziele zu verfolgen.
Wir sehen das ja, wenn wir internationale Gipfel anschauen, auf denen Präsident Xi Jinping präsent ist. Man widmet sich ja auch den globalen Themen inzwischen – wie der Klimapolitik oder den verschiedenen Finanzkrisen. Und man versucht, irgendwo da auch schon aus eigenem Interesse entgegenzuwirken und Krisen und zu bewältigen.
Deutschlandfunk Kultur: Kann es sein, dass China sich dabei übernimmt? Denn das Billionen-Projekt Neue Seidenstraße, dann haben wir kostspielige Firmenübernahmen durch chinesische Staatsfonds in aller Welt, wir haben den Umbau der eigenen chinesischen Binnenwirtschaft zur Industrie 4.0, der ja jetzt angegangen wird, außerdem noch ziemlich gewaltige Rüstungsanstrengungen, kann China sich so viele große Sprünge nach vorn auf einmal gleichzeitig überhaupt leisten?
Bernt Berger: Das ist eine gute Frage, die natürlich von dem heutigen Standpunkt sehr schwer beantwortet werden kann. China hat natürlich starke wirtschaftliche Probleme. Es hat eine hohe Arbeitslosigkeit. Die tatsächliche Verschuldung des Staates ist gar nicht wirklich klar, weil es eben in der Vergangenheit auch eine graue Verschuldung gab auf Provinzebene. Und man kann natürlich auch nicht verleugnen, dass der internationale Wanderzirkus weitergezogen ist und andere Länder inzwischen günstiger produzieren können als China. Das war eben neben dem Bausektor einer der großen Motoren für das chinesische Wirtschaftswachstum.
China muss seine Wirtschaft umbauen. Es muss eine innovativere Wirtschaft aufbauen. Und es geht ja auch mit großen Schritten Richtung Industrie 4.0. Das Problem ist gar nicht mal so sehr, ob man sich übernimmt im Sinne der Finanzen. Ich glaube, man übernimmt sich auch gesellschaftlich, weil mit diesem Wandel natürlich auch ein sozialer Wandel stattfindet, der fast gar nicht aufzufangen ist. China überaltert. China hat eine große Anzahl unqualifizierter Arbeitskräfte. Und gleichzeitig hat man eben eine große gesellschaftliche Schere, weil es in den Städten hoch qualifizierte Arbeitskräfte gibt, die mit großen Schritten auf diese Digitalisierung zumarschieren.
Gleichzeitig ist auch das Problem, dass neue Arbeitskräfte fehlen und dass es auch an Innovationen fehlt. Das heißt, China hat es nicht geschafft, seine Wirtschaft, seine Produktion schnell genug aufzuwerten in vielen Sektoren. Es ist eine große Herausforderung gerade für Xi Jinping in seiner zweiten Amtszeit, da Lösungen zu finden – soziale als auch Lösungen im Sinne des Know-hows, dass eben Innovationen tatsächlich nicht mehr importiert werden, sondern auch in China durchgeführt werden können.
Deutschlandfunk Kultur: Die innere Entwicklung Chinas ist sicherlich ein Thema, über das man in einem anderen Gespräch noch ausführlich reden müsste. – Vielen Dank für dieses Gespräch zur chinesischen Außenpolitik.
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