Chef der Agentur für Sprunginnovationen

"Eine gute Erfindung steigert das Gemeinwohl"

29:30 Minuten
Darstellung eines Tunnels in Bewegungsunschärfe
Die Bundes-Agentur für Förderung von Sprunginnovationen setzt auf eine dynamische Emtwicklung. © eyeem / Omar Jabri
Rafael Laguna de la Vera im Gespräch mit Annette Riedel · 29.02.2020
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Es sind überwiegend US-Firmen und zunehmend chinesische, die mit radikalen Neuerungen die globalen Märkte erobern. Rafael Laguna de la Vera, Gründungsdirektor einer neuen Bundes-Innovationsagentur, soll Ideen "Made in Germany" zum Durchbruch verhelfen.
Nie wurde in Deutschland mehr in Forschung und Entwicklung investiert als in den vergangenen Jahren. Staat und Wirtschaft geben dafür zusammen mittlerweile jährlich rund drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Bis 2025 sollen es 3,5 Prozent werden.
Im europäischen Maßstab steht die Bundesrepublik gut da. Sechs der zehn innovativsten Firmen in der EU sind nach Angaben der Bundesregierung deutsche. Aber die Stärke deutscher Unternehmen liegt gegenwärtig eher auf Weiterentwicklungen als auf bahnbrechenden Erfindungen, die ganze Geschäftsmodelle oder Märkte umkrempeln – wie der Online-Handel oder das Smart-Phone. Hier dominieren die Amerikaner. Teilweise fehlt es in Deutschland nicht unbedingt an revolutionären technischen Ideen. Das mittlerweile bekannteste Audiodateiformat, mp3, wurde hierzulande erfunden. Aber vermarktet wurde es in den USA.

Das Unplanbare planen

Dass deutschen Unternehmen Potentiale besser erkennen und mit der im internationalen Wettbewerb notwendigen Dynamik ausschöpfen können, darum soll sich die neue Bundes-Agentur zur Förderung von Sprunginnovationen kümmern. Sie hat im Januar 2020 ihre Arbeit aufgenommen.
Gründungsdirektor ist der IT-Unternehmer Rafael Laguna de la Vera. Er und sein Team von Innovationsmanagern sollen, ausgestattet mit gut einer Milliarde Euro bis 2029, wegweisende Ideen aufspüren und zur Marktreife verhelfen. Die Agentur soll zentrale Anlaufstelle, Katalysator und Förderer von Innovationen sein, die das Zeug haben, systemverändernd zu sein.
Wo sind die Schwachstellen im deutschen Innovationssystem, die es zu beheben gilt? Was kann eine staatliche Behörde, was milliardenschwere Konzerne nicht können? Und lässt sich das Unplanbare – alles verändernde Entdeckungen – planen?
Wir reden Tacheles mit Rafael Laguna de la Vera.

Rafael Laguna de la Vera ist Gründungsdirektor von "SprinD", der Agentur für Sprunginnovationen der Bundesrepublik Deutschland. Er ist Unternehmer und Investor im Bereich Software. Laguna leitet die von ihm 2005 mitbegründete Open-Xchange AG, ein mittelständisches Unternehmen für sogenannte Open Source-Software, also Software, deren Quelltext öffentlich und von Dritten eingesehen, geändert und (meistens kostenlos) genutzt werden kann.

Das Interview im Wortlaut:
Deutschlandfunk Kultur: Bevor wir, Herr Laguna, ausführlich über Sinn und Unsinn der neuen Agentur miteinander diskutieren - das schöne Wörtchen Sprunginnovation hat es noch nicht in den Duden geschafft. Welchen Eintrag würden Sie denn vorschlagen?
Rafael Laguna de la Vera: Eine Sprunginnovation ist eine, die die Welt so verändert, dass sie danach nicht mehr so ist wie vorher. Das müssen Sie auf Fotos erkennen, in Wirtschaftskreisläufen erkennen, in unserem täglichen Verhalten. Ein Auto ist so etwas, das Internet, das Smartphone oder I-Phone. Ich glaube, das sind solche Veränderungen, die jeder sofort so erkennen würde.
Deutschlandfunk Kultur: Diese Beispiele, die Sie genannt haben, sind auch in gewisser Weise disruptiv. Da steht im Duden: Das ist "ein Gleichgewicht, ein System zerstörend" - also zerstörend und nicht weiterentwickelnd. Da wird schon etwas kaputtgemacht, im Zweifel ein ganzes Geschäftsmodell, damit sich etwas vollkommen Neues draufsetzen kann.
Laguna: Fragen Sie mal die Pferde zu den Autos oder Nokia zum I-Phone. Das ist schon so. Üblicherweise ersetzen disruptive Innovationen oder Sprunginnovationen anderes. Es muss nicht immer so sein. Man kann auch ein komplett neues Feld belegen, aber irgendwo gibt’s immer - ich nenne es mal, "Kollateralschäden" - Veränderungen in den Märkten. Trotzdem zeichnet sich gute Sprunginnovation dadurch aus, dass das Gemeinwohl steigt.
Das heißt, dass es der breiten Masse der Bevölkerung anschließend besser geht, als es ihr vorher ging. Trotzdem gibt es betroffene Gruppen, die das vielleicht anders sehen.

Antworten auf Fragen, die es vorher gar nicht gab

Deutschlandfunk Kultur: So heißt es ja auch aus Sicht der Bundesregierung zu der neuen Agentur – ich zitiere mal, was sie tun soll: "konkrete, aus Sicht der Gesellschaft bzw. der potenziellen Anwender oder Nutzer relevante Probleme lösen". Problemlösung ist ja eigentlich nicht unbedingt das klassische Merkmal von erfolgreichen Sprunginnovationen. Also, die sind ja in der Regel nicht unbedingt gezielt auf die Lösung einer bestimmten Frage gerichtet.
Laguna: Häufig gab es die Frage vorher gar nicht. Das ist schon so. Nach dem I-Phone haben wir nicht gefragt. Nach dem Internet haben wir nicht gefragt. Und ich glaube, wir haben nach schnelleren Pferden und gepolsterten Kutschen gefragt, aber nicht nach Autos. Aber sie lösen dann doch am Ende ein Problem, nur auf eine sehr originelle Art und Weise.
Es ist für die Agentur natürlich eher eine volkswirtschaftliche Aufgabe im Blickfeld. Das heißt, wir versuchen, da wir Steuergelder ausgeben und investieren, etwas dafür zu tun, dass es der größtmöglichen Anzahl von Leuten in dem Land anschließend besser geht. Das ist vielleicht etwas anders fokussiert als häufig Investitionen zum Beispiel aus dem Wirtschaftsraum gemacht werden. Deswegen können wir auch investieren in soziale Innovationen, gesellschaftliche Innovationen oder in Sprunginnovationen, die vielleicht gar keinen wirtschaftlichen Erfolg direkt haben, sondern eben vor allen Dingen im Volkswirtschaftlichen.
Deutschlandfunk Kultur: Im besten Falle kommt etwas Neues zu etwas Bestehendem hinzu. Aber manchmal ist es eben auch "stattdessen". Genauso geht es auch mit den Arbeitsplätzen. Das müssen Sie natürlich zumindest im Hinterkopf haben.
Laguna: Absolut. Nun ist es so, dass es vielleicht besser ist, dass wir bestehende Arbeitsplätze durch neue Arbeitsplätze im eigenen Land ersetzen. Deswegen ist meine Aufgabe ja auch, mit der Agentur vor allem dafür zu sorgen, dass wir nicht nur Sprunginnovationen machen, sondern den wirtschaftlichen Nutzen auch hier im Land und in Europa halten, so dass eben Arbeitsplätze, die vielleicht durch eine Sprunginnovation ersetzt werden, durch neue, die entstehen - die hoffentlich in der Summe mehr sein werden - ersetzt werden.
Das sehen Sie eigentlich immer im Innovationszyklus. Seit den Webern wird ja über Innovation geklagt oder ist das im gesellschaftlichen Brennpunkt. Aber wenn Sie sich das mal über die letzten 250 Jahre anschauen, hat es immer zu mehr Wohlstand, mit natürlich Unterbrechungen in der Mitte und schrecklichen Ereignissen unterwegs - aber letztlich zu mehr Wohlstand für alle und zu mehr Arbeitsplätzen geführt.

Scheitern muss erlaubt sein

Deutschlandfunk Kultur: Nun zeichnet sich Innovation nicht unbedingt dadurch aus, dass man sie bestellen kann.
Laguna: Man muss sich natürlich dem Risiko stellen. Es muss mir erlaubt sein, auch zu scheitern. Niemand will scheitern, aber wir müssen scheitern können. Man kann sie nicht bestellen. Ich kann Ihnen auch nicht vorhersagen, wo genau die stattfinden. Ich kann nur sagen: Es gibt eine Reihe von Ideen, die an mich herangetragen werden und Menschen, auf die ich da sehr stark setze, die Innovatorinnen und Innovatoren, die diese Ideen haben, von denen ich glaube, dass sie die auch umsetzen und auf die Straße bringen können.
Man muss jetzt eben viele, viele Versuche starten, wovon viele, viele scheitern werden und dann werden hoffentlich einige funktionieren. Daran wird sich die Agentur am Ende auch messen lassen müssen.
Deutschlandfunk Kultur: Die staatliche Förderung von Sprunginnovation war Teil des Koalitionsvertrags 2017. Jetzt ist sie angelaufen, bis 2022 erstmal mit 151 Millionen, läuft alles gut, dann bis 2029 mit einer Milliarde, die dazu kommt. Dürfen Sie tatsächlich auch als Agentur scheitern?
Laguna: Das Risiko ist da. Wenn keines der Projekte richtig funktioniert oder nur so mittelmäßig, dann werden wir in der Tat auch als Agentur gescheitert sein. Nicht umsonst ist sie ja erstmal für drei Jahre angelegt worden, um zu schauen, ob wir gute Ergebnisse haben. Da muss noch keine Mega-Sprunginnovation wirklich zu Felde geführt sein, aber: die Knospen müssen sichtbar sein bis dahin.
Ich würde es, ehrlich gesagt, ganz genauso machen, wie es die Regierung hier beschlossen hat. Lass es uns versuchen. Man hat durchaus ein Risiko, wenn man sich selbst exponiert, auch mal zu scheitern. Man hat jemanden geholt -mich dann letztlich - der nicht aus dem klassischen System kommt, aus dem solche Posten normalerweise bestückt werden. Hier versucht man doch einiges anders zu machen, um der Sache eine Chance zu geben.
Deutschlandfunk Kultur: Wie muss man sich die Arbeit der Agentur vorstellen? Gehen Sie auf die Suche nach den genialen Tüftlern der Nation, also so Typ Daniel Düsentrieb, Disneys Erfinderfigur? Oder kommt man mit Ideen zu Ihnen? Wie funktioniert das?
Laguna: Beides. Es sind letztlich ja immer Menschen. Ich suche halt – ich nehme mal etwas modernere Beispiele – die deutschen Elon Musks oder Steve Jobs. Wir haben die ja übrigens.

"Die deutschen Elons Musks" nach Silicon Valley exportiert

Deutschlandfunk Kultur: Wir sehen Sie nur nicht?
Laguna: Wir haben sie leider exportiert. Die sitzen im Silicon Valley und haben dort ein besseres Umfeld gefunden, um ihre Disruptionen umzusetzen. Also, viele der Technologien und viele selbst der Firmen, die wir kennen als Haus-Namen von großen erfolgreichen disruptiven Unternehmen, haben sehr, sehr viel deutsche Beiträge gehabt. Nur sie finden halt nicht in Deutschland statt.
Diesen Leuten möchte ich zurufen: Bleibt hier! Macht’s hier! Ich helfe euch, das umzusetzen. Und ich helfe euch, auch das großartige Netzwerk, die großartige Forschung und Wissenschaft, die wir haben, die großartige Wirtschaft, die wir haben, sozusagen mit an den Start zu bringen und diese Erfindung umzusetzen. Am Ende geht’s um Menschen.
Deutschlandfunk Kultur: Haben Sie so eine Art Glaskugel oder wie funktioniert diese Entscheidung, zu sagen: "In dieser Idee steckt mehr als ein bisschen was Besseres, ein bisschen was Netteres von Gehabtem drin, das hat wirklich das Potenzial zu etwas völlig Neuem"?
Laguna: Wie gesagt, ich setze sehr stark auf Leute, auf Innovatorinnen, Innovatoren. Ich setze auf etwas seniore Innovatorinnen und Innovatoren, die schon ihr halbes oder ihr Dreiviertel-Leben mit bestimmten Dingen zugebracht haben. Ich nenne die Innovationsmanager, die für Themen brennen. Und wenn man das dann lang genug macht, dann hat man einen Vorteil gegenüber dem Rest, weil man sich einfach in dem Thema wahnsinnig gut auskennt, weil man morgens aufwacht, als erstes dran denkt, und wenn man einschläft als letztes und noch wahrscheinlich davon träumt.
Von der Sorte Mensch gibt’s eine ganze Menge. Diese Menschen versuche ich auf uns aufmerksam zu machen, zu sagen: "Hallo, hier sind wir. Wir verstehen euch." Diese Menschen sind manchmal ein wenig schwierig. Ich komme selber aus der Computersoftware-Branche. Das heißt, mit solchen Menschen - und, ehrlich gesagt, ich bin selber auch so einer -, hatte ich immer viel zu tun. Und das aufmerksam Machen, das Sagen, "hier sind wir", das machen wir durch unsere Präsenz, durch sowas, was wir hier mit dem Interview tun. Das machen wir durch Wettbewerbe, die wir ausschreiben. Das machen wir durch Multiplikation über diese Innovationsmanager, die üblicherweise ganze Netzwerke von Menschen kennen. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass verdammt gute Projektvorschläge und Ideen reinkommen, interessante Menschen mit am Start sind.

Es fehlt oft Zeit und Ruhe, riskante Projekte anzugehen

Deutschlandfunk Kultur: Nun ist es ja nicht so, dass deutsche Unternehmen nicht tatsächlich auch innovativ sind, aber es scheint so, dass sie eher Entwicklungen, also evolutionäre Innovationen, hervorbringen. Wie erklären Sie sich das, dass das, was zum Sprung ansetzt, tatsächlich momentan nicht unbedingt in Deutschland geschieht?
Laguna: Das klassische Wirtschaftssystem incentiviert nicht, solche hohen Risiken einzugehen. Sie haben bestenfalls einen Investitionshorizont - das heißt, wann das Geld wieder drin sein muss - von drei bis fünf Jahren. Hervorragende Unternehmen, die sehr viel investieren, und derer haben wir, Gott sei Dank, auch viele, Familienunternehmer, aber auch Großkonzerne, die schauen vielleicht schon mal auf einen Fünfjahreszeitraum, die meisten auf drei oder zwei eigentlich. Wenn sie börsennotiert sind und quartalsweise berichten müssen, dann setzen sie auf einen Return on Investment innerhalb von zwei Jahren.
Das führt dazu, dass man nicht besonders hohe Risiken eingeht. Das ist übrigens in der Wissenschaft auch nicht so anders. Wir haben hervorragende Wissenschaft, hervorragende Wissenschaftsförderung, hervorragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Aber auch da entstehen ja keine Sprunginnovationen. Das liegt ebenso daran, dass die Projektförderungen drei bis fünf Jahre sind. Und während der Projektabarbeitung sozusagen muss man sich ja auch schon um die neuen Projekte wieder bewerben. Da ist einfach keine Zeit und keine Ruhe dafür da, solche hoch riskanten Projekte überhaupt erst anzugehen.
Deutschlandfunk Kultur: Werden Sie denn mit der Agentur nur die Daniel Düsentriebs oder Elon Musks dieser Welt fördern oder tatsächlich auch in innovative Projekte und Entwicklungen finanzkräftiger Unternehmen investieren? Das ist ja eigentlich schon die Aufgabe der Wirtschaft, diese Zeit zwischen Idee und Marktreife und dann auch Vertrieb, Vermarktung zu überbrücken. Denn sie kassieren nachher ja auch den Gewinn.
Laguna: Ja. Wenn ich ein Projekt machen soll, dann muss es auch zu mir kommen. Das kann gerne aus der Wirtschaft kommen, aber das muss an mich als Agentur übergeben werden. Wenn das dann erfolgreich ist, dann müssen wir uns ja für jedes Projekt überlegen, wie denn die Zeit nach der Agentur aussieht.
Wie gesagt: Das Ziel muss sein, dass die Wirtschaftsleistung dieser Sprunginnovation in Deutschland und Europa verbleibt. Dafür brauche ich dann natürlich wieder die Industrie. Aber dann greifen wieder ganz normale wirtschaftliche Mechanismen. Schenken tun wir der Industrie auch nichts, aber wir helfen ihr Dinge aufzunehmen, weiter zu entwickeln und dann, wenn es wirklich funktioniert, sozusagen zu Markte zu stellen, so dass jeder dann eine Chance hat, da mit dran teilzunehmen.
Deutschlandfunk Kultur: Und wie stellen Sie zu Markte? Also, was tut die Agentur? Sie scouten Ideen; also Sie sind auf der Suche nach guten Ideen. Und dann gibt die Agentur guten Rat oder auch klassische Fördermittel oder schreibt Wettbewerbe aus oder ist die zentrale Anlaufstelle?
Laguna: All das.

"Wir sind Inkubator für gute Ideen"

Deutschlandfunk Kultur: Und noch mehr.
Laguna: Und noch mehr, genau. Wir sind so eine Art Inkubator für solche Projektideen. Wir sind auch ein Kombinator, weil es häufig nicht eine Innovation ist, die eine Sprunginnovation ausmacht, sondern mehrere, die man kombiniert. Die bringen wir zusammen. Aufgrund der hohen Übersicht, die wir über das Innovationsfeld haben, können wir dann Innovatorin A mit Innovator B und Thema C zusammenbringen und Firma D und Wissenschaftler E.
Die betten wir dann ein in eine richtige Firma, die Geld bekommt, die Dienste bekommt, damit sie sich nicht um Verwaltung und solchen Kram kümmern muss, die Zugang zu den politischen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen Netzwerken bekommt. Das ist ja das Schöne daran, wenn man eine Bundesagentur ist, dass man ein echt tolles Netzwerk hat. – Und dann lassen wir die machen, beobachten das, begleiten das.
Und wenn wir merken, das läuft nicht, dann ziehen wir auch relativ schnell den Stecker. Scheitern ist immer das, was eigentlich schnell passiert. Also, man merkt, dass man mit der Idee vielleicht falsch lag. Aber wenn wir auf dem richtigen Trip sind, dann haben wir auch den Atem, das durchzuhalten.
Deutschlandfunk Kultur: Dass Sie den Bund hinter sich haben, ist das der vielleicht entscheidendste Unterschied zu bestehenden Institutionen? Ich denke zum Beispiel an die Business Angels, die ja letztendlich – zumindest in der einen oder anderen Art und Weise – Ähnliches tun wie diese Agentur für Sprunginnovation von Ihnen?
Laguna: Wir sind keineswegs Konkurrenz zu Bestehendem - zu weder Business Angel noch zu Venture-Capital-Gebern noch zu Private-Equity-Gebern. Ich glaube, wir sind eher so was wie eine Vorstufe. Wir nehmen die Projekte, die zu groß und zu riskant sind, wo ein normaler Finanzinvestor vielleicht nicht gut beraten ist, zu investieren. Wir entwickeln die zu einem Grad, wo dann Business Angel, Finanzinvestoren auch einsteigen können und auch sollen.

Unsere erste Sprunginnovation werden wir selbst sein

Deutschlandfunk Kultur: Wir haben schon gesagt, der Bund ist Alleingesellschafter der Agentur. Es gibt zwei Träger dieser Agentur. Das sind das Finanzministerium und das Wirtschaftsministerium. Nun sind staatliche Behörden nicht unbedingt dafür bekannt, dass sie besonders flexibel sein dürfen, dass sie besonders schnell sein dürfen, dass sie besonders große Entscheidungsspielräume haben. Haben Sie mehr Freiheiten als andere?
Laguna: Ja, erstens, weil ich keine Behörde bin. Ich bin auch keine Unterbehörde irgendeines dieser Ministerien, sondern ich bin eine Agentur. Technisch ist das eine richtige GmbH und Gesellschafter dieser GmbH ist der Bund. Es gibt einen Aufsichtsrat, wo die Politik in der Minderheit ist - immerhin. Das heißt, Vertreter aus Wissenschaft und Wirtschaft und Gesellschaft sind dort in der Überzahl, aber es sitzt natürlich auch die Politik mit drin. Also sind wir, ich sage mal so, eine Stufe entkoppelt.
Nun bin ich mit der Agentur dabei, etwas ganz Neues zu bauen. Das ist ja der Auftrag. Deswegen kann man jetzt nicht sagen: "das ist alles ganz einfach und dann sind wir ganz agil und politikfern" - so lautet der Auftrag ja auch -, sondern das muss jetzt aufgebaut werden, mit dem Agenturteam, welches ich leite. Da müssen wir viel Neuland betreten. Ich denke, die erste Sprunginnovation, die wir haben, sind wir wahrscheinlich dann selber. Aber das fühlt sich soweit ganz gut an.
Deutschlandfunk Kultur: Dann wären Sie auch ein Beispiel dafür, dass eben so was länger dauert. Denn, wie gesagt, 2017 war das erste Mal etwas Vergleichbares wie die Agentur im Gespräch. – Sie sind keine Behörde, aber Sie sind in gewisser Weise im Dienste zweier Behörden und damit auch im Dienste zweier Herren, also Finanzministerium und Wirtschaftsministerium. – Führt das nicht zu irgendwelchen Reibungsverlusten?
Laguna: Die Arbeitsteilung ist da sehr, sehr genau. Also, da spüre ich keine Reibungsverluste. Wir sind auch nicht wirklich langsam. Sie dürfen nicht vergessen, dass die Gründungskommission ja erst im Juli fertig getagt hatte und geschrieben hat, wie es denn zu sein hat, und mich als potenziell zu Berufenden benannt hat…
Deutschlandfunk Kultur: Aber der Weg da hin war schon etwas länger.
Laguna: Ja, das ist so in der Politik, glaube ich. Erstmal muss es ja in den Koalitionsvertrag rein verhandelt werden. Dann muss das, was im Koalitionsvertrag steht, umgesetzt werden. Also, ich glaube, dass da ein Zyklus von 2017 bis heute eher immer noch auf der schnellen Seite ist. Da bin ich selber erstaunt. In der Wirtschaft muss so was natürlich viel schneller gehen. Reibungsverluste zwischen den Ministerien gibt es aber nicht.
Deutschlandfunk Kultur: Und die reden auch nicht rein? Wenn Sie etwas mit Ihrem Team von Innovationsmanagern und -managerinnen entscheiden, dann halten sich diese beiden Ministerien gepflegt raus?
Laguna: Das tun die im Prinzip, ja.

Enorme politische Unterstützung von oben

Deutschlandfunk Kultur: Was heißt "im Prinzip"?
Laguna: Weil, praktisch sind es ja am Ende Menschen, die arbeiten. Dann gibt’s schon mal den einen oder anderen vielleicht, der das etwas anders sieht. Aber die Unterstützung von oben ist enorm. Das geht nicht nur bis hoch zu der Ministerin und dem Minister, sondern bis zur Kanzlerin. Die wollen, dass das klappt und dass das nach diesen Prinzipien gemacht wird.
Deswegen, auch wenn da mal unterwegs ein bisschen was holprig wird, kann man sich der Unterstützung dort immer sicher sein. Das hat auch bisher immer gut funktioniert.
Deutschlandfunk Kultur: Und was ist mit den Entscheidungsspielräumen? Sind Sie wirklich sozusagen – jetzt hätte ich beinahe gesagt – "allmächtig". Das ist vielleicht ein bisschen übertrieben. Aber Sie müssen sich von der Politik für das, was Sie als förderungswürdig auswählen, nicht reinreden lassen?
Laguna: Nein. Für die Projekte und Projektthemen muss ich mir nicht reinreden lassen. Ich bin trotzdem nicht völlig politikfern. Das fing schon mit der Auswahl des Standorts an. Da gibt es natürlich immer auch eine politische Mission, wenn so eine neue Agentur gegründet wird. So steht zum Beispiel im Koalitionsvertrag drin, dass neue Agenturen, wenn möglich, in den neuen Bundesländern gegründet werden sollen. – Da kann man ja nicht sagen, da spielt die Politik keine Rolle, aber in solchen Themen finde ich es dann auch persönlich sinnvoll, dem zu folgen und das zu tun. Deshalb ist ja letztlich als Standort Leipzig rausgekommen.
Deutschlandfunk Kultur: Leipzig ist also der Standort der Agentur geworden. Gab es aus Ihrer Sicht, außer dem, was Sie schon als "sanfte Einflussnahme" beschrieben haben, gute Gründe dafür? Dass es weit weg von Berlin ist - ist das ein Vorteil eher oder ein Nachteil?
Laguna: Die Agentur soll auffallen. Die Agentur soll herausragen und sichtbar sein. Das ist in Berlin deutlich schwieriger als in Leipzig. In Berlin ist so viel los. Da aufzufallen, da muss man schon Elon Musk heißen und auf dem roten Teppich verkünden, dass man eine neue Fabrik baut. Deswegen war, glaube ich, unter anderem das auch ein Grund dafür, dass wir diese Signalwirkung und die Sichtbarkeit in Leipzig einfach besser erzeugen können.
Aber es gibt auch drei andere Gründe. Es war einfach der beste Mix aus – "noch" muss man ja fast sagen – geringen Lebenshaltungskosten, guter Verkehrsanbindung, guter Wissenschaftsumgebung, guter wirtschaftlicher Umgebung, guter politischer Unterstützung auch im Land. Pragmatische Herangehensweise ist den Sachsen so zu eigen. Letztlich hat Leipzig einfach gewonnen.

"Leipzig entwickelt sich einfach atemberaubend"

Deutschlandfunk Kultur: Es gilt ja als eine der dynamischsten aller 401 Regionen in Deutschland. Spüren Sie was davon?
Laguna: Absolut. Die Stimmung ist Aufbruchstimmung. Ich selber bin ja dort geboren, aber mit zehn Jahren in den Westen gekommen. Das ist alles schon sehr lange her. Ich bin vor 45 Jahren in den Westen gekommen, dann aber immer wieder nach Leipzig, auch nach dem Mauerfall immer wieder hin. Ich muss sagen: Wie die Stadt sich entwickelt hat in den letzten sechs, sieben, acht Jahren einfach atemberaubend. Ich sehe sehr, sehr viele junge Leute da hingehen. In meiner Firma haben wir plötzlich ein Büro in Leipzig. Das ist von ganz allein entstanden, weil wir plötzlich ganz viele Leute hatten, die nach Leipzig gegangen sind oder Leipziger, die sich bei uns beworben haben. – Zack hat man genügend kritische Masse. Das ist lange nicht mehr passiert.
Deutschlandfunk Kultur: Wolfgang Reitzle, Ex-BMW-Chef und jetzt Aufsichtsratschef des Industriemultis LINDE wird folgendermaßen zitiert: "Im Ausland wird Made in Germany zunehmend entzaubert. Zu vieles läuft verkehrt bei uns oder zu langsam. Wir verlieren in wichtigen Zukunftsfeldern den Anschluss."
Auf der anderen Seite sind sechs von zehn der innovativsten Firmen in der EU deutsche Firmen. Also, was soll eigentlich der ganze Alarm? Wird der Standort Deutschland da schlechter geredet als er ist?
Laguna: Ja, auf jeden Fall.
Deutschlandfunk Kultur: Aber warum?
Laguna: Vielleicht ist es auch unsere Neigung zur Selbstzerfleischung. Das können wir, glaube ich, besser als uns selber loben. Aber natürlich haben wir uns auch nicht mir Ruhm bekleckert. Unsere Vorzeigeindustrie, die Automobilindustrie, hat sicherlich ein paar selbstgemachte Probleme und hat dort, wo große Innovationen waren, zwar gute Chancen gehabt und auch Versuche unternommen, aber letztlich ins Rampenlicht ist dann unser schon vielfach zitierter Elon Musk mit seiner Firma Tesla getreten.
Also, irgendwie sind wir bei Selbstvermarktung schlecht. Auch "Made in Germany" war ja noch nicht mal eine Erfindung von uns, sondern das war eine Erfindung der Engländer nach nach dem Ersten Weltkrieg, um quasi zu zeigen: "Achtung, das sind schlechte Produkte aus Deutschland." – Und wir haben es ja geschafft, das genaue Gegenteil daraus zu machen.

Made in Germany 2.0 hinbekommen

Ich bin da sehr optimistisch, dass wir so eine Art Made in Germany 2.0 produzieren können. Denn wir haben ein Wertesystem in Deutschland und in Europa, was international hoch angesehen ist. Wenn wir sehen, dass viele, insbesondere digitale disruptive Innovationen ja sehr große intrinsische Probleme haben, die unsere gesellschaftlichen Grundfeste erschüttern, wird es höchste Zeit, dass wir so eine Art humanistische, europäische, selbstbestimmende souveränitätsfördernde Art der der Digitalisierung erfinden und in unsere Produkte bauen.
Deutschlandfunk Kultur: Das klingt verdammt schön, aber damit kriegt man noch keine wegweisenden Patente. Wir sind als Deutsche bei der Anmeldung von Patenten tatsächlich ein Stück zurückgefallen.
Laguna: Patente sind im Digitalen häufig nicht hilfreich, sondern werden eher als Defensivinstrument eingesetzt. Software-Patente zum Beispiel werden ja sehr stark in den USA verwendet. Hier sind die gar nicht so leicht zu kriegen – aus gutem Grunde. Die USA verwenden das im Grunde genommen als Wirtschaftspolitik. Denn wenn Sie als Ausländer reinkommen mit irgendeinem Stück Software oder einem Dienst, der auf Software beruht, dann haben Sie relativ schnell eine von diesen idiotischen Patentklagen am Hals. Und das hält eben die ausländische Konkurrenz fern. So kann man das machen, aber ich glaube nicht, dass das besonders innovationsfördernd ist, so etwas zu tun.
Nein, ich glaube nicht, dass die Anzahl der Patente so entscheidend ist – und wir sind eigentlich sehr gut in der Anmeldung der Patente, auch wenn es jetzt etwas weniger werden soll…
Deutschlandfunk Kultur: China hat mehr.
Laguna: China hat mehr. Aber wissen Sie was? Ich glaube, dass wir es erstens können inhaltlich und technisch. Daran wird es nicht scheitern. Jetzt könnten wir vielleicht mehr Patente anmelden, aber das verdient das Geld nicht. Wir müssen Produkte bauen, die im Wettbewerb stehen zu anderen Produkten und die die Leute kaufen – wie gesagt, aufgeladen mit dem Wertesystem aus Europa, insbesondere im digitalen Umfeld.
Sie sehen ja diese Misstrauenskrisen gegenüber chinesischen Firmen wie Huawei, wo von Amerika sehr viel Druck gemacht wird, diese Produkte nicht mehr einzusetzen. Das ist eine Vertrauenskrise ins Digitale. Und wenn wir einen Weg finden, bei dem man dieses Vertrauen gar nicht mehr braucht, sondern eine hohe Sicherheit hat, untermauert von dem Ruf, den wir immer noch in der Welt haben als Deutsche, ich glaube, dann haben wir hervorragende Chancen.

Problem Flaschenhals zwischen Idee und Vermarktung

Deutschlandfunk Kultur: Wir haben schon ein paar Momente benannt, warum das Innovationssystem in Deutschland nicht so ganz rund läuft. Wir haben darüber geredet, dass Geschwindigkeit ein Problem ist. Wir haben darüber geredet, dass unter Umständen Kapital, dass Bürokratie ein Problem ist. Sie hatten schon gesagt, dass es in Deutschland so was wie eine Misserfolgsintoleranz gibt sozusagen. – Ist das damit vollständig oder wo hakt es, wenn Sackgassen sind zwischen Idee, Marktreife und Verwertung?
Laguna: Der ganze Finanzierungskreislauf ist ein Riesenproblem. Ich habe ja schon darüber gesprochen, dass wir als Agentur ein Vorphaseninstrument sind für hochriskante, aber dafür eben sprunginnovative Geschichten. Jetzt kommen die nächsten Phasen. Es kommt eine sogenannte Frühphasenfinanzierung, eine Mitte- und eine Spätphasenfinanzierung und üblicherweise dann ein Börsengang am Ende.
In der Frühphase sind wir noch ganz gut. Da hat der Bund auch schon früh reagiert mit dem Hightech-Gründerfond, der sehr erfolgreich agiert und immer größer gemacht wird. Ich würde sagen, Frühphasenfinanzierung kann man einigermaßen bekommen. Aber schon eine Ausgründung aus den Instituten und den Universitäten ist immer noch sehr schwierig und mit sehr viel Ballast versehen, so dass durch diese Ausgründung es manchmal schon per se sehr schwierig ist, überhaupt noch eine Finanzierung, auch eine Frühphasenfinanzierung zu bekommen, weil die Ausgründung schon mit Lizenzbedingungen versehen war, die diese Ausgründung schwer belasten.
Wenn sie es dann trotzdem schaffen größer zu werden und sie werden ein mittelgroßes Unternehmen mit ein paar hundert Mitarbeitern, dann setzen plötzlich die Finanzierungsinstrumente aus Deutschland und Europa aus. Da gibt’s dann plötzlich keine mehr. Deswegen werden sie dann häufig von US-amerikanischen oder chinesischen Firmen aufgekauft. Das heißt, die, die es geschafft haben, die quasi die kritische Masse erreicht haben und jetzt eigentlich drauf und dran sind, zu einem Weltmarktführer zu werden ihrem Bereich, werden weggekauft, weil es keine Anschlussfinanzierung und auch keinen Börsengang in der nötigen Größe für die Unternehmen in Deutschland gibt.
Deutschlandfunk Kultur: Also das berühmte Beispiel, was in diesem Zusammenhang genannt wird, ist ja die MP3-Technik, also der Standard zur Tonübertragung – erfunden in Deutschland, in den USA vermarktet. Jetzt dürfen Sie mal ganz vermessen sein, ich halte natürlich dagegen: Mit der Agentur für Sprunginnovation wäre das nicht passiert?
Laguna: Zumindest hätten wir ein Instrument und hätte das Fraunhofer Institut und die Professoren aus Erlangen, die es erfunden haben, sagen können: "Pass mal auf, wir geben uns jetzt nicht damit zufrieden, hier nur Musikkompression entwickelt zu haben, sondern wir wollen auch mal überlegen, wie wir das denn vermarkten können." Oder vielleicht wären Dritte von außen gekommen, hätten gesagt, "Mensch, toll, mit der Technologie und den Speichermedien, die wir jetzt haben, könnten wir ein kleines portables Gerät bauen, was ganz viel Musik speichert." – Das Ding hieß dann iPod und ist von Apple entwickelt worden.
Oder man kann sagen: "Wir brauchen vielleicht gar nicht mehr so ein Ding, weil, das Internet wird immer schneller. Also kann man die Musik zentral in der Cloud, wie es heute heißt, speichern und man streamt die nur noch." Das ist dann Spotify oder Apple-Music oder wie die alle heißen. Das bedingt immer, dass es Innovatorinnen und Innovatoren gibt, die diese Ideen haben.

Mit Gesetzänderungen das Innovationsumfeld verbessern

Wie gesagt, wir haben die. Wenn wir denen jetzt sagen: "passt auf, ihr braucht gar nicht in die USA ziehen, um eure Idee umzusetzen; ihr könnt auch hier bleiben, wir machen es" und machen vielleicht ein paar Dinge im Umfeld, um das leichter möglich zu machen - das können ja durchaus auch mal Gesetzesänderungen sein oder ganz andere Themen, die man eben als Bund veranstalten kann, um dieser Idee einen guten Start zu geben und eine hohe Umsetzungswahrscheinlichkeit zu geben. Ich glaube schon, dass die Wahrscheinlichkeit, dass das anders gelaufen wäre, da ist.
Deutschlandfunk Kultur: Im Jahre 2021 soll es einen europäischen Innovationsrat geben. Da sollen dann die ganzen Instrumente auf europäischer Ebene in dem Bereich unter einem Dach zusammengeführt werden, also: innovative Technologieforschung, marktnahe Projektförderung, Risikofinanzierung.
Ich hoffe und unterstelle, dass es dann eine gute Verzahnung mit Ihrer Agentur geben wird. Oder sind Sie so eine Art deutscher Ableger der Europäischen? Oder existiert das auf Rufweite bestenfalls nebeneinander her?
Laguna: Nein, wir sind jetzt einfach mal losgelaufen. Wir sind natürlich in Kommunikation mit all den europäischen Kollegen, die Ähnliches im Sinn haben, und auch mit der EU und dem EIC, also dem European Innovation Council. Einer unserer Mitglieder aus der Gründungskommission ist auch in der Gründungskommission des EIC. Die bauen jetzt gerade quasi etwas auf europäischer Ebene. Das dauert immer ein bisschen länger, bis das dann auch steht.
Deswegen finde ich gut, dass die Bundesregierung hier vorgeprescht ist. Aber natürlich wird das ganze Thema am Ende ein europäisches nicht nur sein müssen, sondern hoffentlich auch sein. Denn damit haben wir auch die Stärke der 500 Millionen, nicht nur die Stärke der 80 Millionen, die wir sind. Also, das ist sicherlich so angelegt. Wie sich das entwickelt, wie schnell die sind, wie die einzelnen Länder vorpreschen, wie wir da zusammenarbeiten - das schauen wir uns bilateral an und bauen daraus das Beste.
Deutschlandfunk Kultur: Ist das vielleicht Wichtigste, was auf europäischer Ebene geleistet werden müsste, tätig unterstützt von Ihnen, dass es eine europäische Cloud gibt, um sich da ein Stück unabhängiger zu machen?
Laguna: Ja. Also: Jein. Wir brauchen jetzt nicht hinterherrennen und genau dasselbe bauen, was die Amazons und Microsofts dieser Welt jetzt gemacht haben.

Entwicklungen "verpennt"

Deutschlandfunk Kultur: Das wäre ja auch keine Sprunginnovation.
Laguna: Nein, genau. Denn wir müssen da drüber springen, über das, was die gerade machen. Deswegen heißt es ja auch so. Das Thema haben wir mal schön – entschuldigen Sie – "verpennt". Jetzt sind die weit vorne. Was machen wir denn da? Also muss man etwas grundlegend anders machen.
Ich hatte das eben mal angetönt, als ich gesagt habe, "wir müssen einen europäisch-humanistischen Weg in die Digitalisierung finden, der unsere gesellschaftlichen Grundpfeiler schützt und stärkt". Es gibt Methoden, um vertrauenswürdige Cloud-Systeme zu machen.
Deutschlandfunk Kultur: Zum Beispiel?
Laguna: Das Stichwort ist Open Source, also Offenlegung der Implementierung in Form von menschenlesbarem Code.
Deutschlandfunk Kultur: Und dann lässt sich trotzdem damit Geld verdienen?
Laguna: Natürlich. Dafür gibt’s jede Menge Beispiele. Meine Firma, die ich gegründet haben "Open Xchange" ist so eine. Die ernährt immerhin 300 Leute jetzt. Aber auch eine Firma wie die SUSE Linux in Nürnberg oder die Red Hat, die mit vielen Milliarden bewertet sind, zeigen, dass das geht. Denn das Geld wird damit verdient, dass man sicherstellt, dass diese Cloud-Systeme, die man dann baut, auch gut und immer zur Verfügung stehen.
Man muss sich die Software gar nicht bezahlen lassen. Aber wenn man die Software nach draußen stellt, schafft man Innovation, ähnlich wie in der Wissenschaft. Im Grunde genommen ist das ja nur die Weiterentwicklung des wissenschaftlichen Systems, wo ja die Thesen, die Materialien und der eigentliche Prozess offengelegt werden, um schließlich von dem Wettbewerb quasi bestätigt oder widerlegt zu werden.
In Open-Source-Software macht man es so ähnlich. Man schreibt etwas an Software. Das interessiert ein paar Leute. Die geben ein Feedback, erweitern das. Und das machen sie jetzt einfach zehn Jahre am Stück. Daraus entsteht dann die beste, robusteste und auch transparenteste Software, die man sich vorstellen kann. Und die nutzt man dann, um solche Cloud-Dienste daraus zu bauen.

Unsere Werte ins Technische transportieren

Dann kann man sagen: "Das zertifizieren wir jetzt." Da machen wir jetzt dieses EU-Label drauf und sagen: "Dem kann man vertrauen, weil, es beruht End to End auf Open-Source-Software. Das ist so was, womit wir unsere Werte konkret ins Technische transportieren.
Deutschlandfunk Kultur: Aber wenn sich das tatsächlich jeder denn sozusagen umsonst runterladen kann, lässt sich dann trotzdem damit Geld verdienen?
Laguna: Das Produzieren dieser Services kostet viel Geld. Sie müssen Rechenzentren haben und betreiben. Sie brauchen hochqualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich damit auskennen. Und Sie müssen noch ein bisschen so ihre magischen Zutaten da rein machen. Das nennt man freie Marktwirtschaft. Die existiert im Digitalen oft nicht, weil wir im Augenblick ein paar Monopole haben, die sich das alles einsacken.
Was man mit Open Source tut und mit dieser Methode tut, ist: Man öffnet diesen Markt und erlaubt es jedem, dran teilzunehmen, ohne dass der eine der Torwächter ist, der sagt, wer da rein und raus darf. Und das wird für die Innovation gut sein und das ist für die Wirtschaft gut.
Deutschlandfunk Kultur: Zum Schluss, Herr Laguna, Sie bleiben Chef Ihrer IT-Firma, mit - Sie haben es eben schon gerade gesagt - immerhin 300 Mitarbeiter. Ist das denn jeweils ein Teilzeitjob - also, Chef der Firma und Chef der Agentur für Sprunginnovation?
Laguna: Bis 1. Januar habe ich den Chef der Agentur Pro Bono gemacht. Seit 1. Januar bin ich offiziell zu fünfzig Prozent dort beschäftigt und zu fünfzig Prozent als CEO in meiner Firma. Das ist so der aktuelle Stand der Dinge.
Deutschlandfunk Kultur: Und dann leben Sie also nur noch, um zu arbeiten?
Laguna: Nein. Ich bin total interessengesteuert. Mir macht das Spaß. Meine Firma ist erwachsen. Meine Kinder sind erwachsen und mein Umfeld hält das aus. Und es ist so wahnsinnig spannend. Das fühlt sich überhaupt nicht wie Arbeit an.