Charts

Die Top Five der Arthouse-Filme

Tom McCarthy und Josh Singer halten während der Preisverleihung am 28.02.2016 im Dolby-Theater/Hollywood in Los Angeles/USA den "Oskar" hoch, den sie für die beste Regie erhalten haben.
Tom McCarthy und Josh Singer mit ihrem Oscar im Dolby-Theater in Hollywood bei der Preisverleihung für das beste Originaldrehbuch des Films "Spotlight". © picture alliance / dpa / EPA / Paul Buck
Von Hartwig Tegeler |
Mit "Spotlight" bieten die Top Five der Arthouse-Charts der Woche einen Oscar-Gewinner auf, außerdem einige alte Bekannte wie Doris Dörrie oder die Coen-Brüder. Spitzenreiter ist Eric Besnards sinnlicher Provence-Film "Birnenkuchen mit Lavendel".
"If you are looking for what is in reality more real than reality itself, look into cinematic fiction …"
Wenn du wissen willst, was in der Realität realer als Realität selbst ist, dann beschäftige dich mit filmischer Fiktion, sagt Slavoj Zizek, Psychoanalytiker und besessener Film-Liebhaber. Das als Leitlinie mitnehmen ins Kino, okay, nicht streng psychoanalytisch, aber immer im Versuch, uns zu begegnen in unseren dunklen und hellen Seiten. Auch Abgründen.

Berührend: "Grüße aus Fukushima"

Wenn die Realität hinter der Realität, die nichtalltägliche, wie nicht nur die Psychoanalytiker, sondern ihre Altvorderen, die Schamanen, schon vor tausenden von Jahren sagten, wenn die nichtalltägliche Realität auftaucht…
Sprecher: Platz 5 - "Grüße aus Fukushima" von Doris Dörrie
… als Geister, die nachts ums Haus streichen. Sie sind das nicht Erlöste dieser jungen Deutschen, die bei Doris Dörrie in Japan Sinn sucht und die alte Geisha findet, die auch ihre Geister mit sich trägt. Die finden ganz Gestalt in dieser Geschichte über das Abschiednehmen. Letzteres keine leichte Übung. Berührend, tief berührend der Kampf dieser beiden Frauen.
Wenn der emotionale Raum, den die Geschichten auf der Leinwand eröffnen, Menschen-affin ist, braucht es keine Effekte oder computergeschaffenen Zerstörungsorgien, sondern nur gute Erzählung und gutes Schau-Spiel, um tief etwas zu berühren.

Große Geschichten: "Spotlight" und "Raum"

Sprecher: Platz 3 - "Spotlight" von Tom McCarthy …
… und …
Sprecher: Platz 2 - "Raum" von Lenny Abramhamson …
… eröffnen den Raum zur Realität von Gewalt. Bei "Spotlight" der Missbrauch, den katholische Priester über Jahre an Kindern begangen haben, bei "Raum" die Gewalt des Einsperrens einer jungen Frau und ihres in diesem Verlies geborenen Sohns. Der Raum bei Lenny Abrahamson ist Bild für den Abgrund, der sich hinter oder unter unserer Realität auftut. Konkreter Raum und Metapher von großer Intensität.
Aber beide Filme sind keine über die Hoffnungslosigkeit, sondern erzählen auf grandiose Weise darüber, wie Menschen - die Journalisten in "Sportlight", die Mutter und ihr Sohn in "Raum" - die Augen aufreißen vor den Abgründen und in der journalistischen Recherche oder dem Erkenntnisweg hin zu den Traumata sich zu Selbstbestimmung zurückkämpfen. Große Geschichten!

Coenhaft kühl: "Hail, Caesar!"

Ich gestehe, wenn jetzt hier erst …
Sprecher: ...Platz 4 …
… kommt, die Charts-Chronologie also etwas schief hängt …
Sprecher: "Hail, Caesar!" von Joel und Ethan Coen
… liegt das allein daran, dass das witzige, aber auch - Coen-like eben - kühle Werk, das sich vor dem Hollywood der 1950er Jahre verbeugt, dem Gedanken vorher nicht recht passte. Nu aber!
"Halt die Klappe. Du gehst jetzt da raus, und du beendest 'Hail, Caesar'."
Also Eddie in "Hail, Caesar", der Fixer des Studios - englisch "to fix" für reparieren -, einer, der natürlich immer gebraucht wird, weil das mäandernde chaotische Begehren der Stars in die Ordnung des Systems zurückgetrieben werden muss wie eine ausgebrochene Schafherde. Was natürlich ein wenig absurd ist in einer Traum-Fabrik, weil das Zusammengehen von Traum und Fabrik ja schon im Begriff absurd ist, weil … na ja, eben das Träumen im Kino, das Begehren wohl erzeugt, aber gelenkt werden kann. Wie die Geldströme in der Fabrik gelenkt werden? Ordnung und Traum? Geht nicht zusammen! Ist die hoffnungsvolle Antwort auf die Frage. Das Schöne ist ja, dass alle Buchhalter des Filmgeschäfts weder den Erfolg noch die Magie der Sinnlichkeit des Schauens planen können. Was ich sagen will?

Explodierende Sinnlichkeit: "Birnenkuchen mit Lavendel"

Nur …
Sprecher: Platz 1 - "Birnenkuchen mit Lavendel" von Eric Besnard
… nur dass Virginie Efira, auf den Stufen des alten Haus sitzend, im Kleid, hochgesteckte Haare, ihrer Tochter die Hand haltend, die Sonne der Provence fast noch spürbar, Sommer, Obstbäume, Bienenstöcke … es ist eine Sinnlichkeit, die hier auf der Leinwand explodiert, ohne spektakulär inszeniert zu sein.
Im Kino begegnen wir, sagt der Kino-Maniac Slavoj Zizek in seinem "pervert´s guide to cinema" - auf DVD erschienen -, unseren Ängsten und Sehnsüchten da, vor uns, auf der Leinwand. Und zwar, das ist der Clou, in sicherer Distanz zu uns. - Wissen wir! Maestro! Wissen wir! Macht´s aber nicht weniger aufregend.
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