Chancen und Grenzen der Stammzellforschung

27.09.2008
Im Alter baut unser Gehirn nur noch ab? Stimmt nicht, sagt der Neurobiologe Prof. Dr. Gerd Kempermann. "Auch das erwachsene und alternde Gehirn kann neue Nervenzellen bilden", erklärt der Professor am Zentrum für Regenerative Therapien Dresden (CRTD).
Man müsse es nur - im wahrsten Sinne - dazu bewegen. "Es ist bekannt, dass Aktivität - körperliche und geistige - einen direkten Einfluss auf Stammzellen im Gehirn hat und sie veranlasst, neue Nervenzellen zu bilden."

Der Wissenschaftler gilt als einer der herausragenden Stammzell- und Hirnforscher im Land. Gemeinsam mit seinem Team am CRTD, das 2006 gegründet wurde, will er herausfinden, welche Rolle die Stammzellen im Gehirn spielen.

"Lange hat man gar nicht gewusst, dass diese Stammzellen überhaupt da sind, dementsprechend konnte man ihnen auch keine Rolle zuschreiben. Die Nervenzellen sind die Hauptträger der Hirnfunktion, und wir forschen konkret an der Frage, wie die Stammzellen des Gehirns zu seiner Funktion beitragen. Es kommt ja ganz langsam, dass man sich damit beschäftigt, was macht der Körper, wenn er altert? Bisher haben wir uns dabei zu sehr auf die Verluste konzentriert. Wir kümmern uns um die Frage, inwiefern ein Training dazu beitragen kann, diese Verluste zu kompensieren."

Am Ende könnten dann neue Strategien gegen das fortschreitende Schwinden der Nervenzellen stehen.

Doch bis dahin ist noch ein weiter Weg, denn noch experimentieren Kempermann und sein Team an Mäusen. "Das Ganze ist auch so komplex, dass wir schon das eine oder andere Forscherleben darauf verwenden können."

Wichtig ist für ihn der Perspektivwechsel, den die Stammzellforschung mit sich bringt: "Wir gucken weniger auf die Verluste, die Krankheiten mit sich bringen, sondern wir fragen: Was macht der Körper? Was passiert, wenn ich die Selbstheilungskräfte stärke?"

Wie weit sind wir überhaupt in der Stammzellforschung? Welche realistischen Chancen bietet sie, welche Grenzen sind ihr gesetzt?

Diese und weitere Fragen beantwortet Gerd Kempermann in seinem Buch "Neue Zellen braucht der Mensch", das Anfang Oktober im Piper-Verlag erscheint.

Sein Ansatz: Information statt Emotion.
"Die ethische Auseinandersetzung muss sein. Es gibt auch eine sehr gute ethische Diskussion in Deutschland, aber es gibt eben keine ausreichende wissenschaftspolitische: Wo wollen wir hin? Wo setzen wir Schwerpunkte? Wollen wir das Wissen um diese Dinge denjenigen überlassen, wo der Missbrauch schon programmiert ist? Man will doch gar nicht wissen, was die in Asien alles machen. Und das erfordert von der Gesellschaft die schwierige Abwägung, wie weit will sie mitgehen? Aber das ist schwer, weil zu viel in einen Topf geworfen wird bei der ethischen Debatte."

Sensationsheischende Schlagzeilen à la "Alleskönner und Wunderheiler" würden falsche Hoffnungen wecken - auf Kosten vieler Patienten, die sich vergeblich schnelle Erfolge erhoffen. Der Stammzellforscher plädiert für einen realistischen Blick, Grundlagenforschung brauche vor allem eines: Zeit.

"Bei Parkinson ist die Therapiemöglichkeit bewiesen, allerdings mit fetalen Zellen, die von Abtreibungen gewonnen wurden - und das ist das Heikle dabei. Bei Alzheimer liegt es anders, da sind viele Zellen betroffen, das Krankheitsbild ist sehr komplex, da ergibt sich noch kein kohärentes Bild. Noch viel schwieriger sieht es bei Schizophrenie oder bei Depressionen aus, weil man noch nicht weiß, wie man sie einordnen soll. Bei der Hämatologie, also bei Bluterkrankungen, ist sie quasi schon Routine: Bei Knochenmarkserkrankungen oder Leukämie ist die Transplantation von Stammzellen etabliert - das zeigt, dass es geht."

"Chancen und Grenzen der Stammzellforschung"
Darüber diskutiert Dieter Kassel heute von 9 Uhr 05 bis 11 Uhr gemeinsam mit dem Stammzellforscher Gerd Kempermann. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der kostenlosen Telefonnummer 00800/22542254 und per E-Mail unter gespraech@dradio.de.

Literaturhinweis:
Gerd Kempermann, "Neue Zellen braucht der Mensch: Die Stammzellforschung und die Revolution in der Medizin"
Piper-Verlag, Oktober 2008

Informationen über das CRTD
www.crt-dresden.de

Die vollständige Sendung können Sie mindestens bis zum 27. März 2009 in unserem Audio-On-Demand-Player hören.
( MP3-Audio: Teil 1 ), ( MP3-Audio: Teil 2 )