Buchkritik: "Menschenskind" - Die Dagmar-Manzel-Autobiografie

La Manzel erzählt von sich und der Bühne

Die Schauspielerin Dagmar Manzel
Die Schauspielerin Dagmar Manzel © dpa / Jens Kalaene/dpa
Von Barbara Behrendt · 29.04.2017
Knapp 40 Jahre steht Dagmar Manzel auf der Bühne und vor der Kamera – ausreichend Stoff für eine Autobiographie. Doch allzu tief lässt sie die Leser in ihrer kleinen Lebensbilanz "Menschenskind" nicht in sich hineinschauen.
Die Absicht des Verlags ist eindeutig. In großen Lettern verkündet der Umschlag: "Wer La Manzel noch nicht zu Füßen liegt, wird es spätestens nach diesem Buch tun." Verstanden: Hier soll der großen Schauspiel-Diva nichts als gehuldigt werden.
Das unterstreicht auch die Dramaturgie des 250-seitigen Interviewbuchs: Kurze Statements unterbrechen den Gesprächsfluss, es sind Verbeugungen von Kollegen wie Christian Schwochow, Sylvester Groth und Gudrun Ritter – aber auch Reminiszenzen von Manzels Mutter und den beiden Kindern, allesamt eindrückliche Liebeserklärungen.

Nachdenkliche Töne? - Eher Fehlanzeige!

Nachdenkliche, kritische Töne sollte man also eher nicht erwarten von diesen Gesprächen mit einer ja wirklich großen Schauspielerin, die sowohl zu DDR-Zeiten als auch nach der Wende am Theater brillierte, die den Sprung ins Fernsehen und ins Kino ebenso erfolgreich gemeistert hat wie einen erstaunlich fulminanten Wechsel ins Musiktheater.
Der Filmkritiker Knut Elstermann ist Dagmar Manzels Gesprächspartner – auch er ist in der DDR aufgewachsen. Er hat Manzels Stationen verfolgt und kennt sie seit langem. Er ist kein unkritischer Stichwortgeber, sondern ein warmherziges, kluges Gegenüber, das sich so weit in Manzels Seelentiefen vorwagt, wie die Schauspielerin es eben zulässt.
Privates, das macht sie deutlich, wird sie hier genau so wenig preisgeben wie in der Tagespresse. "Das geht niemanden etwas an", sagt sie. Ihre Skepsis der medialen Öffentlichkeit gegenüber ist groß. Warum sie sich überhaupt auf das Gespräch eingelassen habe, fragt Elstermann. Manzel antwortet, es sei womöglich eine Erleichterung, Dinge auf Papier zu bringen, die man schon oft habe sagen wollen. Und sie ergänzt: "Dann ist das erledigt."

Plaudern über die Kindheit in Friedrichshagen

Ein Arbeitsbuch ist es also geworden, ein Werkstattbericht, keine Lebensbeichte. Das Sprechen über die eigene Person fällt ihr nicht leicht. Immer wieder fragt sie: "Rede ich nicht zu viel?" "Soll ich das jetzt wirklich erzählen?" Gerade diese kleinen Unsicherheiten sind es, die mehr über Dagmar Manzel aussagen als manche hübsche Anekdote. Erstaunlich aber ist, was sie dann doch so alles verrät. Sie plaudert von ihrer Kindheit in Friedrichshagen, von der eher zufälligen Berufswahl und ihrem Blitz-Erfolg am Deutschen Theater in Berlin 1984.
Sekretärin wurde sie nur deshalb nicht, weil sie damals vom Schreibtisch direkt auf den Friedhof blickte. Heimlich meldete sie sich zur Schauspielprüfung an – die Studenten sollen gebrüllt haben vor Lachen, als sie die Luise aus "Kabale und Liebe" unfreiwillig komisch berlinerte. Sie wurde trotzdem genommen – und schon nach anderthalb Jahren direkt ans Dresdner Schauspielhaus abgeworben.
Große Theaternamen sind es, die sie protegiert haben: Horst Schönemann, Thomas Langhoff, Wolfgang Engel, Barrie Kosky. Sie alle liebten und lieben Manzels Humor, ihre frappante Verwandlungskunst von der Komödiantin zur Schmerzensfrau, ihre Gefühlsenergie, aber auch ihre Bodenständigkeit. Die Beurteilungen durch ihr nahestehende Menschen beweisen sowohl Zärtlichkeit wie Respekt. Ihr Ensemble-Kollege Ulrich Matthes hält sie für "verletzbarer, als sie zu sein scheint". Barrie Kosky, der sie für die Komische Oper entdeckt hat, nennt sie eine Naturgewalt, einen wirbelnden Derwisch, eine fantastische Rampensau und eine Anti-Diva. Die eigene Mutter bescheinigt ihr Perfektionismus, Harmoniesucht und Großzügigkeit. Und ihre Tochter Klara erzählt die rührend komische Geschichte, wie die Mutter eine wichtige Vertragsunterzeichnung mit Thomas Langhoff absagte, weil zuhause das Meerschweinchen im Sterben lag.

Eine Naturgewalt mit Bodenständigkeit

So entsteht das Bild einer Frau, die auf der einen Seite das Leben neugierig auskundschaftet und auch mal aufbrausen kann. Andererseits lernt man einen leicht verwundbaren, hoch empathischen aber auch eher konfliktscheuen Menschen kennen, der zum Überleben einen großen Schutzwall um sich benötigt. Man bekommt – immerhin! – eine leise Ahnung von ihren Verwundungen, wenn sie den frühen Unfalltod ihres Vaters streift oder ihre Krebserkrankung vor acht Jahren.
Auch wenn Knut Elstermann immer mal wieder den Versuch unternimmt, solche Leiderfahrungen zu erkunden, arbeitet sich das Buch doch hauptsächlich an Manzels beruflichen Erfolgen ab. Da müssen natürlich auch viele Kollegen gelobt werden – auf Dauer ermüdet das. Ebenso wie Manzels Beteuerungen, welch großes Glück sie im Leben erfahren habe. Ihre Kindheit in der DDR? Traumhaft. Mit kleinem Baby abends Theater spielen? Alles kein Problem. "Jeder Tag", sagt sie, "ist ein Geschenk." Vor allem über die Zeit vor der Wende hätte man gern mehr erfahren. Dass der Drehbuchautor Wolfram Witt sie damals bespitzelte – längst vergeben und vergessen. Ohnehin will Manzel ihre Mitmenschen nicht kritisieren. "Jeder soll es so machen, wie er es sieht", ist ein Satz, der so oder ähnlich mehrmals fällt.
Trotz solcher Einschränkungen: Man erfährt in diesem Buch so manches Neue über den Menschen und die Künstlerin Dagmar Manzel. Ihren Schmerz jedoch behält sie für sich.

Dagmar Manzel: "Menschenskind – Eine Autobiographie in Gesprächen mit Knut Elstermann"
Aufbau Verlag, Berlin
239 Seiten, 19,95 Euro

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