"Blockbuster"-Ausstellungen

Von Volkhard App · 18.07.2006
Ob Ausstellungen wie "MoMA" in Berlin oder aktuell die "Guggenheim Collection" in Bonn, zu der 600.000 Besucher erwartet werden - Großevents verändern die Ausstellungslandschaft. Potente Sponsoren verlangen als Gegenwert die Sichtbarmachung ihres Logos. Was oft in kargen Ateliers entstand, droht stärker noch als bisher zur Staffage einer gewinnorientierten Gesellschaft zu werden.
Mediale Dauerberieselung, Werbemillionen, Warteschlangen und überquellende Museumsshops: Kunstwerke müssen schon stark sein, um sich gegen diesen Rummel, der mit ihnen und in ihrem Namen veranstaltet wird, behaupten zu können.

Stolz melden Ausstellungshallen den jeweiligen Stand der Besucherzahlen – so als ginge es um bloße Produktionsziffern. Von inhaltlichen Erfahrungen ist kaum mehr die Rede.

Diese Veräußerlichung hat mit den hohen Investitionskosten zu tun: wenigstens 600.000 Besucher müssen den Weg nach Bonn in die Bundeskunst- und Ausstellungshalle zur "Guggenheim Collection" finden, damit ein wirtschaftliches Minus vermieden werden kann, man rechnet aber mit weitaus mehr Touristen. Bei "Caspar David Friedrich" in Essen hofft man auf immerhin 200.000 Besucher bis Ende des Monats, die mit Cezanne erreichte Rekordmarke von 380.000 bleibt wohl unerreicht.

Ob "MoMA”, Cezanne, Goya, "Melancholie", Friedrich oder eben "Guggenheim”: diese Großevents verändern die Ausstellungslandschaft im Ganzen, schaffen Begehrlichkeiten vor Ort, setzen Profilierungswünsche und wirtschaftliche Spekulationen frei. So hat Hubertus Gaßner, neuer Direktor der Hamburger Kunsthalle, seinen Kurs rechtzeitig abgesteckt: weniger kleine Ausstellungen im "stillen Winkel", stattdessen größere mit weiter Ausstrahlung:

"In Hamburg wird immer wieder beklagt, dass die großen Ausstellungen an diesem Haus vorbeigehen. Es ist also einerseits die Lust, Meisterwerke aus fremden Museen zusammenzubringen, und auf der anderen Seite auch eine bittere ökonomische Notwendigkeit – denn man hofft natürlich, mit großen Ausstellungen etwas Geld zu verdienen."

Nun gibt es ernstzunehmende Einwände gegen diesen Trend zu "Blockbuster"-Ausstellungen: die Vielfalt der Kunst, zu der auch nicht so bekannte Namen und nicht so populäre Stile zählen, könnte auf der Strecke bleiben. Und womöglich täuscht die PR-Verpackung über die wirkliche
Qualität der betreffenden Mega-Schau hinweg:

"Große Ausstellungen können genauso gut oder schlecht sein wie kleine Ausstellungen. Es ist immer dieses etwas degoutante Urteil gegen ‚Blockbuster’-Ausstellungen zu hören. Ich weiß gar nicht, wer das aufgebracht hat. Es kommt immer auf das Thema an und die Qualität der Sachen, die man zeigt."

Im Herbst wird die von Gaßner noch in Essen organisierte Ausstellung mit Bildern Caspar David Friedrichs in die Hansestadt weiterreisen, und im nächsten Jahr soll hier die bereits angekündigte Schau zum "Schwarzen Quadrat” stattfinden.

Es sind zwei Gefühle in des Besuchers Brust, die da im Widerstreit liegen: zum einen das Leiden an der verselbständigten Eventseligkeit, am lauten Beiwerk - zum anderen aber stellt sich die Ahnung ein, dass ohne diesen Riesenaufwand eine derart breite, international bestückte Retrospektive
eines Klassikers eben nicht möglich wäre - oder die Präsentation einer hochwertigen Museumssammlung. Und wenn ein wissenschaftlicher Ansatz, ein etwas anderer Blick auf die Werke, ein Erkenntnisgewinn zum Fundament der betreffenden Schau gehören, ist diese Veranstaltung über bloße Effekthascherei erhaben.

Der Hochschuldozent und freie Publizist Wolfgang Ullrich hat sich in viel beachteten Büchern mit dem Kunstkommerz befasst:

"Ob der Vorteil für das Publikum wirklich so groß ist, wenn man erst stundenlang anstehen muss, bevor man in die Ausstellungen darf, sei dahingestellt. An sich ist nichts gegen diese Eventpolitik von Museen zu sagen, wenn es darum geht, ein Publikum für Ausstellungen zu gewinnen, das sonst eher fernbleiben würde. Allerdings ist mit Sorge zu sehen, dass die
ganze Vielfalt der Kunstgeschichte und der Kunstwelten auf der Strecke bleibt, wenn man alles auf so wenige Höhepunkte reduziert. Und wenn soviel Geld in einige wenige Bereiche fließt, könnte die ganze Binnenstruktur des Kunstbetriebs darunter leiden."

Droht die totale Kommerzialisierung der Museumspolitik? Nicht ganz klar ist, ob kleinere Häuser nun über diese Großevents klagen, weil ihre eigenen ambitionierten Ausstellungen im Schatten medialer Aufmerksamkeit stehen - oder weil sie aufgrund ihrer bemitleidenswerten Etats und wegen fehlender Sponsoren selber keine Blockbuster ausrichten können – was sie aber gerne
täten. Thomas Kellein, Direktor der Bielefelder Kunsthalle, setzt auf Inhalte:

"Gleichwohl ist uns bewusst, dass wir wie reguläre Wirtschaftsunternehmen in Konkurrenz zueinander stehen, d.h. eine Ausstellung, die nur 30.000 Besucher hat, ist wirtschaftlich auch nur ein Zehntel so stark wie eine mit 300. 000 Besuchern. Ich scheue mich ein wenig, gegen diese Großausstellungen zu schimpfen, denn wir sitzen eigentlich alle in diesem einen Boot einer
großen Gesamtgesellschaft, einer großen Gesamtkultur. Und ich denke, jedes Museum heute muss einfach versuchen, die eigenen Werbemöglichkeiten zu verbessern."

Kein Großereignis mehr ohne potente Sponsoren, deren Einfluss immer noch wächst. Die aber verlangen einen Gegenwert, wollen, dass die klassische oder zeitgenössische Moderne auf das Image ihres Unternehmens ausstrahlt - und tun einiges, dass ihr Logo an den Wänden, auf Plakaten und in Katalogen entsprechend auffällt. Die Frage ist nur, ob die Kunst nicht darunter leidet, wenn zum Beispiel ein leicht und licht hingetupftes impressionistisches Motiv mit einer gar nicht so leichten und lichten Bierreklame in Berührung kommt - oder bekannte Energieunternehmen scheinbar die halbe Moderne unter Vertrag haben, sofern die Künstlernamen prominent genug sind.

Wolfgang Ullrich: "Nein, das würde ich nicht sagen, dass die Kunst daran Schaden nimmt. Ich denke, das waren früher extremere Eingriffe, wenn sich zum Beispiel in der mittelalterlichen Malerei die Stifter auf die Bilder malen ließen. Die haben wesentlich mehr Fläche beansprucht und besetzt, als wenn heute auf der Eintrittskarte, im Folder oder im Katalog das Logo des Sponsors steht."

Dennoch, so die Befürchtung, bleibt die Kunst, selbst die ganz "starke", nicht unberührt von der überbordenden Eventseligkeit im internationalen Ausstellungsbetrieb. Was in oft kargen Ateliers entstand und mit allen Risiken stilistischer Innovation behaftet war, droht stärker noch als bisher zur Staffage einer gewinnorientierten Gesellschaft zu werden.