Beschäftigungspolitik

Arbeitsplätze sind wichtiger als die schwarze Null

Menschen stehen am Dienstag (01.02.2011) Schlange im "Integrationscenter für Arbeit Gelsenkirchen - das jobcenter" in Gelsenkirchen.
Arbeitslosigkeit kostet mehr als Schuldendienst, sagt der Ökönom Dirk Ehnts. © dpa / Julian Stratenschulte
Von Dirk Ehnts · 18.09.2018
Warum gibt es bei Staatsschulden EU-Obergrenzen, nicht aber bei der Arbeitslosenquote, fragt der Ökonom Dirk Ehnts. Er plädiert dafür, die Staaten zur Schaffung von Arbeitsplätzen zu verpflichten, falls die Arbeitslosigkeit bei über fünf Prozent liegt.
Sicher kennen Sie die "Reise nach Jerusalem". Eine Gruppe Kinder tanzt um eine Gruppe Stühle, wobei die Anzahl der Stühle um eins geringer ist als die Anzahl der Kinder. Wenn die Musik stoppt, setzen sich alle hin, nur ein Kind bleibt ohne Stuhl und scheidet aus.
Was geben Sie vor dem Spiel den Kindern als Rat mit auf den Weg? Sollten sie Schnelligkeit und Flexibilität trainieren? Sollten sie sich strategisch verhalten und nur dann zum nächsten Stuhl tanzen, wenn dieser frei zu sein scheint? Was auch immer sie den Kindern mit auf den Weg geben, das grundsätzliche Problem bleibt bestehen. Es sind einfach nicht genügend Stühle vorhanden!

Weniger offene Stellen als Arbeitssuchende in der EU

Im Gegensatz zum Kinderspiel ist der europäische Arbeitsmarkt keine Spaßveranstaltung, und keinen Platz zu finden hat schwerwiegende Folgen. Arbeitslosigkeit ist schon immer ein fester Bestandteil des Kapitalismus. In der Eurozone ist trotz Wachstums die Anzahl der offenen Stellen deutlich geringer ist als die Anzahl der Arbeitssuchenden. Die Arbeitslosigkeit liegt bei durchschnittlich etwa acht Prozent, dazu gibt es letztes Jahr neun Millionen Europäer in Unterbeschäftigung. Ziel dieses Spiels sollte es eigentlich sein, alle Arbeitssuchenden in Beschäftigung zu bringen. Von daher ist nur logisch, dass bei einem Mangel an Arbeitsplätzen deren Anzahl erhöht werden sollte. Nur wie kann das passieren?
Arbeitsplätze werden von privatwirtschaftlichen Unternehmen und vom Staat zur Verfügung gestellt. Dabei steht bei den Unternehmen die Maximierung des Gewinns im Vordergrund. Entsprechend wird die Produktion geplant und so die Anzahl der Arbeitsplätze im privaten Sektor bestimmt. Leider reicht die Anzahl dieser Arbeitsplätze nicht aus, um alle Arbeitswilligen zu versorgen. Dies ist unglücklich, denn wer nicht arbeitet, der produziert auch nicht – und somit geht die Arbeitskraft verloren.
An dieser Stelle kommt der Staat ins Spiel. Er kann durch zusätzliche Ausgaben mehr Produktion erzeugen, indem er entweder direkt Arbeitsplätze schafft oder seine Arbeitnehmer_innen besser bezahlt – wodurch diese dann mehr Geld ausgeben und die Unternehmen entsprechend die Produktion und damit die Beschäftigung erhöhen – oder indem der Staat mehr Aufträge an die private Wirtschaft vergibt, die dann mehr Personal einstellen muss.

Deutschland ist "too big to fail"

Die deutsche Bundesregierung kann – wie die anderen Regierungen auch – zusätzliche Ausgaben auf zwei Arten finanzieren. Entweder greift sie auf Steuereinnahmen aus der Vergangenheit zurück oder sie weist die Bundesfinanzagentur in Frankfurt am Main an, mehr Staatsanleihen zu begeben. Diese werden von Banken gekauft, die das Geld dafür wiederum ultimativ von der Europäischen Zentralbank, der EZB, leihen. Solange Mario Draghi und die EZB deutsche Staatsanleihen zu Marktpreisen aufkaufen, werden diese als risikolos wahrgenommen.
Deutschland ist "too big to fail" - die EZB würde es nicht wagen, den Ankauf deutscher Staatsanleihen in Krisenzeiten anzuhalten. Täte sie es dennoch, würde die europäische Finanzmarktstabilität in Leidenschaft gezogen werden, deren Garant aber die EZB ist. Die Banken werden also auch die zusätzlichen deutschen Staatsanleihen sehr gerne und in großen Menge kaufen.
Daraus folgt dann, dass der deutsche Staat für mehr Beschäftigung sorgen könnte, wenn er es nur wollte. Zusätzliche Ausgaben würden zu mehr Beschäftigung führen. Da der Staat für die Beschäftigung so wichtig ist, könnten neue Regeln aufgestellt werden, um die jeweilige Regierung anzuweisen.

"Der Staat ist keine schwäbische Hausfrau"

So, wie die EZB ein Inflationsziel hat, könnte den nationalen Regierungen ein Beschäftigungsziel mitgegeben werden. Beispielsweise könnten sie angewiesen werden, die Ausgaben solange zu erhöhen, bis die Arbeitslosigkeit bei unter fünf Prozent liegt. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt wäre solange auszusetzen, wie die Arbeitslosigkeit bei über fünf Prozent liegt. Die Inflationsraten wären etwas höher, könnten aber durch die EZB mit Zinserhöhungen bekämpft werden, wodurch wir die lästigen Niedrigzinsen und die damit einhergehenden Vermögenspreisaufwertungen los wären.
Eine solche Regel ist meiner Meinung nach sinnvoller, als am Dogma eines ausgeglichenen Haushalts des Staates festzuhalten. Der Staat ist keine schwäbische Hausfrau, denn er kann sich über die Ausgabe von Staatsanleihen finanzieren und ist somit als Schöpfer der Währung nicht auf Steuereinnahmen angewiesen. Abgesehen davon sind die Steuereinnahmen aktuell hoch, die Kassen voll. Wenn der Staat nur möchte, kann er jederzeit die Beschäftigung erhöhen.

Dirk Ehnts (*1977) ist Staatswissenschaftler und Ökonom. Von 2012 bis 2014 war er Gastprofessor an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin. Seit Januar 2017 lehrt er an der TU Chemnitz und ist Vertretungsprofessor an Europa-Universität Flensburg.

Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
© Foto: privat
Mehr zum Thema