Berliner Derby

Als Union zum ersten Mal gegen Hertha spielte

06:13 Minuten
Eine Fanjacke aus Jeansstoff mit Emblemen beider Berliner Vereine.
Diese modische Jacke zeigt, dass das Herz des Trägers für beide Berliner Bundesliga-Vereine schlägt. © imago images / Camera 4
Von Thomas Wheeler · 27.10.2019
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Im Januar 1990 fand das erste Freundschaftsspiel zwischen Hertha BSC und dem 1. FC Union Berlin statt. Eine historische Begegnung, auf die sich die Fans beider Mannschaften so sehr gefreut haben, dass das Spielergebnis zur Nebensache wurde.
"Ein emotional tierisch großer Höhepunkt, der dann aber ziemlich schnell im Sande verlaufen ist", erinnert sich Hertha-Fan Manfred Sangel an das historische Freundschaftsspiel gegen den 1. FC Union Berlin im Januar 1990. Einen Namen hat er sich vor allem als Stimme des Hertha-Echos gemacht. Das von ihm erfundene Fan-Radio ging 1989 auf Sendung und wurde im Februar dieses Jahres zum letzten Mal ausgestrahlt.
Bereits zwei Wochen vor der ersten Begegnung unter freiem Himmel treffen sich die Berliner Traditionsvereine aus West und Ost erstmals unter dem Hallendach. "In der Werner-Seelenbinder-Halle war ein Hallenturnier mit dem BFC, mit Blau-Weiß 90, mit Union und Hertha natürlich. Und da war, weil das relativ klein und eng war, da war der Kontakt mit den Unionern riesig. Wir haben zusammen gesungen: 'Wir halten zusammen wie der Wind und das Meer, die blau-weiße Hertha und der FC Union.'"
Herthas damaliger Torjäger heißt Theo Gries. Der gebürtige Pfälzer spielt fünf Jahre für den Verein und erzielt insgesamt 74 Treffer. "Am meisten erinnere ich mich daran, dass eine Rieseneuphorie davor entstanden ist, obwohl wir in der Vorbereitung waren auf die Rückrunde in der 2. Bundesliga und eine Woche später auch noch ein Testspiel gegen Bayern München anstand."
Die beiden Mannschaftskapitäne geben sich vor Beginn des innerstädtischen "Fußball-Gipfels" zwischen Hertha BSC und Union Berlin am 27.01.1990 im Olympiastadion in Berlin die Hand.
Vor vollen Rängen: Das Spiel endete 2:1 für Hertha BSC.© picture-alliance / Thomas Wattenberg
Für Union stürmt damals Olaf Seier. Der in Rostock geborene Spieler ist seinerzeit Mannschaftskapitän der Eisernen. "Wir alle sollten einen Tag vorher uns neue Fußballschuhe anziehen, von einer Firma namens Puma. Und das ging überhaupt nicht, weil meine gepflegten, alten eingespielt waren. Das haben wir erstmal abgeblockt."
Zu jener Zeit sind beide Mannschaften auf Aufstiegskurs. Der 1. FC Union ist zweitklassig und nach der Hinrunde Tabellenerster der DDR-Liga. Hertha BSC ist Spitzenreiter der zweiten Bundesliga. Auch dank der Tore von Theo Gries, der seit zwölf Jahren Talent-Scout bei Union ist. "War ja in dem Sinne kein Wettkampf, sondern es war einfach ein freundschaftliches Treffen. Ich glaube, das war auf der Tribüne bei den Fans so gewesen und es war auch bei uns so gewesen."

Überglücklich, dass das Spiel stattgefunden hat

Die Fans beider Klubs verbindet damals eine tiefe Freundschaft. In den Siebzigern unterstützen Hertha-Anhänger die Mannschaft von Union erstmals bei Heim- und Auswärtsspielen. Ein Teil der Köpenicker wiederum feuert die Herthaner bei Europapokalspielen in Prag und Plovdiv an.
Die Berliner U-Bahnen sind in diesen Tagen proppenvoll. Bei winterlichen Temperaturen drängeln sich die Fans in dicken Mänteln und Jacken in den stickigen Waggons. Blau-Weiße und Rot-Weiße strömen aus allen Stadtteilen Richtung Charlottenburg. Darunter auch Manfred Sangel:
"Und die Luft vibriert und wabert von Trabbi- und Wartburg-Autos und Menschen, die überglücklich waren, dass dieses Spiel stattgefunden hat, halt auch viele aus dem Umland Berlins, die die Gelegenheit genutzt haben, ihre Frau auf den Ku′damm zu schicken. Und so hat′s mir auch einer gesagt, er hat seine Alte auf den Ku′damm geschickt, die soll da mal bummeln, ich bin hier beim Fußball."
Über 50000 Zuschauer aus beiden Teilen Berlins sind am 27.01.1990 ins Olympiastadion zum Freundschaftsspiel zwischen Hertha BSC und dem 1. FC Union Berlin gekommen. Die Partie endete mit einem 2:1 (1:1) für Hertha.
Die Frauen auf dem Ku'damm und die Männer im Olympiastadion: Fans beim Freundschaftsspiel von Hertha BSC gegen Union Berlin.© picture-alliance / Thomas Wattenberg
Die Karten für das Spiel haben einen Einheitspreis: fünf West- oder Ost-Mark. 51.270 Zuschauer sind es schließlich offiziell, wobei es nach deutlich mehr Fans im weiten Rund aussieht.
"Ich weiß noch, wie man aus den Katakomben hochkam, die Zuschauer, die Stimmung. Also wir waren eigentlich alle ziemlich locker drauf alle, haben ein bisschen rumgeflachst mit den Herthanern, weil wir sagten, wir wollen ein gutes Spiel machen, wollen viele Tore schießen. Einfach ein Fußballfest wollten wir erleben. Und so war′s im Endeffekt auch."
Olaf Seier und seine Mannschaft sind ebenbürtig. Auf den Tribünen haben die Union-Anhänger ein klares Übergewicht. Auf dem Rasen aber gehen die Gastgeber durch Axel Kruse bei seiner Hertha-Premiere in Führung.

Ergebnis ist Nebensache

Kruse ist im Juli 1989 bei einem Intertoto-Cup-Spiel von Hansa Rostock in Kopenhagen in den Westen geflüchtet. Die Freude über sein erstes Hertha-Tor währt allerdings nur kurz. Union gleicht wenig später aus. Am Ende gewinnt Hertha 2:1. Aber das Ergebnis ist für Spieler und Fans nur Nebensache. Sie genießen den Augenblick. Die Euphorie kühlt allerdings relativ schnell ab, wie der ehemalige Hertha-Profi Theo Gries zu berichten weiß:
"Später im Jahr haben wir, glaube ich, noch mal das Rückspiel gemacht, was glaube ich nur drei-, viertausend Zuschauer besucht hatten und wir waren noch mal mit dem Hertha-Boot am Tegeler Ufer oder auf dem Tegeler See gefahren. Da haben wir noch mal mit den Spielern und Fans praktisch so eine feierliche Veranstaltung gemacht." Damals, als sich Hertha und Union noch lieb hatten.

Ältere Fans pflegen noch Kontakt

30 Jahre später ist davon so gut wie nichts mehr übrig. Einige ältere Fans jedoch pflegen die Kontakte. Zu ihnen gehört auch Manfred Sangel: "Es gibt immer noch genug auf beiden Seiten, die, so wie ich zum Beispiel, sich sehr gerne an diese Zeit erinnern. Es gibt mittlerweile ja über die sozialen Medien eine Hertha-Union-Freundschaftsgruppe, die auch tatsächlich immer größer wird."
Die Jüngeren dagegen sind meist auf ihren jeweiligen Verein fixiert. Aus den Freunden von einst sind konkurrierende Lokalrivalen geworden, die seit Saisonbeginn gemeinsam in der ersten Liga spielen.

Über den langen Weg des 1. FC Union Berlin in die Bundesliga spricht in der Sendung Nachspiel Thorsten Jabs mit Thomas Jaedicke
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