Berlinale: Flüchtlingscamp-Projekt

Wie sich das Geschichtenerzählen verändern muss

Das Logo der Berlinale: das Film-Festival gilt im internationalen Vergleich als besonders politisch
Das Logo der Berlinale: das Film-Festival gilt im internationalen Vergleich als besonders politisch © Deutschlandradio / Maja Ellmenreich
Von Bernd Sobolla · 18.02.2016
Die "Berlinale Talents" bieten jungen Filmschaffenden nicht nur die Möglichkeit, mit etablierten Filmexperten in Kontakt zu kommen: Hier werden auch Zukunftsvision entwickelt. In diesem Jahr wurden die Flüchtlingscamps von morgen diskutiert.
Rund 200 Interessierte versammelten sich, um über das Geschichtenerzählen und die Flüchtlingsbewegung zu sprechen. Während halb Europa unter dem Ansturm von rund 1,5 Millionen Flüchtlingen im letzten Jahr stöhnt, ganz zu schweigen von den vielen Flüchtlingscamps in der Türkei, dem Libanon oder Jordanien, sieht Kilian Kleinschmidt, darin einen Segen. Er war bis Ende 2014 verantwortlich für das Za´atari Flüchtlingscamp im Norden von Jordanien, das zweitgrößte Camp der Welt.
"Wir müssen diesen Menschen danken, dass Sie uns wieder darauf bringen, über uns selber nachzudenken. Über unsere eigene Gesellschaft nachzudenken, über das, was funktioniert und was nicht funktioniert. Und als solches bringen sie uns wahnsinnges Kapital an Denken, an Politisierung auch der Gesellschaft, im Augenblick auch im negativen Sinne. Die Politisierung, die wir im Augenblick erleben, ist natürlich unschön."
So kommt hierzulande ein gefährliches Gedankengut hoch, das wir glaubten, schon lange überwunden zu haben. Tatsache ist: Wir sind noch nicht dafür ausreichend gerüstet, um mit Menschenströmen umzugehen, die aus anderen Kultur- und Religionsräumen kommen. Auch das war ein Grund, warum Juan Diaz den Talent Workshop initiierte.
"Deshalb glauben wir, dass sich das Geschichtenerzählen verändern muss. Die Menschen selbst sind Teil der Geschichte, und wir müssen sie als Teile einer komplexen Situation sehen. Es geht darum, dass sie Visionen für ihre eigene Zukunft entwickeln, und für uns, diese als ein Teil unserer Geschichte zu verstehen."
Visuelle Visionen statt Beschreibung des Ist-Zustandes
Zwar können Dokumentarfilmer über die Situation in den Flüchtlings-Camps berichten. Aber das ist in der Regel nur die Beschreibung eines Ist-Zustandes. Bei den Talents geht es darum, visuelle Visionen zu entwerfen. Zum Beispiel wurde ein computeranimierter Film über das Dorf Albiba in Saudi-Arabien gezeigt.
"Diese Menschen sind weit weg von der Stadt und haben kaum Zugang zu Dienstleistungen. Und man sieht dieselben Dinge, die überall passieren, wenn eine Gemeinschaft verarmt. Armut basiert immer darauf, dass man von anderen abhängig ist. Ein Grundgedanke in Albiba war: Jeglicher Einsatz muss von der Bevölkerung selbst kommen. Und wir begannen damit, virtuellen Platz einzusetzen, um Probleme der realen Welt zu lösen."
So konnten die Menschen ihr Dorf virtuell gestalten: Sie bauten einen Staudamm, der ihnen hilft, die regenarme Zeit zu überbrücken, zogen zwischen den Häusern Verbindungsmauern und schufen so Innenhöfe. Dort wiederum züchten sie Pflanzen. Es geht also darum, dass die Menschen ihre eigene Geschichte vorausdenken.
Denkfabrik für die Neu-Gestaltung der Welt
Was die Flüchtlingscamps betrifft, besteht ein wesentliches Problem darin, dass viele Entscheidungsträger Flüchtlingscamps nur als Almosenverteilungsplatz ansehen. Hierzulandewird zum Beispiel gefordert, finanzielle Leistungen nur in Form von Lebens- und Warengutscheinen auszugeben, ohne über den Verwaltungsaufwand nachzudenken. Dabei schauen die Visionäre, wie Kilian Kleinschmidt meint, in die entgegengesetzte Richtung.
"Der Flüchtling der Zukunft, und wir reden hier von 2036 als Vision, wird unter Umständen, wenn er kommt, einchecken, er wird eine virtuelle Geldbörse bekommen, wird sich einen Lebensraum irgendwo gestalten können als Teil eines Wohnprojektes, das sich gemeinschaftlich auch Wirtschaftlichkeit erlaubt."
Zwar widmet sich der Talent Workshop vor allem der Flüchtlingsproblematik, aber es geht um mehr. Er ist auch eine Art Denkfabrik für die Neu-Gestaltung der Welt insgesamt. Denn die Ergebnisse werden unter anderem im Oktober unter dem Motto "Raumschiff Erde" beim Treffen des "World Building Institutes" in Los Angeles präsentiert. Dort geht es um die Veränderung von Wüsten, Dschungeln, Ozeanen und Flüchtlingsströmen.
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