Berlin - schwierige Stadt

Von Matthias Matussek · 25.01.2006
Der Abriss des Klotzes, den man zu sozialistischen Zeiten Palast nannte, dieser Neubauruine, die von ein paar unerträglich witzigen Architekturkritikern und Feuilletonisten zum Mahnmal des DDR-Widerstands hochgejazzt wurde, ist ein Grund zur Feier. Wir können aufatmen. An die Stelle der trostlosen Ungeheuerlichkeit darf jetzt wieder das Zitat eines tatsächlichen Palastes treten, nämlich die rekonstruierte Fassade des alten Stadtschlosses, das früher die architektonische Gliederung des ganzen Boulevards im Herzen der Stadt bestimmte.
Was wir eigentlich feiern sollten, ist der Bürgersinn, der sich hier nun auch im schwerfälligen Berlin endlich durchgesetzt hat. Überall im Lande zeigt sich diese neue Bürgerlichkeit, die sich die Städte verschönern möchte und ihr historisches Gedächtnis erhalten will.

Das wohl grandioseste Beispiel bisher war der Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche, der nahezu vollständig aus Spenden finanziert wurde, Stein um Stein, zehn Jahre lang, bis die alte barocke Pracht, die in den schrecklichen Bombennächten der letzten Kriegsmonate ausgebrannt war, in neuer Herrlichkeit wiedererstrahlte. Eine Stadt holte sich ihr Zeichen zurück.

Auch bei der jüngst erfolgten Rekord-Sammel-Aktion der Hanseaten für eine Hamburger Elbphilharmonie war eine bürgerliche Schönheits-Sehnsucht die treibende Kraft. Hätte man den Bau der Konzerthalle dem Behördenweg anvertraut, wäre aus der Sache nie etwas geworden - wie auch, bei sechs Milliarden Schulden. Doch in dem Zusammengreifen reicher privater Mäzene und kleiner Spenden entstand ein unwiderstehlicher Sog.

Was die reichen Bürger Hamburgs nur zwei Wochen kostete, dauerte in Berlin 15 Jahre. Man kann die Fälle nicht vergleichen, aber eines lässt sich sicher sagen: Berlin tut sich grundsätzlich schwer mit Bekenntnissen zur Schönheit, besonders in der Nachkriegszeit. Im Westen gab es Stuck-Abschlagsprämien für Bewohner der übrig gebliebenen Jugendstil- und Gründerzeitvillen, im Osten war man verliebt in Aufmarschplätze und Legebatterien aus Beton. Berlin ist arm.

Das proletarische Misstrauen gegen das Bürgerliche hat hier Tradition. Vor diesem Hintergrund, dieser Geschichte ist die Berliner Schlossinitiative nun ein besonders beeindruckendes Beispiel für die neubürgerlichen Aktivitäten, mit denen Einzelne das ganze Gemeinwesen mitreißen können. Die Rede muss natürlich in erster Linie von Wilhelm von Boddien sein. Er war mit seiner Bürger-Initiative im Grunde genommen der Erste von mittlerweile vielen in diesem Lande, der konservierend und aufbauend eingreifen wollte. Er hatte sich das alte Schloss in den Kopf gesetzt. Er hatte diesen Traum. Und damit es ein paar andere mehr gab, die mit ihm träumen, hatte er damals den Palast der Republik hinter einer riesigen Plane versteckt, auf die das alte Schloss gemalt war. Eine romantische Theaterkulisse. Ein Geniestreich.

Ihrem alten Schloss ist die Stadt ein erhebliches Stück näher gerückt. Statt Boddien nun zu feiern, wollten einige fanatische Gegner des Schloss-Neubaus den Erfinder und Promoter der Idee wenigstens rufmorden. Deutsche Sitten. Sie hatten Briefe und Kassiber an ausgewiesen Schloss-feindliche Journalisten verschickt und dann einfach abgewartet, ob ihre Stinkbomben tatsächlich geschmissen wurden. Und sie wurden. Dürftiger Kern der Kampagne: Boddien lasse sich ein Gehalt auszahlen für seine Schlossaktivitäten.

Nun, der Unternehmer hatte mit seiner Landmaschinen-Firma vor zwei Jahren Insolvenz anmelden müssen, und kann wohl nicht mehr ganz so großzügig mit der eigenen Zeit und dem eigenen Geld umgehen. Durchaus nachvollziehbar. Die Zahl, die genannt wurde, würde bei jeder anderen Initiative dieser Größenordnung kaum das Porto der PR-Abteilung decken. Hier rudert und wirbelt und wirbt Boddien als eine Ein-Mann-Agentur. "Unüblich dieses Gehalt", meinte der Hamburger Notar Klaus Rollien, Mitglied des Spendenparlaments in Hamburg, dazu. Gleichzeitig aber sagte er mir: "Herr Matussek, ich wünschte, es gäbe mehr Idealisten vom Schlage eines Wilhelm von Boddien."

Es gibt inzwischen mehr davon. In Deutschland ist eine Welle der Bürgerbeteiligung entstanden, die durchaus an amerikanische Zustände erinnert. Es sind mehr und mehr, die nicht mehr auf den Staat warten, weil in Zeiten knapper Budgets eben vom Staat nicht viel zu erwarten ist. Wir müssen die Dinge selber in die Hand nehmen, und wir tun es bereits: wir restaurieren Kirchen, wir streichen Schulen an, wir bauen Kindergärten, wir, Bürger und Gemeinwesen.

Endlich haben wir einen Paradigmenwechsel in unserem Land, hin zu einer neuen Bürgerlichkeit, einem lässig-pragmatischen Patriotismus. Jeder fühlt sich selber verantwortlich. Und das ist ein gutes Gefühl. Also, Tassen hoch und prost, und nicht nur auf das Schloss und seine Wiederherstellung, sondern auf alle, die an ähnlichen Aktionen in diesem Lande beteiligt sind.


Matthias Matussek, Jahrgang 1954, studierte Amerikanistik und Germanistik in Berlin; er kam über den Berliner "Abend" und den "Stern" zum Hamburger "Spiegel", er ist dort seit 2005 einer der beiden Leiter der Kulturredaktion. Vom Fall der Berliner Mauer bis zum Tag der Deutschen Einheit berichtete Matussek als Sonderkorrespondent aus Ost-Berlin und wurde 1991 mit dem "Egon-Erwin-Kisch-Preis" ausgezeichnet. Er leitete die Büros des "Spiegel" in New York, Rio de Janeiro und London, hielt Gastvorträge an amerikanischen Universitäten und schrieb Kolumnen für US-Zeitungen. Buchveröffentlichungen u. a.: "Das Selbstmord Tabu" (1992), "Fifth Avenue", Kurzgeschichten (1995) und "Die vaterlose Gesellschaft - Überfällige Anmerkungen zum Geschlechterkampf" (1998). Nach einer Idee von Matussek entstand der Film "Väter".