Bauprojekt in Magdeburg

Ein Tunnel, den keiner braucht?

Bauarbeiten für City-Tunnel in Magdeburg
2019 soll der City-Tunnel in Magdeburg endlich fertig sein - vielleicht. © picture alliance / ZB / Jens Wolf
Von Christoph Richter · 21.11.2017
An Magdeburgs City-Tunnels scheiden sich die Geister: Kritiker sprechen von einem städteplanerischen Desaster, Befürworter von einem zukunftsweisenden Projekt. Sinn und Zweck des Projekts sind fraglich, klar ist bislang nur, dass die Kosten explodieren.
Jürgen Canehl: Ein Mann Mitte 60 rüttelt an einem Gitterzaun. Sekunden später steht er auf der Baustelle des Magdeburger City-Tunnels. Die Bauarbeiter schauen etwas verwundert. Grünen-Stadtrat Canehl – mit feinem Schuhwerk und Fahrradhelm auf dem Kopf - lässt sich aber nicht beirren.
"Bin Stadtrat will nur mal gucken."
"… man sagt Stadtrat, dann kommt man hier rein …"
"…hat offenbar genützt."
Canehl ist Soziologe, Inhaber eines Planungsbüros und dezidierter Kritiker des Magdeburger Tunnelprojekts.
"Naja, weil es städtebaulich, verkehrspolitisch auch wirtschaftspolitisch unsinnig ist. In diesem Fall ziehen wir mit dem Tunnel zusätzlichen Verkehr in die Innenstadt. Und dann wurden immer 4,50 Meter Durchfahrtshöhe gefordert. Auch das ist unsinnig, schließlich brauchen wir keine LKWs in der Innenstadt …"
… weil man andernorts bereits Straßen ausgebaut habe, um den Fernverkehr aus der Stadt rauszuhalten. Der City-Tunnel schaffe nun genau das Gegenteil und mache die Innenstadt geradezu attraktiv für den LKW-Durchgangsverkehr. Das sei doch völlig anachronistisch, sagt Canehl. Wegen des Projekts ist er aus der SPD ausgetreten und zu den Grünen übergelaufen.

Explodierende Kosten

City-Tunnel Magdeburg: Gemeint ist damit ein gut 300 Meter langes Teilstück der innerstädtischen Ernst-Reuter-Allee. Eine sechsspurige – durch Stalinbauten gesäumte – Ost-West-Achse, die man nun teilweise untertunnelt. Seit drei Jahren wird daran gebaut. Die ersten Überlegungen wurden 2004 angestellt, schnell formierten sich auch Tunnel-Gegner. Ursprünglich sollte der Tunnel 40 Millionen Euro kosten. Jetzt ist von 100 Millionen mehr, also 140 Millionen Euro die Rede.
Grünen-Stadtrat Canehl sieht in dem Projekt ein städteplanerisches Desaster. Denn man produziere auch Staus, wo es vorher überhaupt keine gab. Magdeburg 21, Schildbürgerstreich, Prestigeobjekt: Es gibt viele Beschreibungen für den City-Tunnel. Eine Baustelle, die derzeit ganze Teile der Stadt voneinander abkoppelt.
"Also Staus gibt es in Magdeburg erst, seitdem der Tunnel gebaut wird. Man hat es verkauft, der Tunnel wird vierspurig und alles wird besser. Es gibt auch Leute, die gesagt haben: Naja, Sie haben Recht Herr Canehl, dann müssen wir bis zu Elbe bauen, vielleicht bis Heyrothsberge, also durch die Elbe. Das ist ja noch verrückter."
Damit hätte man die gesamte Magdeburger Innenstadt autofrei gemacht. Das ist aber selbst für den Grünen Canehl zu viel.
Hintergrund der Kostenexplosion sind Planungsfehler. Größtes Problem: Die Bohrpfähle für die Fundamente des Tunnels, sie waren falsch berechnet, zu schwach dimensioniert. Statiker mussten die Planungen korrigieren, ansonsten hätte es ein Sicherheitsrisiko gegeben. Erzählt Baudezernent Dieter Scheidemann, ein ausgebildeter Jurist. Er stammt ursprünglich aus Niedersachsen und residiert in einem unscheinbaren Plattenbau, vor sich hat er diverse Pläne und Gutachten ausgebreitet.
"Es ist durchaus so bei den Kostenerhöhungen, die wir haben, dass mir das schlaflose Nächte bereitet. Und ich frage mich, was hätten wir noch etwas besser machen können."

Überraschungen im Baugrund

Scheidemann kann den öffentlichen Unmut, die Kritiker verstehen. Ergänzt aber schnell, dass man bei Tiefbau-Projekten dieser Art nie wisse, welche Überraschungen der Baugrund parat halte. So habe die Stadtverwaltung beispielsweise eine umfassende Kampfmittelsondierung vorgenommen. Dazu hat man sich Kartenmaterial von amerikanischen Aufklärern besorgt, um Rückschlüsse auf Blindgänger zu erhalten. Bis auf eine Bombenentschärfung kam man glimpflich davon.
Alle Risiken kann man aber nicht ausschließen, sagt Baudezernent Scheidemann: So sei man beispielsweise auf einen riesigen Findling gestoßen, wegen der Absenkung des hohen Grundwassers mussten anliegende Gebäude besonders gesichert werden. Ein anderes Problem seien die steigenden Preise, die hohe Baukonjunktur, finanzielle Nachforderungen des Bauunternehmens.
"Ich denke, das Projekt ist nachhaltig, weil wir für 100 Jahre bauen. Es ist für die Bürger jetzt eine problematische Zeit. Wir wissen auch, was wir ihnen zumuten. Und ich hoffe, wenn das Bauwerk fertig ist, hat die Stadt ein anderes Gesicht und sie können es genießen und goutieren."
Magdeburg City-Tunnel
Die Bauarbeiten am Magdeburger City-Tunnel führen zu massiven Einschränkungen.© picture alliance / Klaus-Dietmar Gabbert
Und ein innerstädtischer Tunnel sei um ein Vielfaches komplexer als ein Projekt – wie der Gotthard-Tunnel beispielsweise – den man einfach durch einen Berg schlage, fügt Christian Fuß noch hinzu. Der Bauingenieur ist seit August Projektleiter des City-Tunnels. Sein Vorgänger hatte hingeschmissen.
"Das fängt an, dass es ein Kreuzungsprojekt ist: Wir haben oben den Bahnhof, zahlreiche Gleise, dann kreuzen sich die Verkehrsadern mit verschiedenen Verkehrsarten. Dass allein bedingt eine erhöhte Komplexität, die zu bearbeiten ist."

Konzept aus den 70er-Jahren?

Und für Magdeburg sei der Tunnel die beste aller Lösungen, so Bauingenieur Fuß weiter. Ihm entgegnet Stadtrat Jürgen Canehl, dass innerstädtische Tunnel ein Relikt aus den 60er- und 70er-Jahren seien, als man noch das Leitbild der autogerechten Stadt vertrat. Während man andernorts – wie in Berlin oder Dresden – innerstädtische Tunnel zuschütte, den Autoverkehr aus der Stadt dränge, werde in Magdeburg mit dem City-Tunnel genau das Gegenteil gemacht. Das sei ein städteplanerisches Roll-Back. Rückwärts-, nicht vorwärts gewandt. Canehl empfiehlt den Blick nach Maastricht oder Florenz:
"Da haben sie die Innenstadt relativ autofrei gemacht und kann mit Elektrobussen durch die Innenstadt fahren und kleine Stellen erschließen. Das sind Sachen, da könnte man viel mehr tun. Als hier der Beton-Mafia, wenn ich das mal so sagen darf, das Geld in den Rachen zu schmeißen, die ja ihre Kosten nicht einhalten."
Und: Im Fall der Kostenexplosion beim City-Tunnel Magdeburg habe es nie eine Wirtschaftlichkeitsberechnung gegeben, kritisiert Ralf Seibicke vom Bund der Steuerzahler in Sachsen-Anhalt. Es sei eindeutig, dass alles klein gerechnet wurde, während der Nutzen überdimensional hoch eingeschätzt wurde. Der Fall sei ein Beispiel "krasser Steuerverschwendung", wie es Finanzexperte Seibicke nennt. Hinzu komme, dass es versäumt wurde, finanziell gut ausgestattete Risikopuffer in die Planung mit einzubeziehen.

"Krasse Steuerverschwendung"

"Der darf nicht zu klein sein. Meiner Meinung nach, bei solchen Projekten zwischen 20 und 30 Prozent. Und man muss dann schon bei der Planung sagen, wenn der Risikopuffer gezogen wird, dann muss man die Stadträte zwingen, zu sagen, was wird dann gemacht, was bleibt auf der Strecke."
Zur Erinnerung: 140 Millionen Euro kostet der gut 300 Meter lange Tunnel, doch ein Ende der Kostensteigerungen sei nicht in Sicht, gesteht Baudezernent Dieter Scheidemann:
"… ich will jetzt nicht, um dem Bauunternehmen keinen Elfmeter zu geben, keine Zahlen nennen wollen."
Dirk Klocke runzelt die Stirn. Er ist der Inhaber eines 50er-Jahre Rockabilly Vintage Ladens, der von der Baustelle geradezu umzingelt ist.
Sein Vorschlag: Man hätte die komplette Ost-West-Magistrale untertunneln müssen. Die Magdeburger Innenstadt hätte man so in eine urbane kleinteilige Oase verwandeln können, mit Cafés, Restaurants und Läden. Denn noch immer versprühen Teile der City den Charme realsozialistischer Nachkriegszeit. Chance verpasst, sagt Einzelhändler Klocke, der dem Tunnel nichts abgewinnen kann.
"Was jetzt in Magdeburg passiert, ist zu großen Teilen auch dem Tunnel zuzuschreiben. Das jetzt Laden für Laden zumacht. Das wird für Magdeburg dramatisch werden."
Neben Dom, Kloster und Hundertwasserhaus, der City-Tunnel als neueste Stadtattraktion? Das sei doch ein Witz, sagt Dirk Klocke und grinst.
Projektleiter Christian Fuß kann mit derlei Schwarzmalereien nichts anfangen. Spätestens wenn der Magdeburger Tunnel fertig ist - auch mit Blick auf andere kostenexplosive Bauten wie die Hamburger Elbphilharmonie oder den Leipziger City- Tunnel – dann werde keiner fragen, was er am Ende gekostet habe.
"Man müsse doch mal gucken, was am Ende rauskommt. Das ist ein sehr zukunftsweisendes Produkt, wenn es dann fertig ist."
Aber auch daran scheiden sich die Geister. 2019 soll der Magdeburger City-Tunnel laut Planung fertig sein. Doch damit rechnet wohl keiner mehr. Denn auf ein genaues Eröffnungsdatum will sich derzeit keiner festlegen.