Babyboom in Uganda

Jugend ohne Zukunft

Uganda: Die Hälfte der Bevölkerung ist unter 16 Jahre alt.
Uganda: Die Hälfte der Bevölkerung ist unter 16 Jahre alt. © picture alliance / dpa / Lewis Whyld
Von Leonie March · 22.07.2015
Uganda hat eine der höchsten Geburtenraten Afrikas: Durchschnittlich sechs Kinder bekommt jede Frau. Viele wünschen sich weniger Nachwuchs, doch es fehlt an Aufklärung - und auch die ältere Generation macht Druck.
Juliet Namutosi kennt kein Tabu. Selbstbewusst steht die Krankenschwester in ihrem rosa Kittel vor zwei Dutzend jungen Frauen und redet über Sex und Verhütung, Syphilis und HIV. In einer Klinik am Rande von Kampala hantiert sie mit Kondomen und einer Schautafel der weiblichen Geschlechtsorgane.
Einige Frauen schauen beschämt auf ihre nackten Füße oder kichern verlegen, andere hören fasziniert zu. Denn über diese Themen spricht man in Uganda normalerweise höchstens im Flüsterton hinter vorgehaltener Hand, aber nicht in der Öffentlichkeit. Deswegen kursieren auch jede Menge Gerüchte, betont Juliet Namutosi.
"Viele, die hierher kommen, haben falsche Vorstellungen von Familienplanung und HIV. Einige denken, dass man unfruchtbar wird, wenn man verhütet. Vor allem wenn man jung ist und noch keine Kinder hat. Eltern befürchten auch, dass ihre Kinder über die Stränge schlagen, wenn sie wissen, wie man eine Schwangerschaft vermeidet. Andere glauben, man könne eine HIV-Infektion mit einheimischen Kräutern heilen. Und viele junge Leute meinen, Familienplanung sei nur etwas für die Älteren. Dabei haben die meisten schon sehr früh Sex und viele unterschiedliche Partner."
Kinder gelten noch immer als Reichtum, obwohl ein Großteil der Bevölkerung in Armut lebt. Gerade die ältere Generation propagiert das Ideal großer Familien, erzählt Grace Najjuma, während sie ihr Baby an die Brust legt.
25 Kinder hat ihr Vater mit acht verschiedenen Frauen. Polygamie ist in Uganda nichts Ungewöhnliches. Mädchen werden oft schon verheiratet, sobald sie ihre erste Periode bekommen. Doch die 20-Jährige stellt sich ihre eigene Zukunft anders vor. Sie ist seit anderthalb Jahren verheiratet und hat gerade ihr erstes Kind auf die Welt gebracht. Aufmerksam verfolgt sie die Aufklärungsstunde der Krankenschwester.
"Ich habe erfahren, dass man planen kann, ob und wann man wieder schwanger wird. Das sind wunderbare Nachrichten. Denn es ist einfacher, für eine kleine Familie zu sorgen. Das Leben in Uganda ist teuer geworden. Mit unserem Einkommen können wir uns zwei, höchstens drei Kinder leisten. Mein Vater hält das für Unsinn. Er sagt, diese Leute würden uns Flausen in den Kopf setzen. Ich würde mich wohl für etwas Besseres halten, nur weil ich zur Schule gegangen bin. Wenn es nach ihm ginge, würde ich ihm mindestens sechs Enkel schenken."
Viele Frauen kommen gegen die Tradition nicht an
Für die meisten Frauen ist es nicht leicht, sich gegen die Tradition und die patriarchalischen Familienstrukturen zu stemmen. Mindestens ebenso stark sei der Einfluss der Kirche, betont Herbert Mona von der Stiftung Weltbevölkerung in Uganda. Rund 85 Prozent der Ugander bekennen sich zum Christentum, die Hälfte von ihnen sind Katholiken.
"Man sollte die Macht der Religion in unserer Gesellschaft nicht unterschätzen. Sie ist sehr stark und tief verwurzelt. Es reicht also nicht, einfach mit den Leuten über Kondome zu reden. Die meisten werden gar nicht zuhören. Denn bisher wurde ihnen immer nur eingebläut, Verhütung sei falsch, sogar böse und gottlos. Wir suchen deshalb den Dialog mit den religiösen Anführern – dabei stehen wir noch ganz am Anfang eines langen Prozesses. Wir betonen, dass wir ihren Glauben respektieren, aber wir konfrontieren sie auch mit der Realität: Der hohen Anzahl von Teenagerschwangerschaften, von Abtreibungen, die häufig tödlich enden und von Jugendlichen, die Sex vor der Ehe haben, obwohl es der Doktrin der Kirche widerspricht."
Diese Realität ist in Ugandas Hauptstadt Kampalas unübersehbar. Junge Menschen bestimmen das Straßenbild, darunter viele Mädchen, die ihre Babys in bunten Tüchern auf dem Rücken tragen. Nur wenige machen einen Schulabschluss. Uganda ist eines der jüngsten Länder der Welt – der Altersdurchschnitt liegt gerade einmal bei 15 Jahren, die Hälfte der Bevölkerung ist unter 16. An einer belebten Kreuzung hängt ein Plakat, auf dem ein traditioneller Heiler für Fruchtbarkeits- und Potenzbehandlungen wirbt, ein anderer für angeblich sichere Abtreibungen.
Die Infrastruktur platzt angesichts des rapiden Bevölkerungswachstums aus allen Nähten. Auf den Straßen stehen Autos Stoßstange an Stoßstange, durch die engen Zwischenräume drängen sich die sogenannten Boda-Bodas – Motorrad-Taxis, mit denen viele junge Männer ihr Geld verdienen. Händlerinnen haben ihre windschiefen Stände bis an den Straßenrand gebaut; auf Tomaten, Süßkartoffeln und Kochbananen liegt eine dünne Schicht roten Staubs. Aus einer Kneipe wummern dumpfe Bässe; junge Männer mit rotunterlaufenen Augen lungern vor dem Eingang herum.
Lydia Nagudi geht an den Männern vorbei, ohne sie eines Blickes zu würdigen und ignoriert die anzüglichen Bemerkungen. Die schlanke 24-Jährige arbeitet ehrenamtlich als sogenannte Peer Educator – in einem Jugendzentrum klärt sie Teenager nicht nur über Verhütung auf, sondern auch über Möglichkeiten, etwas Geld zu verdienen.
"Wir sind hier in einem Slum der Stadt, einem Viertel mit vielen Problemen. Wenn die Leute hier zehn Kinder bekommen, dann können sie es sich natürlich nicht leisten, sie alle zur Schule zu schicken. Und selbst jene, die die Schule abschließen, stehen danach auf der Straße. Die hohe Arbeitslosigkeit ist ein großes Problem in Uganda. Wir versuchen ihnen deshalb ein paar Fertigkeiten beizubringen, zum Beispiel wie man mit dem Computer umgeht, oder wie man Schuhe oder Schmuck herstellt. Damit können wir wenigstens ein kleines Einkommen erwirtschaften."
Die Jugendarbeitslosigkeit in Uganda liegt bei 80 Prozent
Auf dem Hof des Jugendzentrums nickt Lydia Nagudi einer Gruppe Mädchen zu, die Leder für Sandalen zuschneiden und aus Altpapier Perlen für Halsketten formen. Schätzungen zufolge liegt die Jugendarbeitslosigkeit in Uganda bei 80 Prozent. Selbst mit einem Abschluss habe man kaum Chancen, einen guten Job zu bekommen.
"Einen Job in einem der großen Unternehmen bekommt man nur, wenn Eltern oder Verwandte dort arbeiten. Vetternwirtschaft ist verbreitet. Es spielt auch eine Rolle, welchem Volksstamm man angehört. Wenn die Eltern also keine Beziehungen haben, dann wird man nie den Job bekommen, für den man auch studiert hat. Ich zum Beispiel habe einen Bachelor in Sozialwissenschaften, aber werde in dem Bereich wahrscheinlich keine Arbeit finden."
Aber sie wolle nicht undankbar sein, fügt Lydia hinzu. Andere hätten gar keine Perspektive.
"Viele junge Mädchen prostituieren sich. Deshalb hat auch die Zahl der HIV-Infektionen wieder zugenommen. Die Mädchen brauchen Geld und denken, dass ihr Körper ihre einzige Einnahmequelle ist. Sie verkaufen sich, um zu überleben."
Nach der Dämmerung stehen in Kampala auch Minderjährige am Straßenrand. Ebenfalls verbreitet ist das Phänomen der Sugar-Daddys – ältere Männer, die Mädchen mit Geschenken gefügig machen. Am Ufer des Viktoriasees würden sich Frauen sogar für Fisch verkaufen, erzählt Bayigga Lulume. Der Oppositionspolitiker stammt selbst aus einem Fischerdorf.
"Sex gegen Fisch ist dort nicht ungewöhnlich. Die Leute sind dort so arm, dass sie nicht einmal etwas zu essen leisten können. Sie haben keine andere Möglichkeit, Geld zu verdienen. Das Wirtschaftswachstum unseres Landes geht gerade an der Landbevölkerung vollkommen vorbei. Stattdessen belohnt unser System eine regierungstreue Minderheit, die die besten Jobs unter sich aufteilt."
Seit fast drei Jahrzehnten regiert in Uganda Präsident Museveni. Zwar hat die Armut im Land seitdem abgenommen, die Kluft zwischen Arm und Reich ist jedoch größer geworden. Auch Korruption und Vetternwirtschaft nehmen zu. Bei den Wahlen im kommenden Jahr will Museveni erneut antreten – mit Hilfe einer Verfassungsänderung. Bayigga Lulume schüttelt empört den Kopf. Die alten Männer an der Macht verhinderten, dass das Land das Potenzial seiner jungen Bevölkerung ausschöpfen könne.
"Selbst südostasiatische Staaten, in denen früher rücksichtlose Diktatoren regiert haben, konnten ähnliche Probleme meistern. Und zwar, indem sie ihre bis dahin brachliegenden Arbeitskräfte genutzt haben. Sie haben ihre Landwirtschaft modernisiert und eine verarbeitende Industrie aufgebaut. Auch wir könnten unsere junge, energiegeladene Bevölkerung auf diesem Weg aus der Armut führen. Aber wir tun es nicht. Der einzige Erfolg dieser Regierung besteht darin, den Präsidenten an der Macht zu halten - koste es, was es wolle - anstatt die Produktivität der Bevölkerung zu steigern und Wohlstand zu schaffen."
Banken haben kein Interesse an Start-Ups
In einem der besseren Viertel Kampalas, zwischen schicken Hotels, Bürogebäuden und Einkaufszentren, sitzen zwei junge Männer in gut geschnittenen Anzügen in einem schattigen Café. Beide stammen aus der Mittelschicht, haben studiert und mit der Hilfe ihrer Familien gerade ein kleines Unternehmen gegründet. Schokolade aus einheimischen Kakaobohnen. Eine vielversprechende Geschäftsidee. Doch die Banken hätten kein Interesse Start-Ups mit einem Kredit unter die Arme zu greifen, erzählt Felix Okuye.
"Uns ist klar geworden, dass es in Uganda nicht an innovativen Ideen mangelt, sondern an Möglichkeiten, diese Innovationen auch zu finanzieren. Wenn wir diese Lücke schließen könnten, hätten all die arbeitslosen Universitätsabsolventen kein Problem, einen Job zu finden, oder sich selbstständig zu machen. Sie werden jahrelang ausgebildet, aber trotzdem traut man ihnen nicht zu, das Gelernte auch umzusetzen. Das ist doch furchtbar. Wir brauchen also einen Mentalitätswechsel. Investitionen in junge Unternehmen werden die Entwicklung unseres Landes vorantreiben. Es gibt noch viele Marktlücken. Neue Produkte oder Dienstleistungen werden von der Bevölkerung sicherlich gut aufgenommen."
Dazu allerdings brauchen die Bürger auch Kaufkraft. Noch jedoch leben zu viele von der Hand in den Mund. Daran wird sich wohl nichts ändern, solangeUgandas Bevölkerung weiterhin in diesem Tempo wächst. Wirtschaftsentwicklung, Gesundheitsversorgung, Bildungssystem hinken allesamt hinterher. Gut drei Viertel der Ugander sind von der Landwirtschaft abhängig, doch die Parzellen werden von Generation zu Generation kleiner. Das scheint mittlerweile auch Präsident Museveni klar zu sein. Es galt als Durchbruch, als er 2012 erstmals ankündigte, seine Regierung werde Programme zur Familienplanung unterstützen. Auch wenn der Löwenanteil von internationalen Gebern finanziert wird. Im letzten Jahr betonte Museveni sogar: Familienplanung sei gut für die Gesundheit von Müttern und Kindern sowie das Wohlergehen der gesamten Familie. Herbert Mona von der Stiftung Weltbevölkerung sieht einen Silberstreif am Horizont.
"Es gibt mittlerweile viele junge Frauen und Männer in den Städten, die einen allzu großen Kindersegen für kontraproduktiv halten. Sie haben verstanden, dass Kinder Arbeit und Geld kosten. Aber diese Debatte beschränkt sich momentan noch auf die gebildeten jungen Leute aus der Mittelschicht, also auf eine sehr überschaubare Gruppe. Die Mehrheit der Bevölkerung lebt auf dem Land. Dort haben sich die Mentalität und die Einstellung zur Familienplanung noch kaum geändert. Deshalb ist es wichtig, dass wir die Leute weiter aufklären und entsprechende Gesundheitsdienste unterstützen. Nur so können wir alle auf den gleichen Stand bringen."
Krankenschwester Juliet Namutosi wird also wohl noch lange Frauen über Verhütung, Aids und Familienplanung aufklären. Einen Mentalitätswandel könne man nicht über Nacht erwarten, sagt sie lächelnd. Für sie sind es die kleinen Erfolge, die zählen.
"Die Einstellung der Frauen verändert sich langsam. Natürlich sind Tradition und Religion noch einflussreich. Aber mittlerweile kommen selbst katholische Mütter zu uns, um sich die Pille verschreiben zu lassen. Das hat es früher nicht gegeben."
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