Autonomiebestrebungen in Katalonien

Warum es so schwierig ist, einen Staat zu gründen

June 11, 2017 - Barcelona, Catalonia, Spain - Demonstrators with their placards take part in a pro-independence act at Barcelona s Montjuic Fountains in support of the recently announced referendum over Catalonia s independence from Spain in form of a republic at October 1st Barcelona Spain
Barcelona im Juni 2017: Immer wieder fordern die Katalanen ihre Unabhängigkeit © imago stock&people/ Matthias Oesterle
Ralph Janik im Gespräch mit Christine Watty · 11.09.2017
In Katalonien wollen heute wieder Tausende für die Unabhängigkeit demonstrieren. Ralph Janik sieht dafür derzeit kaum Chancen. Jenseits der Widerstände aus Madrid ist eine Staatsgründung auch gar nicht so einfach, erklärt der Völkerrechtler.
Christine Watty: In Barcelona finden heute am Nationalfeiertag Kataloniens wieder Demonstrationen statt. Ihr Ziel: Die Unabhängigkeit der Region von Spanien. In drei Wochen gibt es dazu ein sogenanntes Unabhängigkeitsreferendum, dessen Umsetzung sich einigermaßen kompliziert gestaltet. Die spanische Zentralregierung hat genügend Druck gegen diese Abstimmung aufgebaut, sodass nun auch diverse Bürgermeister Kataloniens beschlossen haben, keine Räume zur Verfügung zu stellen. Sie haben Angst um ihren eigenen Posten. Allerdings, die Demonstrationen werden voraussichtlich wieder zeigen, es gibt den deutlichen Wunsch vieler nach einer Abspaltung. Nur, wie genau wird man eigentlich ein eigener Staat? Ralph Janik ist Politikwissenschaftler, lehrt an der Uni Wien, und mit ihm bin ich jetzt verbunden. Schönen guten Morgen, Herr Janik!
Ralph Janik: Guten Morgen!
Watty: So ein Motto, "Nur nicht aufgeben", mit vielen Ausrufezeichen, kann das auch den Katalanen helfen auf ihrem Weg in die Unabhängigkeit? Denn immerhin steht ja den aktuellen Plänen bis hin zum Referendum alles Mögliche noch entgegen, vor allem viel Widerstand.
Janik: Ja, Sie haben es eh schon gesagt, ziemlich viele Rufzeichen sind da notwendig, weil so etwas doch sehr lange dauern kann. Und vor allem bei den Katalanen stehen die Chancen ja bekanntlich sehr schlecht, was aber vor allem innenpolitische Gründe hat, was es verunmöglicht, man sagt es ist ein Verfassungsbruch, vielleicht sogar ziviler Ungehorsam, weil ja Staaten bestrebt sind, ihre territoriale Integrität zu wahren. Und im Moment sieht das nicht danach aus, dass das in absehbarer Zeit Erfolg haben könnte. Also die Betonung auf die Rufzeichen – das kann schon noch sehr lange dauern.
Watty: In der Charta der UN heißt es ja aber, alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Trotzdem kriegen eben nicht alle Völker und alle Regionen Autonomie, wenn sie danach streben. Woran liegt das?

Das Selbstbestimmungsrecht ist wie Dynamit

Janik: Das Selbstbestimmungsrecht, das hat damals auch der Außenminister von Woodraw Wilson schon nach dem Ersten Weltkrieg gesagt, das ist wie eine Packung Dynamit, das ist enorm geladen, weil unter dem jeder was anderes versteht. Und in der UN-Charta hat man sich auch und vor allem bezogen auf die ehemaligen Kolonien. Man hat gesagt, dass die kolonialisierten Völker das Recht haben sollen, einen eigenen Staat zu gründen. Heute sagt man, dass es eigentlich kein Recht mehr auf einen eigenen Staat, vor allem, weil man die Angst hat, dann hätte man vielleicht Hunderte, vielleicht Tausende Staaten. Was ist denn eigentlich ein Volk? Das weiß auch niemand so ganz genau. Das ist eigentlich so ein Hauptgrund, wieso das nicht immer ganz, wieso das nicht immer ganz gebilligt wird, weil man sagt, vor allem mit dem Ende der Kolonialzeit hat sich das erübrigt.
Watty: Und dann natürlich auch ein Problem, ein übliches Problem der Juristerei, das Sie schon ansprechen, was ist ein Staat, was ist ein Volk? Darin kann man so viel herumdeuteln, bis dann dieser schöne Satz auch gar nicht mehr so richtig viel Sinn macht. In der UN gibt es – ich hoffe, die Zahl stimmt – 193 Staaten plus minus. Das waren vor vielen Jahrzehnten deutlich weniger. Was braucht man denn aber dann zum Staatengründen außer dem unbedingten Willen und dann natürlich auch noch so einem bisschen Staatsvolk, das mit einem mitzieht, und offenbar ja auch irgendwie das Glück, in der richtigen Position zu sein, das mit der Autonomie doch hinzukriegen, wo es ja, wie Sie es schon angedeutet haben, einigermaßen kompliziert ist.
Janik: Ja, wenn man sich die Fälle ansieht: Entweder waren das Staaten, die zerfallen sind, weil man gesagt hat, das hat nicht mehr funktioniert, es hat nicht mehr geklappt. Jugoslawien in den 1990er-Jahren ist ein klassischer Fall. Da hat man relativ früh schon gesagt, dieser Staat ist in einem Auflösungsprozess. Was man noch braucht, wäre die Unabhängigkeit, also dass man jetzt sagt, gut, der Staat muss von einem anderen Staat jetzt (...) sein. Das ist ein Grund, warum man jetzt beispielsweise bei den, was Sie in dem Beitrag auch genannt haben, Lugansk und Donezk, wo man sagt, die sind ja jetzt nicht mal unabhängig von Russland, und insofern schon können die kein eigener Staat sein. Also die Unabhängig nach außen.

Ein Staat braucht das Gewaltmonopol

Dann die Unabhängigkeit nach innen, Stichwort Gewaltmonopol. Ein Staat, der nicht mal nach innen eine Zentralregierung hat beziehungsweise eine zentrale Verwaltung, die das Gewaltmonopol innehat, auch das kann kein Staat sein. Und das andere Kriterium, das Volk – da sind wir bei der Frage, die Sie eben schon angesprochen haben, was ist denn jetzt ein Volk, was ist nicht ein Volk, was gehört da dazu. Das weiß niemand so ganz genau.
Und dann ein einigermaßen festumrissenes Staatsgebiet. Es ist jetzt nicht so, dass man genau wissen muss, wo die Grenzen verlaufen, aber zumindest ein Kerngebiet braucht man auf jeden Fall, das nur von diesem Staat kontrolliert wird, nach innen und auch nach außen. Das wären so die Hauptelemente. Und dann natürlich die ganz strittige Frage der Anerkennung durch andere Staaten. Grundsätzlich braucht man die nicht, sagt man in der Theorie, aber in der Praxis bringt das einem ja nichts, wenn man faktisch als Staat besteht, aber von allen anderen ignoriert wird.
Watty: Gibt es irgendwelche Anforderungen an die Qualität des Staates, also wie der Staat aufgebaut ist, ob es zufälligerweise eine Diktatur werden soll oder die Verfassung nicht in Ordnung ist? Oder gibt es da gar keine Regularien, Bestimmungen?
Janik: Grundsätzlich, wenn man sich mal anschaut, wer da mitzieht bei den Vereinten Nationen, merkt man, dass das ziemlich egal ist.
Watty: Ja, stimmt, haben Sie auch wieder recht.
Janik: Aber man merkt schon, bei der Anerkennung, als Staat akzeptiert zu werden, dann hilft es einem gewiss, wenn man die Menschenrechte einhält, wenn man vielleicht demokratisch verfasst ist, vor allem ein Mehrparteienstaat ist und auch gewisse politische und auch sonstige Grundrechte wahrt. Also das hilft auf jeden Fall, wenn es um die Bereitschaft geht von anderen Staaten, Beziehungen mit einem aufzunehmen. Das ist vor allem dann entscheidend, wenn der Staat neu entsteht.

Druckmittel Demokratie und Menschenrechte

Bei bereits bestehenden Staaten, also wenn jetzt beispielsweise eine junge Demokratie die falsche Abbiegung nimmt und zu einer Diktatur sich auswächst, wird man nicht die Anerkennung, die einmal vorgenommen ist, aberkennen. Aber wenn man neu entsteht, dann können auch andere Staaten das als Druckmittel verwenden und sagen, wenn ihr anerkannt werden wollt, dann sollt ihr auch eine innere demokratische Verfasstheit haben oder ihr sollt die Grundrechte wahren, sonst werden wir euch nicht als Staat anerkennen. Also es spielt schon eine Rolle, wenn es um die Anerkennung geht, aber um als Staat zu gelten, ist es grundsätzlich egal.
Watty: Jetzt wissen wir alle, wie das geht mit dem Staatengründen – falls jemand heute Nachmittag noch ein bisschen Zeit hat, kann er an diesen Dingen schon rumplanen. Kurze Prognose noch für Katalonien. Am Anfang haben Sie schon gesagt, das wird noch sehr lange dauern. Glauben Sie, das klappt jemals, gesprochen für die Separatisten, die sich das ja schon eine Weile wünschen?
Janik: In absehbarer Zeit nicht. Wenn man sich die ansieht, die erfolgreichen Fälle von Sezessionen, das war eben, wie gesagt, dass überhaupt der ganze Staat zerfällt, oder, das ist das traurige historische Faktum, nach bewaffneten Konflikten, die teilweise auch sehr lang verlaufen sind, Stichwort wäre beispielsweise das Kosovo. Solange das nicht vorliegt – wenn die Zentralregierung sagt – es hängt alles von der Zentralregierung in Madrid ab, und die ist da nicht sehr positiv gestimmt, und deswegen kann das wirklich noch sehr lange dauern.
Watty: Dankeschön an den Völkerrechtler Ralph Janik über Autonomie oder nicht Autonomie oder das Bestreben von Völkern, eigene Staaten zu gründen. Heute finden in Barcelona die nächsten großen Demonstrationen für eine Unabhängigkeit Kataloniens statt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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