Aus den Feuilletons

Wann ist ein Land ein Drecksloch-Land?

Das Zentrum von Ikeja, einem Stadtteil von Lagos, Nigeria.
Straßenszene in Lagos. Der nigerianische Unterhaltungskünstler Chaz Chiazo Ogbu antwortet Donald Trump: "Ja, mein Nigeria ist ein Drecksloch". © picture alliance / dpa / Ahmed Jallanzo
Von Burkhard Müller-Ullrich · 14.01.2018
Ja, sein Nigeria sei ein "Drecksloch" verkündet der Unterhaltungskünstler Chaz Chiazo Ogbu. Im Feuilleton der "Welt" wird die Ansprache des Künstlers dokumentiert, der die Menschen dazu aufruft, sein "verdammtes Drecksloch-Land zu reparieren".
Wie ist das denn jetzt mit den Dreckslöchern dieser Welt, die der amerikanische Präsident Dreckslöcher genannt hat, worauf sich die Medienschaffenden fast nicht mehr einkriegten vor Entsetzen und nur noch stammelten: Er hat Dreckslöcher gesagt. Dabei meldet die New York Times gerade, jemand, der dabei war, habe gesagt, er habe es doch nicht so gesagt. Gemeint hat Trump jedenfalls Länder wie Nigeria, und nun kommt doch tatsächlich ein in den USA geborener, aus Nigeria stammender Unterhaltungskünstler daher und sagt:
"Ja, mein Nigeria ist ein Drecksloch."
Der Mann heißt Chaz Chiazo Ogbu und hat ein Video auf Facebook gestellt, in dem er eine starke Ansprache hält, welche die WELT dokumentiert.
Darin zählt er zunächst die Mißstände in Nigeria auf: Löhne werden nicht bezahlt, die Polizei ist korrupt, die Lebensmittel sind unerschwinglich teuer, der Strom fällt ständig aus, die Justiz wird manipuliert. Und er fährt fort:
"Wären unsere Länder keine Dreckslöcher, wären wir alle nicht in den USA oder in Großbritannien oder in Malysia oder Italien. Wir wären in unseren Ländern."
Und deshalb gibt der unter dem Namen MC Chaz auftretendende Autor und Performer seinem Publikum noch folgenden Rat:
"Die unter euch, die nie in Nigeria waren, die nicht die Lage in Nigeria kennen – ihr wißt nicht, wovon ihr redet. Wenn ihr euch verletzt fühlt: Vergeßt Facebook, vergeßt Instragram, vergeßt, was ihr im Ausland macht, das mag alles nützlich und sinnvoll sein, und fragt euch, was ihr tun könnt, um unser verdammtes Drecksloch-Land zu reparieren. Wenn ihr nichts tut, dann seid auch nicht beleidigt."

Gedenkmaschine auf Hochtouren

Das Jahr 2018 bringt die historische Gedenkmaschinerie in vielen europäischen Ländern auf Hochtouren. Auch in Polen steht ein rundes Jubiläum an: die Wiedergründung des polnischen Staats vor hundert Jahren. In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG führt der Historiker Stephan Lehnstaedt vor, wie man dieses ganze Jubiläum und die damit verbundenen Feierlichkeiten delegitimiert, ohne sich mit dem üblichen Geschrei über den aktuellen polnischen Nationalismus gemein zu machen. Die Überschrift sagt alles:
"Polens Patrioten inszenieren die Geschichte einer Selbstbefreiung, die es nicht gegeben hat."
Es ist immer gut, wenn deutsche Historiker polnische Geschichtsfälschungen entlarven, allerdings könnte man gleich alle nationalen Feiertage sämtlicher Länder, die etwas auf sich halten, auf diese Weise verächtlich machen – vom 14. Juli in Frankreich über den 1. August in der Schweiz bis zum 2. Juni in Italien: alles Selbstbefreiungen, die es nicht gegeben hat. Mit der polnischen Unabhängigkeit, schreibt Lehnstaedt in der FAZ, verhielt es sich nun so:
"Als deren Vater gilt Pilsudski, obwohl er, wie die anderen polnischen Staatsmänner, nicht viel dazu beitragen konnte. (…) Es waren einzig Niederlage und Zusammenbruch dreier Imperien, was Platz für Nationalstaaten machte."
Genauso könnte man formulieren: Helmut Kohl hat zur deutschen Wiedervereinigung nicht viel beigetragen. Es war einzig der Zusammenbruch des Sowjetimperiums, was hierfür Raum gab. Bloß: einen solchen Satz bekommt man in der FAZ nicht zu lesen.

Im Gefängnis wegen "antifaschistischer Umtriebe"

Um Erinnerungskultur geht es auch in einem Artikel der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG. Thomas Steinfeld hat nämlich das erste nationale jüdische Museum in Italien besucht, das erst kürzlich, Ende Dezember, eröffnet wurde, und zwar nicht in Rom, wie es ursprünglich geplant war, sondern im norditalienischen Ferrara. Dort wurde aber kein völlig neues Gebäude errichtet, sondern man hat das ehemalige Gefängnis umgebaut.
"Entstanden ist daraus ein Parcours aus kleinen, allenfalls mittelgroßen, aber hellen Sälen, die oft versetzt zueinander angelegt sind", berichtet Steinfeld. Und als Literaturkenner verweist er auf den Roman, mit dem der in Ferrara aufgewachsene und auf dem dortigen jüdischen Friedhof bestattete Schriftsteller Giorgio Bassani berühmt geworden ist: "Die Gärten der Finzi-Contini" – ein Roman über eine jüdische Ferrarenser Familie. Eben jener Bassani war 1943 in eben jenem Gefängnis inhaftiert gewesen – wegen antifaschistischer Umtriebe.
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