Aus den Feuilletons

"Wagners Gedichte sind geprägt von Blickwechseln"

Der Schriftsteller Jan Wagner
Jan Wagner erhält in diesem Jahr den Büchner-Preis © imago / STAR-MEDIA
Von Arno Orzessek  · 20.06.2017
Die Feuilletons loben die Entscheidung für Jan Wagner als diesjährigen Büchnerpreisträger. Einzig Paul Jandl in der NZZ moniert, Wagners Poesie ziele "selten auf einen größeren Horizont".
"Auf Du und Du mit dem Grottenolm."
Das ist, laut Berliner TAGESSPIEGEL, Jan Wagner, der in diesem Jahr den Büchner-Preis erhält.
Gregor Dotzauers Verbeugung vor Wagner beginnt mit der Erklärung, was es mit der Literatur überhaupt auf sich hat.
"Als sähe man die Welt zum ersten Mal. Vielleicht ist das der schönste Effekt gelingender Literatur – und das wichtigste Kriterium, um sie gegen die Bestätigungsnarkosen trivialeren Schreibens abzugrenzen. Auch das Epische und das Dramatische haben die Kraft, einem die Augen zu öffnen. Doch nur die Dichtung tut das mit jener Plötzlichkeit, in der Konstellationen und Dimensionen zu einem einleuchtenden Sekundenbild zusammenschießen, das mehr oder weniger sanft unter der Schädeldecke explodiert."
Leidenschaftlich: der TAGESSPIEGEL-Autor Dotzauer, dessen Lob der Dichtung in ein Loblied auf Wagner mündet.
In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG zitiert Andreas Platthaus aus Wagners Gedicht "Marder".
Darin heißt es über den Eindringling in einen Taubenschlag:
"Taube um Taube entkorkend
und saufend, ein gargantua,
derweil es ringsum flattert, flattert."
"Jan Wagners Faszination für die Natur – als Gegenmodell zur Kultur, aber auch als Natur des Menschen – prägt seine Dichtung. Und doch ist sie formvollendet, also denkbar unnatürlich, weil in den komplexesten Mustern gehalten, die unsere Sprache gestattet. Zugleich bricht Wagner so lustvoll aus dem Korsett unserer Erwartungen aus, wie sein Marder in den Taubenschlag ein."
Nur Paul Jandl findet in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG einen kleinen Kritikpunkt.
"Der Schriftsteller Wagner blickt dem Nashorn und der Amsel ins Auge, und was dabei auf jeden Fall zurückschaut, ist Poesie. Wagners Gedichte sind geprägt von Blickwechseln, vom Hinschauen, bei dem die Einzelheiten zum Besonderen werden. Das macht das Kleine groß, zielt aber selten auf einen größeren Horizont."

Die Welt ist nicht zu abstrakt fürs Theater

Damit genug davon. Nun:
"Drama, Baby!"
Unter dieser Überschrift verwehrt sich Moritz Rinke in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG gegen die Unterstellung, unsere Welt sei zu abstrakt, um sie mit den klassischen Methoden des Theaters fassen zu können.
"Was bitte heißt das denn? Dass sich Menschen in Konflikten nicht mehr persönlich gegenüberstehen, sondern nur noch auf globale Mächte treffen? Dass die Menschen nicht mehr wissen, was sie empfinden und begehren, hassen oder lieben, und dass sie deshalb nicht mehr wissen, wer sie sind? Aber warum? Wegen des Internets? Weil Menschen nur noch geborgte Identitäten sind oder sie irgendwas Globales verschluckt hat?"
Sie hören es selbst: Der SZ-Autor Rinke versteht die Welt nicht mehr, die nicht mehr versteht, dass sich das Theater sehr wohl darauf versteht, die Welt zu verstehen.

Einwandererkinder - radikale Antidemokraten?

Auf deutliche Worte versteht sich Dirk Schümer, der in der Tageszeitung DIE WELT der Frage nachgeht:
"Welcher Islam gehört zu uns?
Klar gesagt: Ein Islam, der selbstverständliche Bürgerrechte von Frauen und Schwulen, Juden und Atheisten ablehnt, gehört nicht zur deutschen und europäischen Zivilisation. Gleichzeitig aber haben bei Umfragen erschreckend viele – je nach Fragestellung ein Drittel bis die Hälfte – in Deutschland geborene Muslime angegeben, dass sie im Widerstreit staatlicher und religiöser Gebote dem Islam bedenkenlos den Vorzug geben. Noch niederschmetternder die Erkenntnis, dass die zweite Generation der hier Geborenen und Eingeschulten noch radikaler antidemokratisch und antilaizistisch denkt."
In Alarm-Stimmung: WELT-Autor Schümer.

Der Geld zu Bimbes machte

Derweil erinnert Ingo Arzt in der Rubrik "Kapitalozän" in der TAGESZEITUNG an Helmut Kohl selig.
"Kohls großes Vermächtnis ist, dass er Geld zu Bimbes machte. Erinnern Sie sich noch an diesen tiefen, weichen Sound, aus massigem Körper hervorgepresst, wie von einem gigantischen Laubfrosch? 'Bimbes'. Ich sah darin schon immer die eigentliche geistig-moralische Wende Kohls. Geld ist Bimbes, weil die Mächtigen dieser Welt munter damit um sich werfen, es gering schätzen und als formlose Masse sehen."
Tja, liebe Hörer. In Ermangelung einer pfiffigen Schluss-Überschrift sagen wir, wie immer in solchen Fällen: Tschüss!
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