Aus den Feuilletons

Quälverbot für den geniale Grantler?

Hanna Schygulla, Ulli Lommel, Love Is Colder Than Death (1969) Antiteater-X-Film (AKA German: Liebe ist kälter als der Tod) Hollywood CA USA PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY 33300_651THA Hanna Rubio Ulli Lommel Love IS Colder than Death 1969 X Film aka German Love is colder as the Death Hollywood Approx USA PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY 33300_651THA
Wurden sie auch gequält? Hanna Schygulla und Ulli Lommel in dem Fassbinder-Film "Liebe ist kälter als der Tod" © imago/Cinema Publishers Collection
Von Gregor Sander |
In der "FAZ" interviewt ein Künstler einen anderen Künstler zu der Frage, wie sich Rainer Werner Fassbinder in der #MeToo Debatte verhalten hätte. Die "Welt" widmet sich Michel Foucault, der 34 Jahre nach seinem Tod mit einem Buch für Furore sorgt.
"Kann ein moralisch schlechter Mensch nicht gleichzeitig auch ein großer Künstler sein?"
Diese derzeit beliebte Frage stellt Simon Strauß in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG dem zukünftigen Intendanten des Münchner Residenztheaters Andreas Beck, der darauf folgende Antwort hat:
"Umgekehrt wird ein Schuh draus: Nur, weil sich jemand mit großer Kunst und moralischen Texten beschäftigt, ist er nicht automatisch ein besserer Mensch. Man darf dem vermeintlichen Genie keine Carte blanche geben."
Listig führt Strauß dann einen begnadeten Rüpel ins Feld:
"Mit diesem Anspruch hätte Rainer Werner Fassbinder nicht arbeiten dürfen..."

Verständnis für den genialen Grantler

Und tatsächlich ist sich bei diesem Namen auch Beck nicht sicher: "Vielleicht. Das weiß ich nicht genau. Es kommt eben auch immer darauf an, ob sich ein Team freiwillig auf eine bestimmte Arbeitsatmosphäre einlässt, in der Grenzüberschreitungen toleriert werden."
Ein gewisses Verständnis für den genialen Grantler äußert auch Susan Vahabzadeh von der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG: "Fassbinder hat sein Team gern gequält, und vielleicht brauchte er das, um die Qualen seiner Figuren zu beschreiben."
Bei allen anderen ist sich die SZ-Autorin allerdings sicher: "Dass zur Freiheit, die das Genie braucht, um sich zu entfalten, keine strafbaren Handlungen gehören, versteht sich wohl von selbst, und dass irgendwann mal jemand damit durchgekommen ist, kann nicht der Maßstab für die Gegenwart sein oder gar für die Zukunft."

Was tun bei Quälverbot?

Und wer weiß, vielleicht wäre selbst Rainer Werner Fassbinder bei Quälverbot ja auch ein anderer Kreativkatalysator eingefallen? Für die Zukunft des Filmes glaubt Vahabzadeh, dass der Markt Vieles regeln wird:
"Wenn heute jemand einen Film macht, dessen weibliche Figuren oder Handlung weiblichen, manchmal auch männlichen Zuschauern nicht passt, wird er damit leben müssen, dass diese Zuschauer auf den Erwerb einer Kinokarte für seine Filme verzichten."
Kollegin Kia Vahland gibt in der SZ auch für die Kunst Entwarnung: "Die sich nach Geschlechtergerechtigkeit sehnenden Frauen und Männer wären dumm, sich ausgerechnet die alten Meister entgehen zu lassen."
Es gebe keine Gründe, Bilder aus den Museen zu entfernen, denn laut Vahland gilt: "Die besten Künstler stehen nicht automatisch auf Seiten der Starken. Im Gegenteil wagen viele es, diese immer wieder und besonders gerne im Sexuellen herauszufordern."
Und dann führt sie Beispiel auf Beispiel an, von denen wir dieses hier weitergeben: "So zeigt Tizian die Vergewaltigung der römischen Lukretia durch Tarquinius nicht als lustvollen Akt, und er verzichtet auch darauf, das weibliche Opfer zu heroisieren, wie das andere tun. Stattdessen sprechen Angst und Ohnmacht aus Lukretias Augen."
Manches Feuilletonthema wird dieser Tagen vielleicht auch etwas sehr zeitgeistig durch die Geschlechterbrille gelesen, etwa wenn die Tageszeitung DIE WELT in ihrem Aufmacher titelt: "MeToo, Monsieur Foucault!"

Sensation nach 34 Jahren

Tatsächlich ist das Erscheinen des vierten Bandes von "Sexualität und Wahrheit" des vor fast 34 Jahren gestorbenen französischen Philosophen eine Sensation. Aber das Buch mit dem Titel "Das Geständnis des Fleisches" lässt sich eben nicht so einfach auf die MeToo-Debatte anwenden, wie Martina Meister im Text dann auch feststellt. Interessanter ist die Publikationsgeschichte, denn eigentlich galt das Werk als unvollendete und
"Foucault hatte alle posthumen Veröffentlichungen verboten. Seinen langjährigen Lebensgefährten Daniel Defert hatte er ausdrücklich gebeten, er möge ihm bitte nicht 'den Max Brod machen'."
Aber was bei Kafka nicht funktionierte, ging auch bei Foucault daneben: "Entscheidend ist, dass Foucaults Lebensgefährte die Archive des Philosophen, nachdem sie zum Nationalschatz erklärt worden waren, um einen Verkauf ins Ausland zu verhindern, 2012 an die französische Nationalbibliothek verkauft hatte."
Für immerhin 3,8 Millionen Euro. Da kann man, im Dienste der Kunst, ja schon mal schwach werden.
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