Aus den Feuilletons

Lob für politische Party gegen die AfD

Berlin: Demonstranten protestieren auf dem Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor gegen eine Demonstration der AfD.
Strohfeuer oder langer Atem? Protest gegen AfD Demonstration © dpa/picture alliance/ Britta Pedersen
Von Arno Orzessek · 28.05.2018
Die "Welt" feiert den Techno und die Demos gegen den AfD-Aufzug für ihr politisches Engagement. Auch die "Taz" zeigt sich begeistert - ist sich aber noch nicht sicher, ob der vielfältige Protest nur ein Strohfeuer war oder ob die Demonstranten einen langen Atem zeigen.
"Wir sind Bass", titelt die Tageszeitung DIE WELT. Und umkleidet diese Behauptung mit bunten Fotos von den Gegendemonstrationen, die am Sonntag in Berlin mehr Zuspruch gefunden haben als die zeitgleiche AfD-Demonstration.
Die WELT-Autorin Laura Aha erklärt in einem popgeschichtlichen Abriss, "Warum Deutschland wieder mehr Techno braucht" – und erteilt den grellen Anti-AfD-Demos ein dickes Lob.

"Politischer als der schwarze Block"

"Wer den feiernden Demonstranten vorwerfen will, sie seien ja nur wegen des guten Wetters und der Party da gewesen statt politischer Beweggründe, der hat den Kern der Gegendemo offensichtlich nicht erfasst: Diese Party war vielleicht politischer als jede Demo des sogenannten Schwarzen Blocks. Weil sich hinter den wummernden Bässen eine Menge vergemeinschaftet hat, die in ihren Lebensentwürfen, politischen Positionen und Beweggründen vielfältiger kaum sein könnte. Weil dadurch ein idealistischer Gegenentwurf von Gesellschaft zumindest für ein paar Stunden mögliche Realität wurde."
So Laura Aha in der WELT. In der TAGESZEITUNG wählt Doris Akrap kleinere Vokabeln: "Ich sah beim Wegbassen viel Hübsches, zum Beispiel jemanden, der seine Waden mit 'No AfD' tätowiert hatte und mit nichts außer einer pinken Unterhose bekleidet war. So weit, so geil, so warum nicht!"

Nur ein Strohfeuer oder bleiben die Proteste?

Allerding ist sich die TAZ-Autorin Akrap nicht sicher, ob die Gegendemonstranten vom Sonntag – deren Schlachtruf und zugleich Hashtag "Ganz Berlin hasst die AfD" lautete – auch mittelfristig bei der Sache bleiben. "Ich bin gespannt, ob Berlin auch so laut und dolle glitzert und wummert, wenn die Ankerzentren eingeführt und die Grundlagen für schnellere Abschiebungen geschaffen werden. Erst dann und wenn der Hashtag #ganzberlinistgegenankerzentren lautet, bin ich beruhigt."
Lassen wir damit die bunten Anti-AfD-Demos, kümmern wir uns um Gedichte. "Schlecht schreiben? Diss can yedir" – 'diss' mit Doppel-S, 'can' wie englisch can, 'yedir' vorne wie Yeti und hinten wie dir – lautet eine Überschrift in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG. Die einem Gedicht von Jorge Kanese entnommen ist.

Gesunde Skepsis gegen Schönsprech

Kanese, so erläutert der SZ-Autor Tobias Lehmkuhl in seiner Besprechung des 19. Internationalen Poetik-Festivals in Berlin, ist "ein Dichter aus Paraguay, der unter der Stroessner-Dikatur im Gefängnis saß, gefoltert wurde, als Professor für Mikrobiologie arbeitet und wohl auch gerade aus seiner politischen Erfahrung heraus eine gesunde Skepsis gegenüber der Sprache besitzt, gegenüber jedem Schönsprech. So amalgamiert Kanese Spanisch, Portugiesisch und Guarani zu einem Sprachbrei, der scheinbar einer Ästhetik des Hässlichen folgt, durch seinen Witz und seine Offenheit aber von großer Sogkraft ist."
Wenn Sie nun einwenden, liebe Hörer, die Kanese-Worte "diss can yedir" seien aber weder schlechtes Spanisch noch schlechtes Portugiesisch, sondern schlechtes Deutsch, dann sagen wir: Sehr aufmerksam! Tatsächlich betont der SZ-Autor Lehmkuhl, "dass das Poesiefestival eigentlich ein Übersetzungsfestival ist, ein Festival, bei dem den Übersetzern eine ähnlich wichtige Rolle zukommt wie den Dichtern selbst."

Nur für Eingeweihte

Um bis zuletzt Berlin nicht zu verlassen: Eben dort haben, wie es in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG heißt, "führende Köpfe der Kritischen Theorie" über Emanzipation gesprochen. Dabei aber, wie die FAZ-Autorin Hannah Bethke betont, an vielen vorbeigeredet.
"Vor allem aber demonstrierte die Konferenz den nie aufzulösenden Grundwiderspruch der Kritischen Theorie: Sie bedient sich – im Namen der Gleichheit wohlgemerkt – einer Sprache, die ausschließt, weil sie ein so hohes Abstraktionsvermögen voraussetzt, dass nur Eingeweihte sie verstehen können. 'Das ist so ungerecht, die lesen einfach ihre total komplizierten Texte ab, die sich gar nicht für einen mündlichen Vortrag eignen, und wir sollen das alle durch bloßes Zuhören verstehen', sagte eine Studentin. Die Unterdrückten, in deren Namen die Kritische Theorie zu sprechen glaubt, haben mit deren Dialektik in Wahrheit überhaupt nichts am Hut."
Hannah Bethke in der FAZ. Unser letzten Wort versteht gewiss jeder: Tschüss!
Mehr zum Thema