Aus den Feuilletons

"In Deutschland muss niemand hungern"

Kunden der Essener Tafel stehen mit ihren Einkaufstrolleys vor der Ausgabestelle.
Kunden der Essener Tafel stehen mit ihren Einkaufstrolleys vor der Ausgabestelle. © picture alliance / Roland Weihrauch/dpa
Von Arno Orzessek · 27.02.2018
Die "Welt" gerät über die Kritik am deutschen Sozialstaat anlässlich des Aufnahme-Stopps für Migranten bei der Essener Tafel in Rage - und hält fest, in Deutschland müsse niemand hungern. Die "Süddeutsche Zeitung" ist besser gestimmt und lobt mit Macron die europäische Vielsprachigkeit.
"In Deutschland muss niemand hungern. Wer anderes behauptet, ist entweder unkundig oder bösartig", schmettert in der Tageszeitung DIE WELT der Theologe und Philosoph Richard Schröder…
... und gerät über seinen eigenen Gedanken komplett in Rage:
"Wer den deutschen Sozialstaat durch solche Schwarzmalerei kritisiert, sollte Folgendes bedenken: Die Verachtung des bestehenden Guten führt schnell auf die schiefe Ebene, die den Himmel auf Erden verspricht und die Hölle auf Erden installiert. Ich denke dabei an Hitler, Stalin, Mao und Pol Pot. Die Aufzählung ist nicht vollständig."
Junge, Junge, Richard Schröder!... sagen wir.
Ihr Anliegen in der WELT ist doch eigentlich, die teils dümmliche und inkompetente Kritik an der Essener Tafel wegen des Aufnahme-Stopps für Migranten zurückzuweisen.

Ruckzuck zu Hitler und Pol Pot

Dass Sie darüber ruckzuck auf Hitler und Pol Pot kommen, erscheint uns als ziemlich übler intellektueller Ausraster.
Aber sei’s drum. Wir wechseln die geistige Sphäre und kümmern uns mit der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG um Emmanuel Macrons Lobgesang auf die europäische Vielsprachigkeit.
"'Diese europäische Differenziertheit ist gerade die Fähigkeit, die verschiedenen Aspekte Europas zu denken, ohne die Europa niemals ganz es selbst ist', verlautbarte der französische Präsident im vergangenen September…"
Und wenn Sie, liebe Hörer, jetzt denken 'Hey, das könnte auch ein Zitat von Wilhelm von Humboldt sein', dann liegen Sie ganz auf der Linie des SZ-Autors und Sprachwissenschaftler Jürgen Trabant…
Der genau das macht: Macrons Denken über Sprache in eine Humboldtsche Tradition zu rücken.
"Macron spricht vom 'intraduisible', vom Unübersetzbaren der verschiedenen Sprachen, das man ertragen müsse. Das 'intraduisible' ist ein Anlass zum Weiterdenken und Weitersprechen. 'Wie könnte je ein Wort, dessen Bedeutung nicht unmittelbar durch die Sinne gegeben ist, vollkommen einem anderen Wort in einer anderen Sprache gleich seyn?', fragt Humboldt […]. Das Wort ist unübersetzbar, aber gerade deswegen, so Humboldt, muss übersetzt werden, nämlich um den eigenen Geist zu bereichern […]. Macron erkennt im 'Unübersetzbaren' die Chance, in eine Bemühung um das Verstehen einzutreten, das den europäischen Geist lebendig hält."
So der SZ-Autor Jürgen Trabant.

Hält das Unübersetzbare den europäischen Geist lebendig?

Wir teilen seine Humboldt- und Macron-Begeisterung in puncto Vielsprachigkeit, haben allerdings leise Zweifel daran, dass ausgerechnet das Unübersetzbare den europäischen Geist lebendig erhält.
Da wir gerade bei der Sprache sind: Unter der sinnigen Überschrift "Wenn das Genus mit dem Sexus" stöhnt der Linguist Peter Eisenberg in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG:
"Wann begreifen die Leute endlich, dass das grammatikalische Geschlecht mit dem biologischen nichts zu tun hat?"
Nun, lieber Peter Eisenberg: Einige Leute werden es nie begreifen, weil sie es halt partout anders sehen. Sie schreiben ja selbst:
"Der Kampf gegen das generische Maskulinum [wurde] zum sprachlichen Hauptanliegen der Genderbewegung. Das beginnt mit der Rede von ‚männlichen Wörtern‘ statt von Maskulina und bedient sich der Formulierung, Frauen seien im generischen Maskulinum allenfalls ‚mitgemeint‘. Nein, Frauen sind nicht mitgemeint, sondern als Gruppe gar nicht gemeint, ebenso wie Männer gar nicht gemeint sind. Wer das generische Maskulinum verwendet, ist vom Bezug auf ein natürliches Geschlecht befreit."
Sie ahnen es, liebe Hörer: Eben deshalb sprechen wir Sie in unserer Presseschau nicht als Hörer und HörerInnen an.
Im übrigen empfehlen wir zum Gender-Thema auch den Artikel "Nimm dies, du Feminist!" in der WELT.
Leonie Bartsch lästert darin über Leute, denen das kleine Schwarze, das Jennifer Lawrence in dem Film "Red Sparrow" trägt, bestens ins "Tribunalprogramm der Sexismusdebatte" passt.
Aber lesen Sie selbst! Wir sind uns sicher: Der Kampf um diese Dinge geht weiter…
Ganz im Sinne der Überschrift in der TAGESZEITUNG: "Nichts ist erledigt."
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