Aus den Feuilletons

Autografen unterm Hammer

Beethoven-Statue
Beethoven-Statue © picture alliance / dpa / Oliver Berg
Von Tobias Wenzel · 26.03.2016
50.000 Euro müsste ein Autografensammler laut der "ZEIT" für einen Schmierzettel Beethovens hinblättern. Darauf erwartet dieser für den 5. April "das Unglück", vermutlich in Gestalt seines Neffen Karl.
Falls Sie, liebe Hörer, gerade zufällig 50.000 Euro zu viel haben sollten, dann könnten Sie das Geld in einen Schmierzettel investieren. 50.000 Euro ist nämlich der geschätzte Wert für ein Blatt mit allerlei Gekritzel von Ludwig van Beethoven.

Beethoven, der Messie

Darüber und über andere in einer Auktion angebotenen Autografen berichtete Stefan Weixler in der ZEIT. "[A]m Mittwoch den 5ten April das Unglück", schrieb Beethoven unter anderem auf das Stück Papier. Mit dem "Unglück" meinte er, vermutete Weixler, seinen Neffen Karl, für den Beethoven das Sorgerecht hatte. "6 Krüge Selterswasser im Keller" ist eine andere Notiz auf dem Schmierzettel. Klingt nach Ordnung. A
ber Beethoven war wohl eher so etwas wie ein Messie. Stefan Weixler zitierte Carl Maria von Webers Bericht über dessen Besuch bei Beethoven: "Grösste Unordnung, Musik, Geld, Kleidungsstücke auf dem Fussboden, auf dem unsauberen Bette Wäsche gehäuft, der offenstehende Flügel mit dickem Staube bedeckt, zerbrochenes Kaffeegeschirr auf dem Tische."

Brüssel nach den Anschlägen: gespenstisch leer

Wieviel lieber wäre wohl Katja Petrowskaja der Blick in Beethovens Messiebehausung gewesen als der Blick in das gespenstisch leere und stille Brüssel, fünf Stunden nach den Anschlägen. Die ukrainisch-deutsche Autorin war eigentlich in Brüssel, um einen Essay über die Stadt zu schreiben, schildert nun aber in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG, wie sie Brüssel nach den islamistischen Anschlägen erlebt hat:
"Ich musste mich strecken, um in alle Richtungen aus dem Fenster zu schauen, ich wollte sichergehen, dass die Welt noch besteht. Aber ja, am Place du Vieux Marché aux Grains rodeten Straßenarbeiter Bäume. Es war der Anfang des europäischen Frühlings, vielleicht. Die schönen zarten Äste fielen zu Boden, entblößte Bäume erhoben ihre Fäuste Richtung Himmel. Vielleicht war es wegen Schlingensief, dass es mir vorkam wie das Ende der Zeiten: Stille, und an ihrer Peripherie eine sich mir nähernde Säge."

Twitter-Hysterie der Journalisten

Hoffentlich liest Anne Fromm ihre Kollegin Katja Petrowskaja. Fromm zeigte sich nämlich in der TAZ entsetzt darüber, wie einige Journalisten, darunter auch von der eigenen Zeitung, über die Anschläge in Brüssel berichteten: "Nach jeder Katastrophe, nach jedem Terroranschlag das Gleiche: eindeutige Opferfotos, die nicht in die Öffentlichkeit gehören, Livetickerwahnsinn, Twitter-Hysterie, Infos, die nicht mehr als Gerüchte sind. Es knallt, und einige Medien scheinen komplett den Anstand zu verlieren, schmeißen Pressekodex und journalistische Ethik über Bord."

Zypressen gegen den "Islamischen Staat"

Gerhard Matzig nahm in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG die Ereignisse in Brüssel zum Anlass, um über ein "Bauen gegen den Terror" nachzudenken. Das war keine Metapher, sondern ganz eigentlich gemeint. "Geschossartige Glassplitter, herumfliegende Leichtbauteile, Deckenverkleidungen oder lose Einrichtungsgegenstände erweisen sich immer wieder als typische Schwachstellen.
Menschen werden meist nicht unmittelbar durch den Sprengstoff, sondern durch deformierte Bauteile gefährdet", schrieb Matzig und betonte, man könne zum Beispiel mit bruchsicherem Glas bauen. Oder aber auf die Natur zurückgreifen: "Untersucht wurde bereits die Wirkung von Zypressen vor Häusern. Ergebnis: kräftiger Stamm, schuppenartige Blätter – bestens dazu geeignet, die kinetische Energie einer Explosion zumindest abzuschwächen."
Zypressen pflanzen gegen den Islamischen Staat. Der müsste dann allerdings so zuvorkommend sein, nicht mehr in Paris und Brüssel, sondern weiter südlicher Anschläge zu verüben, also dort, wo Zypressen heimisch sind.

Hoffnung für den Dialog der Religionen

Die Osterfeierlaune vieler Christen dürfte mit Blick auf Brüssel jedenfalls wohl getrübt sein. Lucas Wiegelmann macht ihnen aber in der WELT AM SONNTAG wieder Mut. Er berichtet über ein deutsches Forschungsprojekt, an dem Katholiken und Muslime beteiligt sind. Die Forscher, darunter Klaus von Stosch von der Universität Paderborn, untersuchen noch bis 2018, was der Koran "wirklich über Jesus" sagt. Sie glauben, so Wiegelmann, dass ihre Ergebnisse "in Deutschland die Zukunft des gesellschaftlichen Friedens" positiv beeinflussen könnten. In 108 Versen des Korans werde Jesus erwähnt.
Die Exegeten liefern nun zu einigen Stellen überraschende Neuinterpretationen. Demnach bezweifle der Koran entgegen einer üblichen Deutung nicht, dass Jesus am Kreuz starb. Außerdem werde, so Wiegelmann über die noch inoffiziellen Forschungszwischenergebnisse, Jesus im Koran "mit Ehrentiteln geradezu überschüttet". Der Koran grenze sich zwar vom Christentum ab, aber er bezeichne Christen nicht als Ungläubige.

Goethe-Brief: Fast ein "Schnäppchen"

Es gibt also, jedenfalls exegetisch betrachtet, noch Hoffnung, dass Muslime und Christen langfristig friedlich und respektvoll miteinander umgehen. Und vielleicht auch höflich. Gut, man muss ja nicht gleich derart höflich sein wie Johann Wolfgang von Goethe.
Der habe, so Stefan Weixler in seinem ZEIT-Artikel über eine Autografenauktion, 1827 der Mutter seiner Schwiegertochter in ihrer Funktion als Hofdame in einem Brief folgendes geschrieben: "Mögen Sie bey Ihro Königlichen Hoheit der Frau Großherzogin mich geziemend entschuldigen wenn ich Morgen nicht aufwarte und können Sie deshalb mir gnädigste Verzeihung erlangen."
So viel Fingerspitzengefühl aus Goethes Feder hat ihren Preis: 12.000 Euro ist der Schätzwert des Briefs. Das ist, verglichen mit dem Schmierzettel von Ludwig van Beethoven für 50.000 Euro, geradezu ein Schnäppchen.