"Aufnahme finden alle anständigen Burschen und Mädel"

Von Hartmut Goege · 01.06.2012
Der Begriff Jugendherberge lässt an Schlafsäle, Gemeinschaftswaschräume und karge Großküchenkost denken. Tatsächlich sind die meisten Herbergen heute moderne Servicebetriebe mit einem vielfältigen Freizeitangebot. Von Hotelkomfort konnten Jugendliche in den frühesten Einrichtungen dagegen nur träumen.
"Da überraschte sie ein fürchterliches Unwetter. Und sie sahen in der Ferne einen Bauernhof, liefen dorthin, hätten gerne dort übernachtet, aber dieser Bauer hatte schlechte Erfahrungen gemacht und wies sie ab."

In seiner Not führte der Reformpädagoge Richard Schirrmann die Gruppe von Jungen, mit der er gerade mal wieder auf Wanderschaft war, in den Klassenraum einer Schule. In der Gewitternacht kam ihm dann eine zündende Idee:

"Anfangs waren es ja nur Halbtagswanderungen und abends waren wir zu Hause. Und dann blieb ich bei dem Heuboden, wo sich eben Unterschlupf finden ließ. Und dann kam ich dann bei einer gelegentlichen Übernachtung, wo ich wirklich nicht wohin wusste mit meinen Jungen, auf den Gedanken: In den Ferien stehen alle Schulen leer, und da kann man Strohlager ausbreiten und kann auf diese Weise ein zusammenhängendes Netz für die gesamte deutsche Jugend machen. Und da habe ich schon 1907 in meiner Schule in der Nette ein erstes Strohlager in dieser einfachsten Weise hergerichtet."

In der fortschreitenden Industrialisierung des beginnenden 20. Jahrhunderts gewann das Wandern als Teil der Vorstellung von Freiheit und Naturverbundenheit immer mehr Anhänger.

Schirrmanns Plan vom Netz kostengünstiger Schul-Unterkünfte für Jugendliche fiel auf fruchtbaren Boden. Seine Idee, in jedem wichtigen Ort - und nur einen Tagesmarsch voneinander entfernt - Herbergen für Schülergruppen einzurichten, fand auch Anklang bei Wandervereinen und Jugendbewegungen. 1909 wurde der Deutsche Jugendherbergsverband auf seine Initiative hin gegründet. Broschüren warben für die Idee:

"Das Fußwandern ist ein Gesundbrunnen für Jung und Alt und muß Volkssitte werden. Dafür bauen wir Jugendherbergen."

Gab es 1907 insgesamt 15 provisorische Herbergen in Schulen und Turnhallen mit gerade mal 45 Betten, standen 1912 schon 174 solcher Übernachtungsmöglichkeiten zur Verfügung. Die Stadt Altena, die gerade ihre 800 Jahre alte Burg wieder aufbaute, beschloss nun, in einem Teil der Räume eine feste Jugendherberge einzurichten. Am 1. Juni 1912 übernahm Richard Schirrmann als erster Herbergsvater die Leitung dieser weltweit einmaligen Institution. Sein Motto:

"Aufnahme finden alle anständigen Burschen und Mädel ohne Unterschied der Schulbildung, des Herkommens und der Konfession, die unter Leitung eines älteren, verantwortlichen Führers wandern."

Statt Strohballen gab es nun 15 Betten samt Matratzen, Wolldecken und auswechselbarer Bettwäsche. Schon 1914 wurde die Jugendherberge vergrößert. Drei Räume konnten nun 48 Schlafstätten anbieten, inklusive Gemeinschaftsraum und Küche.

"Die quietscht heute noch, unsere Pumpe . Da wurde das Geschirr abgewaschen. Eine Spülmaschine gab es natürlich nicht. Da hinten, da ist der Mädelsschlafraum.."

Bei Bedarf wurden Jungen und Mädchen per Vorhang getrennt. Im Altener Kreisblatt war zu lesen:

"Nach Besichtigung der Herbergsräume, die durch reiche Spenden in vorbildlicher Weise ausgestattet werden konnten, soll Volksliedsang am lohenden Kaminfeuer den Gästen ein schlichtes Bild vom heutigen Jugendwandern geben."

Die Übernachtungsidee zum Spartarif fand immer mehr Anhänger auch über die deutschen Grenzen hinweg. Als sich 1932 Europas Herbergsväter zur Gründung eines internationalen Verbandes in Amsterdam trafen, besaß allein Deutschland 2000 Jugendherbergen von 2600 weltweit. Während der Nazizeit wurden alle Einrichtungen und Jugendverbände gleichgeschaltet und von der Hitlerjugend besetzt. Nach dem Krieg erlebten die Jugendherbergen eine Renaissance. Vor allem preiswert sollten sie sein. Viele Ältere von heute erinnern sich vor allem an das Spartanische.

"Zehn bis zwölf Personen in einem Zimmer."

"Ein bisschen fleckige Matratzen, Gemeinschaftsräume, Großküchen, selber ausfegen."

Mittlerweile sind fast alle Jugendherbergen, so wie Burg Altena, moderne Servicebetriebe.
Und immer häufiger machen ganze Familien hier Urlaub. Für viele Besucher aber, ob jung oder alt, ist vor allem das Gemeinschaftsgefühl ausschlaggebend.

"Weil ich Gemeinschaft liebe."

"Dass man hier auch zusammen schlafen kann."

"Dass man nicht nur in einzelnen Zimmern ist, das finde ich schön."

Burg Altena mit ihren 55 Betten und angeschlossenem Museum ist für die Region ein wichtiger Anziehungspunkt für Touristen geworden. Sie ist eine von noch rund 500 Jugendherbergen in ganz Deutschland. Weltweit hat sich die Idee Richard Schirrmanns in über 80 Ländern verbreitet.
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