Auf Geheiß Mussolinis

Von Bernd Ulrich · 28.10.2007
Der von Benito Mussolini angeordnete "Marsch auf Rom" bildete nur einen eher symbolischen Faktor bei der faschistischen Machtergreifung in Italien. Sie konnte nur gelingen, weil das parlamentarische System in eine tiefe Krise gestürzt war.
"Die Faschisten haben durch einen Staatsstreich die Gewalt an sich gerissen in Italien. Wenn sie sie behalten, so ist das ein geschichtliches Ereignis, das nicht bloß für Italien, sondern auch für ganz Europa unabsehbare Folgen haben kann."

Was Harry Graf Kessler in seinem Tagebuch als Staatsstreich charakterisierte, ist am 28. Oktober 1922 als "Marsch auf Rom" in die Geschichte eingegangen. Geplant und organisiert durch den Führer der Faschisten, den einstigen radikalen Sozialisten Benito Mussolini, sollte der Marsch dem liberaldemokratischen "System" den letzten, entscheidenden Schlag versetzen.

"Man hat uns gefragt, was wir wollen. Sehr einfach: Italien regieren!"

Auf diese schlagkräftige Formel hatte Mussolini schon einen Monat vor dem "Marsch auf Rom", am 20. September 1922 in Udine, das Ziel der Faschisten gebracht. Die Bedingungen dafür waren mehr als gut. Vier Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, zu dessen Siegern Italien gehört hatte, glich die soziale und wirtschaftliche Lage des Landes eher der eines Verlierers. Das berühmte, von dem Dichter Gabriele D'Annunzio geprägte Wort vom "vittoria mutilata", vom "verstümmelten Sieg", beherrschte parteiübergreifend das Denken und Fühlen.

Die an sich starke Linke in Italien vermochte die darin liegende Chance zur Macht nicht zu nutzen. In den Städten kümmerte sie sich kaum um die Belange der zahlreichen Kriegsveteranen, auf dem Land verprellte sie die Kleinbauern und Pächter mit ihren Enteignungsplänen - ganz zu schweigen von den Großgrund- und Fabrikbesitzern. Die hielten verzweifelt nach einer Gegenmacht Ausschau und fanden sie schließlich im Verlaufe des Jahres 1920 in den Faschisten. Politisch bis dahin völlig erfolglos, erhielten sie nun massive finanzielle Zuwendungen und konnten sich darüber hinaus der passiven Unterstützung durch die kommunalen Verwaltungen sicher sein. Derart gestärkt entfachten ihre Kampfbünde, die Fasci di Combattimento, auf dem Land ein wahres Schreckensregiment. Und, so der Historiker Ernst Nolte in seinem frühen Werk "Der Faschismus in seiner Epoche":

"Die Regierung lässt es zu, dass eine bewaffnete Parteiarmee das Land erobert und terrorisiert. Sie verhindert nicht nur diese Aktionen nicht, sondern legalisiert sie meist noch nachträglich."

Die Komplizenschaft der entschlusslosen Staatsmacht und die zersplitterte, kaum sich zur Gegenwehr aufraffende Arbeiterbewegung - dies erleichterte die von Mussolini geplante faschistische Machtergreifung, die nun mehr und mehr Gestalt annahm. Überdies war Mussolini im Verlaufe des Jahres 1922 mit nahezu allen politisch Verantwortlichen in Verhandlungen getreten und hatte sich dabei wie ein politisches Chamäleon etwa gegenüber den Liberalen als Liberaler und gegenüber dem König als Monarchist gegeben. Doch jene, die ihn durch eine lockende Regierungsbeteiligung zu neutralisieren versuchten, täuschten sich: Einmal im Besitz der Macht, gab Mussolini sie nicht mehr her.

Der "Marsch auf Rom" war im Kalkül Mussolinis nur ein Faktor unter vielen und nicht einmal der wichtigste. Er sollte eher als Drohkulisse gegenüber dem liberalen Italien dienen, und zugleich eine Art Ventil für auf Aktionen drängende Kampfbünde sein. Das hat nicht verhindert, dass der "Marsch" alsbald zum propagandistisch aufgeblasenen Gründungsmythos des faschistischen Italiens wurde. Dabei fand er bei Lichte besehen eigentlich gar nicht statt. Der Zeithistoriker Hans Woller fasste es so zusammen:

"Alles in allem bestand die militärische Bedrohung am Morgen des 28. Oktober gerade aus 5000 Kämpfern, die noch dazu ein Bild des Jammers boten: schlecht ausgerüstet, frustriert, und von einem Dauerregen zermürbt, der alles in Schlamm und Sumpf verwandelte. So blieb der Marsch Dutzende von Kilometern vor der Hauptstadt im Schlamm stecken und wurde dann ganz abgeblasen."

Doch durfte die Parteiarmee Mussolinis am 31. Oktober 1922 schließlich doch noch in Rom einziehen. Die vom kalten Oktoberregen durchweichten Männer defilierten vor ihrem "Duce", der am Vortag von König Vittorio Emanuele III. zum Ministerpräsidenten ernannt worden war. Zunächst noch verhalten, dann aber forciert begann nun der Umbau Italiens zum faschistischen Staat, der sich ab 1927 als Diktatur etabliert hatte.